Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben und mich damit abgefunden, dass ich unverrichteter Dinge nach Hause fliegen konnte, als ich drei sehr schwache Reflexe am Rande meiner Wahrnehmung ausmachte, die sich zudem dicht nebeneinander befanden. Das konnten, ja mussten Nathalie, Neve und Nell sein. Anders konnte es gar nicht sein. Das hoffte ich zumindest.
Sofort nahm ich mit kräftigen Flügelschlägen die Verfolgung auf. Zum Glück flogen sie nur gemächlich dahin, so dass es mir innerhalb kurzer Zeit gelang, zu ihnen aufzuschließen. Neve und Nell begrüßten mich mit einem fröhlichen, schrillen Fiepen, als ich mich neben sie setzte. Nur Nathalie ignorierte mich wie gewohnt.
Jetzt stellte sich auch wieder das berauschende Gefühl ein, völlig ungebunden und frei hoch über dem Erdboden dahin zu gleiten. Zwar war es mit dem Flug als Falke ganz und gar nicht zu vergleichen. Aber nichtsdestotrotz genoss ich es in vollen Zügen.
Auch gelang es mir immer besser, mich mit Hilfe des Ultraschalls unter dem wolkenlosen Sternenhimmel zu orientieren. Sukzessiv steigerte sich dieses erhabene Gefühl zu einer berauschenden Sinneserfahrung, das mich tatsächlich all meine Sorgen und Bedenken vergessen ließ.
Es ging sogar so weit, dass ich mich in wagemutigen Sturzflügen spontan dem kaum erkennbaren Boden entgegen stürzte. Äußerst knapp schoss ich darüber hinweg und jagte den aufgeschreckten Insekten in wilden Manövern hinterher. Dann raste ich wieder steil in die Höhe, schlug übermütig Loopings und wirbelte um die eigene Achse. Kurz gesagt, ich sprühte nur so vor Lebensfreude.
Ich führte mich so wild und enthemmt auf, dass ich mich selbst kaum wiedererkannte. Es war sehr lange her, dass ich das letzte Mal so ausgelassen war. Zudem spornte mich das heitere Lachen von Neve und Nell noch mehr an, obwohl sie versuchten, meine Flugkünste geflissentlich zu übersehen. Nur Nathalie gab sich den Anschein, dass sie mich ignorierte. Dennoch bemerkte ich immer wieder, wie sie mir kurze Blicke zuwarf.
Doch ich hatte es zu bunt getrieben.
2 – Jäger der Nacht
»Achtung!« schrie ich so laut ich konnte, als ich abrupt aus meinem heiteren Freudentaumel gerissen wurde.
Denn in den vielfältigen Echos, die meinen Geist erfüllten, hatte sich jäh ein großer, dunkler Schatten abgezeichnet, der mit extrem hoher Geschwindigkeit auf mich zugeschossen kam. Sofort warf ich mich herum und sauste davon.
Im nächsten Moment konnte ich ein enttäuschtes Krächzen vernehmen. Hoffentlich zeigte es mir, dass die drei Schwestern augenblicklich auf meine Warnung reagiert hatten und ihnen auch die Flucht in letzter Sekunde gelungen war. Nachprüfen konnte ich es nicht, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun.
So wie es aussah hatte mein wildes, ungestümes Treiben einen Jäger der Nacht auf uns aufmerksam gemacht. Damit war aus meinem unbekümmerten Spiel innerhalb von einer Sekunde blutiger, wahrscheinlich tödlicher Ernst geworden.
Und es war noch nicht vorbei.
Wie sich zeigte, hatte ich mich mal wieder zu früh gefreut. Denn der Angreifer hatte sich an meine Fersen geheftet und jagte nun hinter mir her. Er hatte mich eindeutig als Beute auserkoren. Doch dem wollte ich auf keinen Fall Rechnung tragen.
So jagte ich mit hektischen Flügelschlägen in die Finsternis davon. Dabei verlor ich natürlich sofort meine Begleiterinnen aus den Augen. Der Jäger hielt mich so sehr in Atem, dass ich nicht den Bruchteil einer Sekunde dafür verschwenden konnte, mich nach ihnen umzusehen.
Außerdem hatte ich mich in der kurzen Zeit ohne Frage schon viel zu weit von ihnen entfernt. Das Einzige, das mich neuen Mut schöpfen ließ, war, dass ich sie durch diese Tatsache in Sicherheit wusste. Solange der Jäger hinter mir her war, konnte er ihnen nichts antun.
