EIN ZACKEN AUS DER KRONE. Frank Solberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Solberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738071818
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Nachbargemeinde. Und hier gerieten wir in eine Sackgasse. Das Haus, ein Bungalow mit Walmdach und großem Garten in Mitten einer kleinen Stichstraße, gefiel uns auf Anhieb. Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Es passte fast alles, die Lage, die Ansicht, der Grundriss und die Ausstattung, nur der Preis passte uns nicht, wie üblich.

      „Zu teuer“, beschied ich dem anbietenden Makler, „viel zu teuer.“

      „Herr“, erwiderte dieser beleidigt, „das ist ein echtes Schnäppchen. Ein solches Komfortobjekt zu diesem Preis findet man nicht alle Tage. Das ist immerhin ein frei stehendes Haus mit 1.000 qm Grundstück. Zwanzig Jahre alt und gut in Schuss.“

      Natürlich hatte er Recht, aber es ging eben nicht. Ich nannte ihm die Summe, die wir in der Lage waren aufzubringen.

      Er zuckte zusammen. „Für das Geld“, spottete er, „bekommen sie mit Leichtigkeit einen festen Stellplatz beim Camping, aber kein Haus.“

      Aus der Traum. Es brach uns fast das Herz.

      Selbigen abends bekamen wir Besuch. Onkel Ewald, er ist der ältere Bruder meiner Mutter und außerdem steinreich, kam auf einen Sprung vorbei, um nach uns zu sehen.

      „Was macht ihr bloß für Gesichter?“, fragte er besorgt. „Geht's euch nicht gut oder fehlt euch was?“

      „Uns fehlen 100.000 Euro“, entgegnete ich sarkastisch. Dann erklärte ich ihm die Sachlage.

      „Kinder“, er schüttelte seinen Kopf, „warum seid ihr nicht schon längst zu mir gekommen? Ihr werdet mich doch sowieso beerben. Was soll mich also daran hindern, schon mal eine kleine Anzahlung zu leisten?“

      Wir fielen aus allen Wolken. „Meinst du das im Ernst?“, stotterte ich.

      „Wenn's um Geld geht, verstehe ich keinen Spaß“, sagte er vergnügt und klopfte mir auf die Schulter. „Morgen früh schauen wir uns das Prunkstück an.“

      „Die Sache muss einen Haken haben“, sagte meine teure Gattin, als der Besuch gegangen war.

      „Er war immer recht großzügig zu uns“, wandte ich ein. „In den letzten Jahren hat er uns einiges zukommen lassen.“

      Sie stimmte mir zu. „Geizig ist er nicht, aber 100.000 Euro sind ja kein Pappenstil.“

      „Er weiß doch genau, dass er das Geld nicht mitnehmen kann. Außerdem ist er ein Fuchs. Auf diese Weise sparen wir Erbschaftssteuern. Er schenkt uns das Geld halt in Raten.“

      „Ein alter Fuchs ist er gewiss“, grübelte meine Frau, „und deshalb sage ich dir, es steckt noch irgendetwas anderes dahinter. Hoffentlich führt das nicht in eine Sackgasse.“

      „Wir werden sehen“, beschloss ich das Gespräch, „kommt Zeit, kommt Rat.“

      Wenige Wochen nach diesem bemerkenswerten Abend waren wir notariell beglaubigte, ins Grundbuch eingetragene Eigentümer eines Walmdachbungalows, frei stehend, solide gebaut und ebenso finanziert.

      Ich schwebte auf Wolke Neun. „Was habe ich gesagt?“, frohlockte ich, als wir die Urkunden in Empfang nahmen. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.“

      „Ich weiß nicht so recht?“, sagte meine Gattin. Sie ist manchmal etwas skeptisch, die Gute. Nicht etwa, dass ihr Onkel Ewald unsympathisch wäre, im Gegenteil, aber sie meint, dass es doch einen gewaltigen Unterschied macht, ob er mal kurz vorbei schaut oder ob er sich häuslich bei uns einnistet. Immerhin hat er sich ausbedungen, dass wir ein Gästezimmer für ihn frei halten müssen. Er kann kommen und bleiben (unseretwegen auch gehen), wann immer er mag, rechtlich verbrieft.

      Zum Glück ist er schon 88 und viel auf Reisen. „Wir werden sehen“, sprach ich. „Kommt Zeit, kommt Ewald.“

      Onkel Ewald

       Im Paradies war der Mensch unsterblich, erst die Vertreibung machte ihn zu einem sterblichen Wesen. Immerhin aber weiß die Heilige Schrift zu berichten, dass Adam noch mit 130 Jahren Nachwuchs zeugte und schlaffe 930 Jahre alt wurde. Auch seine direkten Nachkommen erreichten eine solch ‚biblische Bejahrtheit‘. Nur ein gewisser Henoch fiel etwas aus dem Rahmen; er starb 365-jährig. Den heutigen Sozialpolitikern würden ob dieser Lebenserwartung die Haare einzeln zu Berge stehen und die Rentenversicherungsträger wären mutmaßlich schon längst in Konkurs gegangen.

