Weiße Rosen aus Névez. Jean-Pierre Kermanchec. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Pierre Kermanchec
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592204
Скачать книгу
Dafür waren die Leute schließlich da, wenigstens sah er es so.

      Paul Malencourt stieg in seinen Ferrari und fuhr nach Bénodet. Im dortigen Casino war er ein gern gesehener Gast. Auch wenn er schon größere Beträge gewonnen hatte, er hatte auch schon viel Geld dagelassen. Das Casino öffnete bereits um 10 Uhr und schloss um 2 Uhr. An diesem Nachmittag würde er ein oder zwei Stunden lang seinem Zeitvertreib nachgehen können. Das Glücksspiel gehörte zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ursprünglich hatte er sich überlegt, ein Haus oder ein größeres Appartement in Bénodet zu erwerben. Aber er hatte die Gefahr gesehen, zu oft ins Casino zu gehen. Daher hatte er sich für ein Haus in Névez entschieden, ein gutes Stück von Bénodet entfernt. Echte Spielsucht hatte er noch nicht entwickelt. Er gab sich ein Limit bevor er das Casino betrat, und dieses Limit überschritt er niemals. Verlor er den ausgesetzten Betrag, war sein Besuch für diesen Tag beendet. Gewann er, dann blieb er auch schon einmal etwas länger. Für den heutigen Besuch hatte er einen Betrag von 5.000 Euro vorgesehen. An der Kasse ließ er sich die entsprechende Menge Chips geben, wobei er eine Stückelung in kleinere Werte verlangte. Dann setzte er sich auf einen freien Stuhl und platzierte eine größere Zahl Chips auf die Null und auf die Sieben. Das waren seine Glückszahlen. Schon die erste Kugel landete auf der Null, und der Croupier schob eine Menge Chips zu ihm hinüber. Er spielte jetzt entspannter weiter, hatte sich sein Finanzpolster doch bereits mit dem ersten Einsatz beträchtlich erhöht.

      Nach drei Stunden verließ er das Casino. Aus den 5.000 Euro waren 62.000 geworden. Damit hatte er schon ein Viertel des Kaufpreises für seine neue Yacht gewonnen. Noch drei Casinobesuche mit einem solchen Ergebnis, und der Kauf seiner neuen Yacht wäre kostenneutral. Hoch zufrieden und mit gewissem Stolz verließ er das Casino und ging zu seinem Ferrari. Den Umschlag mit seinem Gewinn warf er beinahe achtlos auf den Beifahrersitz, gurtete sich an und startete den Motor, der mit seinem unverkennbaren Sound einer Symphonie gleichkam. Das Leben war großartig, wenn man es sich leisten konnte. Darunter verstand er die Erfüllung seiner materiellen Wünsche. Er lehnte seinen Kopf fest an die Nackenstütze und drückte das Gaspedal kräftig durch. Der Wagen machte einen Satz. Paul ging vom Gas und verringerte die Geschwindigkeit etwas. Er wollte nicht von der Gendarmerie gestoppt werden. Mit deutlich reduziertem Tempo folgte er der Straße in Richtung Concarneau.

      Seit nunmehr zwölf Jahren besaß er seine résidence secondaire in Névez. Dennoch hatte er nur sehr wenige Freunde oder Bekannte in der Stadt oder Umgebung. Es störte ihn nicht, dass er immer noch ein Fremder war. Manchmal schnappte er beim Verlassen der Bäckerei auf, wie die Leute tuschelten c´était le parisien. Ein Bretone würde er nie werden, das war ihm klar. Die Bretonen waren und bleiben ein eigentümliches Völkchen. Er brauchte hier keine Freunde. Seine Freunde lebten in Paris.

      Er bog in seine Straße ein und öffnete mit der Fernbedienung sein Garten- und anschließend das Garagentor, fuhr in die Garage und schloss das Tor. Er stieg aus, ging ins Haus und schaltete in allen Zimmern das Licht ein. Sein Haus gehörte zu den wenigen Häusern, die stets hell erleuchtet waren. Die Stromkosten interessierten ihn nicht.

      Paul Malencourt ging zu seinem Safe, den er gleich nach dem Erwerb des Hauses hatte einbauen lassen, und schloss die gewonnenen 62.000 Euro ein. Es war noch früh am Abend. Er ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Hunger verspürte er keinen. Er hatte im Casino eine Kleinigkeit zu sich genommen. Auf France 3 liefen die regionalen Nachrichten, die ihn nicht sonderlich interessierten. Vor einigen Tagen hatten sie von seiner Rettung und dem Tod einer der Retter berichtet. In den Interviews der Kollegen des Verunglückten wurden die Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit des Toten erwähnt. Seine Familie hatte ein Interview abgelehnt. Der Sprecher hatte erwähnt, dass der Verstorbene eine Frau und ein kleines Kind zurückgelassen hat. Paul Malencourt interessierte die Berichterstattung nicht, er hatte nicht verfolgt, dass der Sprecher ihn erwähnt hatte, den Mann, der trotz der Warnungen mit seinem Schiff zu einem Segeltörn aufgebrochen war.

      Er holte sich ein Whiskyglas aus der Vitrine und goss sich einen kräftigen Schluck ein. Dann schnappte er erneut die Fernbedienung seines Fernsehers und zappte sich durch die verschiedenen Sender. Auf TV 5 kam ein Krimi, den würde er sich jetzt ansehen.