So lieferte ich dem Angreifer eine Verfolgungsjagd, die sich sehen lassen konnte. Denn nun bewährten sich meine zuvor so ausgiebig geübten Flugmanöver. In dem ich alle meine erst vor wenigen Minuten gesammelten Erfahrungen einbrachte, Loopings vollführte, abrupte Sturzflüge einlegte und unerwartete Haken schlug, konnte ich ihn mir doch ziemlich effektiv vom Leib halten.
Seine Angriffe gingen zum Glück letztendlich immer wieder ins Leere, auch wenn es manchmal äußerst knapp war und ich seinen Luftzug in meinem Rücken spüren konnte.
Doch all meine Mühe half nichts. Alles, was ich versuchte, war vergebens. Ich konnte den verdammten Plagegeist einfach nicht abschütteln. Hartnäckig klebte er an meinem Hintern.
Was mir allerdings Sorgen bereitete, war, dass ich diese Jagd nicht mehr lange durchhalten würde. Das schmerzhafte Ziehen in meinen Schultern wurde immer schlimmer und raubte mir zusehends meine Eleganz, mit der ich durch die Nacht sauste.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Kräfte erlahmen und ich in den Fängen des Jägers landen würde. Ich musste mir daher schnellstens was einfallen lassen, wie ich ihn los werden konnte.
Okay, da es auf die klassische Art nicht funktionierte, musste ich wohl oder übel etwas tiefer in die Trickkiste greifen. Mal sehen, wie es für ihn sein würde, wenn ich mich in einen dichten Busch stürzte.
Ich hegte die schwache Hoffnung, dass es ihm weitaus größere Schwierigkeiten bereiten würde, mich da drinnen zu verfolgen. Alleine seine Größe dürfte hinderlich sein. Vielleicht würde er mich dann in Ruhe lassen und das Weite suchen.
Na gut, dann war es wohl an der Zeit, Plan B in Angriff zu nehmen.
Abermals legte ich die ledernen Schwingen an, ließ ich mich tiefer fallen und scannte mit meinem eingebauten Radar hoffnungsvoll das Gebiet unter mir. Und mir war in der Tat mal das Glück hold.
Nicht weit entfernt von mir entdeckte ich eine kompakte, ausgedehnte Buschgruppe, die geradezu ideal für die Umsetzung meines Vorhabens war. In wenigen Sekunden könnte ich mich darin verkriechen.
Weiterhin wie ein Feldhase Haken schlagend sauste ich darauf zu, dicht auf verfolgt von dem hartnäckigen Nachtvogel, der mich einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Bald würde ich ihm zeigen, was er davon hatte.
Mit einem triumphierenden Zirpen tauchte ich in den Irrgarten der eng verzweigten Äste des Dickichts ein, wobei ich selbst höllisch aufpassen musste, um nicht an ihnen hängen zu bleiben.
Immer tiefer stieß ich in das Wirrwarr hinab und zischte knapp an einem knorrigen, verdrehten Stamm vorbei. Da kam mir eine Idee. Blitzschnell wechselte ich die Richtung und schoss daran entlang etwas in die Höhe, um mich dann mit meinen Beinchen an ihm festzukrallen.
Ein gequältes Stöhnen entrang sich meiner Kehle, als mein Bauch gegen die rissige Rinde prallte. Durch dieses Manöver riss ich mir fast selbst die Gliedmaßen aus. Schnell umschlang ich mit den Schwingen den Strunk und verharrte regungslos.
Ich kam nicht einmal dazu, erleichtert Atem zu schöpfen, als es über mir auch schon ohrenbetäubend krachte. Mein Verfolger versuchte direkt über mir in die Sträucher einzudringen.
Da ich nichts riskieren wollte, wagte ich noch nicht einmal, mich mit meinem Ultraschall umzusehen. So konnte ich mich nur auf mein natürliches Gehör verlassen und hoffen, dass es ihm nicht gelang, sich durch die dicht beieinander stehen Zweige zu mir vorzukämpfen.
Wie mir das unaufhörliche Knacken kleiner Äste zeigte, gab der Jäger der Nacht nicht so leicht auf. Unermüdlich gab er sein Bestes, um seiner Beute habhaft zu werden. Ängstlich klammerte ich mich noch enger an den Stamm und versuchte sogar den Atem anzuhalten. Hoffentlich war ihm bei seinen Versuchen kein Erfolg beschieden.
Übergangslos wurde es mit einem Mal so still wie in einem dunklen Grab. Nicht das leiseste Geräusch konnte ich mit meinen Ohren mehr auffangen.
Was war den jetzt wieder los?
Hatte mein Verfolger etwa aufgegeben?
Mit pochendem Herzen lauschte ich mit angehaltenem Atem in die Nacht hinaus. Nichts regte sich mehr über mir. Hoffentlich war die Stille ein gutes Zeichen. Doch dem war nicht so.
Nur