Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilma Burk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847691723
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er.

      Als ich hörte, dass die Hochzeitsfeier in einem Saal eines vornehmen Restaurants an der Havel stattfinden sollte, den Margots Vater dazu gemietet hatte, wurde mir bange.

      „Konrad, wer wird da alles hinkommen? Passen wir überhaupt dazu?“, fragte ich besorgt.

      „Das sind auch nur Menschen, egal wie bekannt oder reich sie sind“, versuchte Konrad mich zu beruhigen.

      „Aber wir kennen niemanden außer Margot, Helmut und seine Eltern.“

      Helmut lachte, als Konrad ihm von meinen Sorgen berichtete. „Kauf dir ein schönes Kleid, und du wirst alle Frauen ausstechen“, riet er.

      Margot nahm meine Hand, als sie davon hörte und sagte: „Keine Sorge, ich bin auch noch da.“

      Doch das bezweifelte ich und antwortete: „Du bist die Braut. Wie willst du dich um uns kümmern können?“

      So gingen wir und kauften für mich das erste lange Abendkleid meines Lebens. Als ich mich damit im Spiegel sah, verlor ich meine Ängste, besonders weil mich Konrad mit dem warmen Glanz in seinen Augen betrachtete, den ich so an ihm liebte.

      Ich fühlte mich sogar großartig, als wir mit unserem VW-Käfer „Hannibal“ zur Kirche fuhren. Nichts machte es mir auf einmal aus, unser bescheidenes Auto zwischen großen protzigen Wagen zu parken.

      Von allen Seiten strömten die Gäste in Festtagskleidung herbei. Die Männer in dunklen Anzügen, meist im Smoking; die Frauen in langen berauschend schönen Abendkleidern. So manches davon musste ein Vermögen gekostet haben.

      Und daneben ich mit meinem Abendkleid von der Stange eines bekannten Bekleidungshauses. Konrad sah gut aus in seinem einfachen dunklen Anzug mit silbernfarbener Krawatte. Er erkannte wohl den Moment meiner Unsicherheit, nahm meinen Arm und führte mich, unbeeindruckt von dem sichtbaren Reichtum um uns herum, in die Kirche. Er ließ mir keine Zeit, mich fehl am Platze oder minderwertig zu fühlen.

      Das Raunen und Flüstern verstummte, als Margot und Helmut die Kirche betraten. Ganz in feierlicher Konzentration schritten sie bei dem einsetzenden Orgelklang dem Altar entgegen. Ein warmer, glücklicher Schein lag über Margots Gesicht. Ruhige Sicherheit strahlte sie aus, während sie aufrecht in ihrem Brautkleid aus kostbarer Spitze an Helmuts Arm zwischen den Bänken mit den Gästen mehr schwebte als ging. Sie war eine schöne Braut.

      „Wer führt hier eigentlich wen?“, flüsterte mir Konrad schmunzelnd zu.

      Ich war gerührt und kämpfte gegen aufsteigende Tränen. Konrad sah es. Wie bei unserer Hochzeit grinste er belustigt. „Rührselige Alte!“, foppte er mich.

      Das erinnerte mich daran, wie ich bei unserer Hochzeit bei den Stufen zum Altar hoch mit jedem Schritt in meinen langen Rock gestiegen war und mir vor Schreck der Brautstrauß aus den Händen fiel. Würde bei Margot und Helmut Ähnliches geschehen können? Oder war das bei der selbstsicheren Margot unmöglich?

      Doch dann entstand Unruhe vor dem Altar. Als der Pfarrer ihnen andeutete, aufzustehen, erhob sich Helmut, beugte sich zu Margot nieder und wollte ihr helfen. Sie aber kam nicht hoch. Sie flüsterte ihm irgendetwas zu, was er sichtlich nicht verstand. Die Hochzeitsgäste wurden unruhig.

      „Was ist da los“, fragte ich leise Konrad.

      „Er steht bestimmt auf ihrem weiten Rock, so dass sie nicht aufstehen kann“, vermutete er und grinste belustigt. Solche Pannen in feierlichen Momenten gefielen ihm.

      Sie bestätigten uns später Konrads Vermutung, als wir Gelegenheit fanden, mit ihnen zu reden.

      „O Margot, pass nur auf, wenn das kein Omen ist, dass Helmut dich in eurer Ehe nicht hochkommen lässt“, scherzte Konrad.

      Doch Margot machte sich darum keine Sorgen.

      „Da muss eher ich aufpassen, dass sie das nicht mit mir macht“, antwortete Helmut scherzend an ihrer Stelle.

      Margot lachte.

