Und dann war Totenstille. Rainer Ballnus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Ballnus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738097375
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zurück und genoss die Fahrt entlang der Küste, über Scharbeutz und Haffkrug.

      „Sind ja doch schon ‘ne Menge Touris unterwegs“, staunte Baader. „Was ist denn das, Lauscher, davon haben Sie mir ja gar nichts erzählt!“

      „Ach Sie meinen die neue Promenaden-Allee. Schön geworden, nicht? Das wurde aber auch Zeit. Bei diesen vorsintflutlichen Anlagen, da hätte ich niemals Urlaub gemacht“, regte sich Lauscher auf.

      „Eben, Lauscher. Und das war doch gut für uns. Bedeutet das jetzt was für unseren Laden?“

      „Sie fürchten, dass die Leute gar nicht mehr bis Travemünde kommen, nur weil hier die…“

      „Ja, das meine ich“, ließ Baader seinen Geschäftsführer nicht ausreden.

      „Also, das glaub’ ich nun wirklich nicht.“

      „Glauben, glauben! Mensch Lauscher, es scheint, Sie haben darüber noch gar nicht nachgedacht.“

      Lauscher war feinfühlig genug, um zu erkennen, dass es jetzt besser war, nicht zu antworten. Und das erwies sich als richtig.

      „Na, ja, jetzt bin ich ja wieder da, und ich werde auch darüber nachdenken.“

      Der unterkühlte Ton in Baaders Bemerkung war nicht zu überhören. Und wieder schwieg der Geschäftsführer.

      Baader wollte sich nicht aufregen, nicht heute. Er konnte es kaum erwarten, sein Zuhause, seine Villa am Kellersee, die er vor vielen Jahren über einen Makler erstanden hatte, zu betreten. Eine wahre Perle unter den Villen an diesem herrlichen Gewässer! Endlich, sie fuhren gerade von der Umgehungsstraße ab und erreichten Eutin, die Kreisstadt, aber was noch viel wichtiger für ihn war, die Rosenstadt. Baader liebte Rosen über alles, und alle Besucher hatten in der Vergangenheit immer wieder seine Rosenpracht auf seinem herrschaftlichen Anwesen bewundert und bestaunt.

      „Hoffentlich stehen meine Rosen gut“, gab er halblaut von sich, doch Lauscher hatte es gehört, und jetzt antwortete er auch, forsch und siegessicher:

      „Sie werden staunen Chef! Alles gut in Schuss, wirklich! Darum habe ich mich persönlich gekümmert!“

      Stolz schwang in seiner Stimme mit.

      Beide bemerkten nicht den Fahrer auf dem Motorrad, das ihnen seit dem Verlassen der Justizvollzugsanstalt gefolgt war. Erst kurz vor dem Erreichen des parkähnlichen Grundstücks seines Chefs warf Lauscher einen Blick in den Innenrückspiegel und nahm in einiger Distanz diesen Motorradfahrer wahr. Doch er schien sich nichts dabei zu denken, zumindest sagte er nichts. Er löste per Knopfdruck ein Funksignal aus, steuerte auf die Einfahrt des sich lautlos öffnenden Tores zu und hielt vor dem breiten Garagentor.

      „Na endlich!“

      Laut ausatmend stieg Baader aus, reckte und streckte sich und sog die frische und saubere Luft in seine Lungen.

      „Welch herrliche Landschaft!“

      Der Hotelier drehte sich dabei im Kreise, mit ausgestreckten Armen, und als Lauscher nichts sagte, drehte er sich empört zu ihm um: „Menschenskind, denken Sie denn immer nur an Zahlen, Zahlen, Zahlen? Genießen Sie doch auch mal diese wunderbare Natur, hier im Herzen der Holsteinischen Schweiz!“

      „Sie haben ja auch…“,

      „… diese entbehren müssen, meinen Sie. Richtig, Lauscher, und genau das werde ich nachholen, auf der Stelle und ausgiebig!“

      Baader reichte ihm die Hand.

      „Bevor ich es vergesse, Lauscher, in der nächsten Woche, da schau ich mir alles noch mal genau an, die Bücher meine ich, und wenn alles so bleibt, dann können Sie sich darauf einrichten…“

      „Aber Chef, kommen Sie doch erstmal richtig an“, wiegelte der Geschäftsführer die offenbar in Aussicht gestellte Gehaltserhöhung geschickt ab. Seine Mimik allerdings bewies deutlich, dass ihn allein die Ankündigung einer finanziellen Belohnung freute. Baader griente.