      Mein Onkel Ewald hat jüngst sein 88. Wiegenfest gefeiert. Gemessen an den alttestamentarischen Vorbildern befindet er sich damit noch im Vorschulalter und manchmal führt er sich auch so auf. Sein ungeachtet dessen für unsere Verhältnisse begnadetes Alter führt er im wesentlichen darauf zurück, dass er im Jahre 1927 geboren wurde, dass er nie verheiratet war und kinderlos geblieben ist.

      Er ist ein munterer alter Herr, unternehmungslustig und weltoffen. Obwohl er gelegentlich zu mehr oder weniger ernsthaften Erkrankungen neigt, böse Zungen bezeichnen ihn auch als Hypochonder, so steht er doch wie eine deutsche Eiche und genießt seinen Lebensabend in vollen Zügen; hin und wieder auch in Düsenjets und auf Luxusdampfern.

      Des Öfteren gibt er uns die Ehre seines Besuchs. Einerseits deshalb, weil er uns mag und andererseits immer dann, wenn ihn wieder einmal eines seiner vielen Wehwehchen plagt. Er hasst Krankenhäuser und lässt sich lieber in häuslicher Umgebung – in unserer versteht sich – pflegen und verwöhnen. Wir akzeptieren das und nehmen es hin.

      Erstens, weil seine Gebrechen meist vorübergehender Natur sind; länger als drei oder vier Tage hält er es selten im Bett aus.

      Zweitens, weil er sich an den Kosten unseres hübschen Einfamilienhauses beteiligt hat, und zwar nicht unerheblich (diesbezüglich genießt er sogar eine Art Wohnrecht).

      Drittens, weil er mein Erbonkel ist, und wir noch einiges von ihm zu erwarten haben.

      Viertens, weil er sonst keine Verwandten mehr hat, die sich um ihn kümmern könnten. Mit Lucie, seiner Cousine verbindet ihn eine langjährige Hassliebe und mein Vetter Georg, der Versager, steht ohnedies nicht zur Debatte.

      Fünftens, weil auch wir ihn eigentlich recht gut leiden können, unabhängig von seiner bisherigen und (hoffentlich) zukünftigen Großzügigkeit.

      Der langen Rede kurzer Sinn, unser Onkel ist ein gern gesehener Gast, zumal er nicht nur erscheint, wenn er sich unpässlich fühlt. Nach jeder seiner vielen Reisen, er hat die halbe Welt gesehen (die andere Hälfte steht uns noch bevor), macht er einen Abstecher, um uns von seinen Erlebnissen zu berichten und über seine Pläne für neue Abenteuer zu informieren.

      Seine letzte Stippvisite hat sich uns unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben und macht ihn praktisch unsterblich, zumindest in unserer Erinnerung. Er kam zurück von einer Nordlandfahrt, die er trotz unserer ausdrücklichen Warnung angetreten hatte und die ihn auch ins Eismeer führte. Ältere Leute, wir wissen es aus Erfahrung, sind häufig nicht nur eigensinnig, sondern auch temperaturempfindlich, vor allen Dingen bei arktischen Minusgraden, die 20 Grad Celsius und weniger betragen können.

      Wie erwartet, brachte er uns einige Andenken mit, zusätzlich jedoch noch eine schwere Erkältung, die sich innerhalb weniger Tage zu einer ausgewachsenen Lungenentzündung entwickelte. Er muss ins Krankenhaus, entschied unser Hausarzt, der ihn schon in der Vergangenheit wiederholt behandelt hatte. Dies aber passte dem Onkel nicht in den Kram. Stur und obgleich von hohem Fieber geschüttelt, beharrte er darauf, sein Refugium (sprich: unser Gästezimmer) nicht zu verlassen.

      Wenn er in die Klinik müsse, so seine unmissverständliche Drohung, dann sei mit seinem Ableben zu rechnen. Dieser Auffassung vermochte sich der Mediziner nicht anzuschließen, und er lehnte jede Verantwortung ab. Dennoch, Onkel Ewald setzte sich durch und blieb, im ‚Kreise seiner Lieben‘, wie er es ausdrückte.

      Sein Zustand verschlechterte sich zusehends und er siechte dahin, obwohl wir uns alle erdenkliche Mühe gaben, ihm Linderung zu verschaffen. Auch der Arzt tat seine Pflicht, wies ansonsten aber darauf hin, dass er es habe kommen sehen.

      An einem regnerischen, kühlen Montagnachmittag, war es