Auf gute Nachbarschaft. Ben Worthmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ben Worthmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738096095
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sie einander zum ersten Mal begegnet waren, hatte ihm das kaum etwas bedeutet. Sie war eine hübsche junge Frau, so wie viele andere auch. Nicht mal ihren Namen hatte er behalten. Und als sie ihn angerufen hatte, war er sehr erstaunt gewesen – auch über sich selbst und seine Einwilligung, sich mit ihr zu treffen. Der Gedanke an eine neue Beziehung lag damals außerhalb seiner Vorstellungen.

      Doch Christina hatte sich nicht abschrecken lassen, nicht durch seine Distanziertheit, nicht durch seine Zurückweisungen, die sie verletzt haben mussten. Irgendwann hatte er dann beschlossen, seinen Widerstand aufzugeben, die Dinge laufen zu lassen. Und er war zu dem Schluss gelangt, dass es so, wie es war, gut war. Nur, was wäre, wenn Nina plötzlich wieder vor ihm stünde? Er wusste, solche Gedanken waren heikel und er wagte es nicht, sich selbst eine Antwort darauf zu geben.

      Wenn doch bloß Ninas Mörder gefasst und hinter Schloss und Riegel gebracht würde, dann könnte ich endlich frei sein, hatte Jan oft gedacht. Sich zu befreien, alles hinter sich zu lassen: das war auch der Grund dafür gewesen, dass er noch im selben Jahr, als es geschehen war, weggezogen war aus der Stadt, fest entschlossen, nie mehr dorthin zurückzukehren. Es war ein radikaler Schritt und Schnitt gewesen, der für Außenstehende sicherlich auch deswegen befremdlich anmutete, weil er nie das Bedürfnis gehabt hatte, Ninas Grab zu besuchen oder mit ihren Eltern zu sprechen. Was geblieben war von ihr und diesem ersten Abschnitt seines Lebens, war irgendwo tief in seinem Inneren verborgen.

      Inzwischen waren zehn Tage seit dem gemeinsamen Essen vergangen, ohne dass er den Bergers wieder begegnet wäre. An diesem Abend kam er etwas früher als sonst nach Hause. Christina war noch mit den Kindern unterwegs, zum wöchentlichen Besuch bei ihren Eltern. Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich an den Küchentisch und genoss die ungewohnte Ruhe. Es war jetzt Mitte September, nicht mehr lange, dann würde es um diese Zeit dunkel sein.

      Kurz nach halb sieben tauchte Andreas mit seinem großen BMW auf und parkte ihn vor der Doppelgarage, wo er ihn manchmal stehen ließ, auch über Nacht. Wie immer sprang er mit federnden Schritten aus dem Wagen. Der dunkle Anzug saß tadellos, die schwarzen Schuhe glänzten. Die sicherlich teure Aktentaschen hatte er sich unter den Arm geklemmt. Ob dieser Mann überhaupt einmal irgendetwas ruhig und langsam tun konnte? Ob er in seiner Bank auch so hektisch war und seine Mitarbeiter kribbelig machte?

      Jan schüttelte den Kopf. Plötzlich hatte er das Gefühl, diesem Menschen, dessen bloßer Anblick ihm Unbehagen bereitete, jetzt sofort unbedingt ins Gesicht sehen, seine Stimme hören zu müssen. Er öffnete die Haustür, winkte ihm mit einem „Hallo“ zu und ging hinüber.

      „Na, endlich Feierabend?“

      „Das war vielleicht ein Tag, sage ich dir“, legte Andreas sofort los. „Ärger mit einem Mitarbeiter, jede Menge Aktenvorgänge, tausend Telefonate, keine Zeit fürs Mittagessen. Aber fürs Nichtstun verdienen wir beide ja schließlich nicht unser Geld.“

      Es folgte ein lautes Lachen. Jan rang sich ein Lächeln ab, was ihm schwer genug fiel. Wie unangenehm er diesen Menschen doch fand.

      „Es war übrigens neulich sehr nett bei euch“, sagte er. „Vielen Dank nochmals für die Einladung. Demnächst kommt ihr zu uns.“

      Jan machte eine kurze Pause.

      „Ich glaube, wir werden noch jede Menge Gesprächsstoff haben“, fuhr er fort. „Allein schon, weil wir ja beide aus Altenstedt kommen und nun hier als Nachbarn gelandet sind.“

      „Mein Gott, ach das“, sagte Andreas gedehnt und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das ist doch alles schon so ewig lange her. Ich habe gar keine Beziehung mehr zu dieser Stadt. Viel zu provinziell, zu eng.“

      „Da geht’s dir genau wie mir“, pflichtete Jan ihm bei. „Ich war schon seit ewigen Zeiten nicht mehr da.“

      „Ich muss dann mal“, sagte Andreas unvermittelt, tätschelte ihm kurz die Schulter und ließ ihn stehen. „Wir sehen uns, und grüß deine Frau.“

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