      Der Film endete kurz vor Mitternacht. Der Garten lag in völliger Dunkelheit. Das Licht, das durch seine Fenster in den Garten fiel, erhellte nur die ersten Meter rund ums Haus. Das Grundstück von 2.300 Quadratmetern war sehr groß. Die Pflege dieses großen Grundstücks hatte er einem lokalen Gärtner überlassen, der dafür sehr gut entlohnt wurde. Die verschiedenen Bäume, Rhododendren und Hortensien verbargen sein Haus vor neugierigen Blicken von der Straße, sie verhinderten aber auch, dass er selbst einen Überblick über das gesamte Grundstück hatte.

      Es war nicht verwunderlich, dass er den Mann nicht sah, der auf das Grundstück getreten war. Unaufgeregt marschierte der Mann über das Grundstück und verfolgte seinen Vorsatz. Die körperliche Anstrengung spürte er, denn er schleppte einen Felsbrocken von über 20 Kilo.

      Kapitel 3

      Anaïk Bruel räkelte sich gemütlich in ihrem Bett. Die Sonne war gerade aufgegangen, und der Himmel leuchtete in herrlichem Orangerot. Als Gemälde wäre es kitschig gewesen. Die Farbauswahl von Mutter Natur jedoch war atemberaubend, eben schlichtweg himmlisch. Sie blieb noch etwas im Bett liegen und genoss das Farbenspiel.

      Sie wollte die üblichen 10 Kilometer auch heute laufen, danach würde sie sich auf den Weg ins Büro machen. Als das Telefon klingelte, ahnte sie, dass aus diesem Vorhaben nichts würde. So früh am Morgen rief Brieg bestimmt nicht an. Auch ihre Mutter meldete sich um diese Zeit nur im äußersten Notfall, meistens telefonierten sie erst am späteren Abend. Es konnte demnach nur das Kommissariat sein. Anaïk ging zu ihrem Handy, das sie auf der Kommode neben der Tür abgelegt hatte, und sah auf das Display. Sie erkannte Dustins Nummer. Der Leiter der Spurensicherung rief nur an, wenn es dringend war.

      „Bonjour Dustin! Wenn du mich so früh anrufst, gibt es bestimmt Arbeit. Habe ich Recht?“

      „Bonjour Anaïk, du liegst genau richtig. Wir haben einen Leichenfund in Névez, in der rue Park Nonn. Ich denke, es wäre gut, wenn du oder Monique oder auch ihr beide nach Névez kommt.“

      „Selbstverständlich komme ich, wissen wir schon, um wen es sich handelt?“, fragte sie ihren Kollegen.

      „Ja, diesmal haben wir es nicht mit einem Unbekannten zu tun. Es handelt sich um einen Monsieur Paul Malencourt, Geschäftsmann aus Paris. Er ist in der letzten Woche aus Seenot gerettet worden. Bei der Rettung ist einer der Retter ums Leben gekommen. Ich kann mich gut an die Geschichte erinnern. Sein Gärtner hat uns gerade angerufen.“

      „Ich komme sofort nach Névez, wir sehen uns vor Ort. Ich trinke noch schnell eine Tasse Kaffee“, antwortete Anaïk und beendete die Verbindung. Sie duschte, zog sich an und trank eine Bol Milchkaffee. Keine zwanzig Minuten später saß sie in ihrem Dienstwagen und fuhr nach Névez. Die Adresse hatte sie ins Navi eingegeben. Von Sainte-Marine aus fuhr sie über Bénodet, Fouesnant, La Fôret-Fouesnant, Concarneau und Trégunc. Das Gerät führte sie bis zum Friedhof von Névez. Jetzt musste sie der Straße bis zum Grundstück von Monsieur Malencourt folgen. Das Eingangstor zum Grundstück stand bereits weit geöffnet. Die Fahrzeuge der Gendarmerie und ihrer Kollegen parkten entlang der Zufahrt. Anaïk stellte ihren Wagen ab und stieg aus. Sie folgte dem Kiesweg und gelangte nach 50 Metern an die Frontseite des Hauses. Ein schöner Bau, eine Longère, ganz aus Granit gebaut. Ursprünglich waren diese Häuser von Bauern bewohnt, jetzt waren sie ein bevorzugtes Kaufobjekt der zahlreichen Bretagneliebhaber auf der Suche nach einem Zweitwohnsitz. Das Haus schien renoviert worden zu sein. Jedenfalls hatte der Besitzer neue Fenster eingebaut, die Klappläden frisch gestrichen und auch die alte Eingangstür in einen ansehnlichen Zustand versetzt. Vor dem Haus war niemand zu sehen. Anaïk umrundete das Gebäude und betrat den dahinterliegenden Garten. Hier fand sie Dustin und die übrigen Kollegen. Sie standen um einen am Boden liegenden Leichnam und warteten, bis Yannick Detru, ihr Pathologe, seine erste Untersuchung beendet hatte.

      Anaïk trat zu Dustin. „Wurde der Mann hier ermordet?“, fragte sie ohne ein weiteres Begrüßungsritual.

      „So wie es aussieht, ja“,