      „Nur keine künstliche Bescheidenheit, mein Lieber!“

      Lauscher ließ sich ohne Kommentar hinter das Lenkrad der Limousine fallen, startete und fuhr langsam davon, sorgsam darauf achtend, keinen Staub aufzuwirbeln.

      Baader ging zur riesigen Eingangspforte, erfreute sich wie immer an dem geräuschlosen Schließen, griff in die Hosentasche, holte den Schlüsselbund hervor und schritt gemächlich, aber doch zielstrebig auf die gediegene Eingangstür zu.

      Auf der Straße, vielleicht fünfzig Meter von Baaders Grundstück entfernt, stand wieder der Motorradfahrer. Er hatte den Helm abgenommen und kurzfristig auf den Tank gelegt. Sich den rechten Handschuh in den Mund steckend, tippte er in ein Handy einige Ziffern ein und hielt es an sein Ohr.

      Werner Kröling saß an seinem Schreibtisch…

      … und hatte eine Tasse Kaffee vor sich. Eigentlich saß der Leiter der Lübecker Mordkommission gar nicht richtig auf seinem Bürosessel, sondern rutschte immer auf ihm hin und her.

      „Sag’ mal, Werner, hast du was?“

      Das war Liesa Freseke, die jüngste Mitarbeiterin in seinem Team und seine beste, wie er stets gegenüber den männlichen Kollegen betonte. Und weil sie die einzige Mitarbeiterin war, durfte er das auch ungestraft tun.

      „Wieso?“, fragte Kröling zurück.

      „Na, Mensch, so als Zappelphilipp kenne ich dich sonst gar nicht“, meinte Liesa erklärend. Und sie hatte recht, seit einigen Tagen war der Boss der Mordkommission irgendwie anders, vor allem war er oft schlecht gelaunt. Und das kannte sie eben auch nicht von ihm.

      „Vielleicht solltest du mal Urlaub machen, Werner.“

      Jörg Unger saß ihm ebenfalls gegenüber und nippte an seiner Kaffeetasse. Er war der „alte Hase“ im Team, und ihn konnte so gut wie nichts erschüttern.

      „Ach lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“

      Kröling stand stöhnend auf und warf ein beantwortetes Fax ins Ausgangsfach.

      „Da holt es sowieso keiner ab, Werner. Hast du vergessen, Maike hat ab heute Urlaub.“

      Liesa konnte sich diese Spitze nicht verkneifen, doch sie war nicht böse gemeint, denn dafür schätzte sie seinen zwar etwas raubeinigen, aber doch herzlichen Umgangston. Mit Maike meinte sie die Schreibkraft. Der MK-Leiter hatte ihr jetzt den Kurz-Urlaub quasi ‚verordnet’, weil sie im Kommissariat für Tötungsdelikte „Saure-Gurken-Zeit“, sprich wenig zu tun hatten. Kröling erwiderte nichts, sondern nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. Er war mit sich selbst unzufrieden und es ärgerte ihn, dass die anderen offenbar etwas davon mitbekamen. Seine Frau war vor gut einem Jahr gestorben und seither hatte er noch nicht wieder recht Tritt gefasst. Er wusste nicht, ob es noch die Trauer war oder ob er Angst hatte, wieder voll ins Leben einzutreten. Kollegen, Freunde hatten ihn wirklich nach dem schrecklichen Ende seiner an Brustkrebs verstorbenen Frau gut aufgefangen und begleitet. Doch jetzt spürte er immer mehr, wie sie hinter seinem Rücken die Augen verdrehten und manche drückten ihr Unverständnis auch verbal aus. „Du musst endlich wieder unter Leute, Werner“ oder „Du verkriechst dich ja immer mehr in dein Schneckenhaus, anstatt das Leben wieder einfach mal auszuprobieren.“ Die hatten alle gut reden. Nur einer verstand ihn. Leo Oberhof, sein Chef.

      „Möchtest du nicht doch…“

      Werner Kröling erschrak. Jörg Unger schob ihm den Teller mit den belegten Brötchen rüber. Es war ein festes Ritual in ihrer Runde. Wer Geburtstag hatte, war zu Kaffee und Brötchen „verdonnert“. Und der „alte Hase“ hatte heute Geburtstag.

      „So, damit das Drängeln endlich aufhört: Ich habe Magenschmerzen! So einfach ist das. Es tut mir Leid, Jörg, ausgerechnet an deinem Geburtstag. Aber lasst mich einfach in Ruhe! Okay?“

      Der Chef-Ermittler schaute seine beiden Kollegen streng an und fasste kurz an seinen Bauch. Die beiden warfen sich einen schnellen Blick