      Doch klang da nicht ein bisschen Ernst in Helmuts Worten mit? Schließlich war es Margot, die aus reichem Haus kam und nicht er.

      *

      Die Tafel im Saal des vornehmen Restaurants brach fast zusammen unter dem, was im Überfluss angeboten wurde. Der Brautvater ließ sich nicht lumpen, wenn seine einzige Tochter heiratet. Es fehlte nicht Lachs, nicht Kaviar. So mancher unter den Gästen mit Rang und Namen in West-Berlin bediente sich fleißig. Ich kostete neugierig die mir unbekannten Leckerbissen, war aber keineswegs begeistert davon. Wir fanden auch bald nette Leute, mit denen wir uns zusammengesellten. Es waren Leute wie wir, ohne Rang und Namen. Margot huschte mitunter vorüber, kontrollierte, ob uns auch nichts fehlte. Ich staunte, dass sie als Braut Sinn dafür hatte.

      Auch Helmut kam ein Weilchen zu uns. Dann tanzten wir miteinander. Dabei spürte ich einmal mehr, es gab nichts mehr zwischen uns als eine tiefe Freundschaft. Wie anders umfing er mich gegen früher, während seine Augen nur Margot suchten. Wir lächelten uns an. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Eine wundervolle freundschaftliche Vertrautheit war geblieben.

      *

      Margot und Helmut machten eine Hochzeitsreise nach Venedig - eine Reise, von der ich zu meiner Hochzeit nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Wir verlebten damals unsere Flitterwochen in dem kleinen Schrebergarten von Konrad. Die Laube und der Garten waren das Einzige, was ihm von dem Besitz seiner Eltern über den Krieg erhalten geblieben war.

      Wir hatten auch unsere Ehe in einem möblierten Zimmer in der Stadt begonnen; Helmut und Margot dagegen kamen zurück in eine vollständig eingerichtete Eigentumswohnung, die sich in einem Häuserblock befand, der gerade von ihrer Firma „Zumbold“ errichtet worden war. Eine Eigentumswohnung war eine Wohnmöglichkeit, die immer mehr Zuspruch fand. Die Mieten stiegen ständig an. Wer es sich leisten konnte, der bildete lieber Eigentum - und sei es auf Pump -, wenn es auch nur eine Wohnung, ein kleines Stückchen von einem Haus war.

      Nun also war Helmut nicht mehr nur ein Mitarbeiter einer bekannten Baufirma in Berlin, sondern er gehörte dazu. Längst hatte Margots Vater ihren Bruder in die Geschäftsleitung der Firma „Zumbold“ eingeführt, jetzt sollte auch der Schwiegersohn nicht zurückstehen. So bekam Helmut seinen Platz neben dem Bruder in der Leitung der Firma.

      „Hoffentlich empfindet mich mein Schwager nicht als Eindringling. Ich wäre auch zufrieden auf meinem Posten geblieben“, sorgte er sich.

      „Aber ich wäre damit nicht einverstanden“, erklärte Margot. „Du gehörst jetzt zur Familie. Eines Tages wirst du die halbe Firma zu vertreten haben, wenn Papa sich zur Ruhe gesetzt hat.“

      Später erwies es sich, dass Helmuts Sorgen unbegründet waren. Der Schwager war oft froh, dass er nicht allein die Verantwortung tragen musste, dass er auch einmal zum Wannsee zum Segeln fahren konnte, während Helmut im Betrieb die Arbeit machte. So hatte Helmut sich zwar nicht seinen Traum erfüllen und eine eigene Firma gründen können, aber über seine Frau Margot sollte er bald Teilhaber dieser Baufirma sein.

      *

      Kaum waren Margot und Helmut von der Hochzeitsreise zurück, saßen wir wieder bei uns im Garten unter dem Kirschbaum zusammen und das Tagesgeschehen holte uns in den Alltag zurück.

      Der Ministerpräsident der DDR sprach von Schutzmaßnahmen, die gegen Menschenhändler, so genannte Abwerber und Saboteure aus dem Westen ergriffen werden müssten.

      „Was hecken die wieder aus?“, überlegte Konrad.

      „Hast du die letzten Zahlen in der Zeitung gelesen, wie viele Flüchtlinge allein hier in Berlin jeden Tag die Seite wechseln? Es wäre ein Wunder, wenn die dagegen nichts unternehmen würden?“, überlegte Helmut.

      „Aber was?“, fragte ich ängstlich.

      „Die werden es schon wissen“, meinte Margot.

      Und wir wussten es auch bald.

      Was niemand für möglich gehalten hatte, geschah. Es war ein Sonntag, der 13. August, da bauten sie über Nacht eine Absperrung um West-Berlin. Doch