Erste Lacher wurden laut über diesen wunderlichen, vergeblichen Angriff, als urplötzlich das Verhängnis über den Dreimaster hereinbrach.
Ein lauter Knall hinter ihrem Rücken ließ die Finder herumfahren. Jetzt erst sahen sie, was das Ziel der Wurfhölzer gewesen war. Nicht auf die Männer der Besatzung hatten die Werferinnen gezielt, das Schiff selbst hatten sie verwunden wollen. Die Flughölzer hatten die Abspannungen des Hauptmastes auf der Windseite des Finderschiffs glatt durchschlagen. Mit einem Geräusch wie Peitschenknall waren die Wanten hoch in den Himmel gestiegen und hatten auf ihrem Weg eine Schneise der Zerstörung in Rahen und Segel gerissen. - Aber das war nicht das Schlimmste. Da die seitliche Abspannung plötzlich fehlte, konnte der riesige Hauptmast dem enormen Winddruck nicht mehr standhalten. Zwar war er fest im Deck verkeilt und reichte bis zum Kiel hinunter, aber ein voll aufgetakelter Hauptmast kann sich unmöglich aus eigener Kraft vor dem Wind behaupten.
Das erste Krachen reißender Holzfasern wurde zu einem immer lauter werdenden Prasseln. Immer weiter neigte sich der Mast des Finderschiffs der Kao-lad zu. Die Männer in den Rahen versuchten schon, sich mit verzweifelten Sprüngen in Sicherheit zu bringen und die Matrosen an Deck liefen wild durcheinander. Vergessen war der Angriff auf die Kao-lad. Jetzt hieß es nur noch "Rettet das Schiff!" Mit einem Geräusch wie qualvolles Stöhnen gab das Innerste, die Seele des Mastes, nach. Immer schneller neigte sich das Takelwerk dem Wasser zu und schlug klatschend auf die Wellen.
In gefährlicher Schräglage trieb das eben noch so bedrohliche Finderschiff hilflos vor dem Wind.
Langsam nahm die Kao-lad wieder Fahrt auf. Der Gesang der alten Aska war zu einer ruhigen, friedlichen Weise geworden und die jungen Frauen kehrten von der Reling zurück.
Aska nickte zufrieden. Der eigentliche Text des Liedes handelte von einer Mutter, die mit ihrem Kind in der Steppe unterwegs ist. Die beiden werden von wilden Tieren verfolgt, und die Mutter nimmt den Kampf auf. Ihrem Kind zuliebe trotzt sie der tödlichen Gefahr und findet am Ende eine sichere Zuflucht. Das `Lied des einsamen Kampfes' hatte noch nie seine Wirkung verfehlt. Es kehrte die besten und edelsten Seiten der Zuhörer hervor und spornte sie zu enormen Leistungen an. Die jungen Frauen hatten die Taue des feindlichen Schiffs überhaupt nicht verfehlen können.
Stolz kamen die beiden Werferinnen zu der Alten und setzten sich nieder. Erwartung lag in ihren Augen.
Ernst griff Aska in die Vorratstöpfe der Kraan und gab jeder der jüngeren ein Stück Brot und Trockenfisch. - Von einem guten Essen nach überstandener Gefahr hatte sie in dem Lied schließlich auch gesungen, und so etwas macht Appetit.
Teri, hoch oben im Mast der Kao-lad hatte alles genau verfolgt. Jetzt sah sie schadenfroh auf das Finderschiff hinab, das hilflos vor dem Wind treibend hinter der Seidenprinzessin zurückblieb. Es würde Tage dauern, Mast und Segel zu bergen und das Schiff wieder einigermaßen manövrierfähig zu machen.
Die Finder hatten ein Beiboot zu Wasser gebracht, das jetzt in weitem Bogen um das Schiff herumfuhr und sich um die Männer kümmerte, die durch den Bruch des Hauptmastes ins Meer geschleudert worden waren.
Immer kleiner wurde das Finderschiff, immer schneller entfernte sich die Kao-lad. Teri sah gerade noch, wie die ersten Finder auf dem schiefliegenden Mastbaum entlangbalancierten und sich an Segeltuch und Tauwerk zu schaffen machten, dann war nicht mehr genau zu erkennen, was auf dem schwer beschädigten Schiff vor sich ging.
Wieder ertönte ein Lied auf der Kao-lad. Doch nicht die Worte der Kraan-Sprache waren es diesmal, die die Luft durchdrangen; die Mannschaft hatte ein fröhliches Seemannslied angestimmt, in dem lauter fürchterliche Gestalten ein Schiff bedrohten, die allesamt von einem pfiffigen Schiffsjungen auf witzige Art abgewehrt werden konnten. So bekam zum Beispiel ein riesiges Seeungeheuer ein Fässchen scharfer Gewürze zu schmecken und der Feuermann, der auf den Rahen tanzte, wurde mit einem Schwall Wasser aus einem Ledereimer verjagt.
Vergnügt kletterte Teri auf das Deck hinab. Die schlechte Laune der Erwachsenen war bestimmt verflogen. Außerdem hatte sie großen Hunger. Sollten Tana und Gerit wegen ihres Ungehorsams noch böse auf sie sein - die Kraan würden ihr bestimmt etwas zu essen geben.
Tana war nicht böse. Tana war erleichtert, dass der Angriff so unblutig hatte abgewehrt werden können. Zum Schein grummelte sie ein wenig herum, suchte Teri dann aber ein Stück besonders gut duftenden Gewürzbrotes aus der kleinen Vorratskiste der Familie. Tana tat Teri Leid, wie sie so schwach dalag und von den köstlichen Vorräten nicht einmal essen konnte. Gerit war zuerst auch seekrank geworden, hatte sich aber nach zwei Tagen wieder gefangen. Voller Mitleid biss Teri in ihr Gewürzbrot und ging fort, als Tana wieder würgende Geräusche von sich gab.
"Wir sollten Harmuged danken!" Der Wind wehte einige Wortfetzen vom Achterdeck herüber, wo Acon, der Pilger, lautstark auf den Kapitän einredete. "Harmuged hat dieses Schiff auf wunderbare Weise errettet!", schrie er fast. "Wir müssen ihm opfern!"
Teri schlenderte näher. Genüßlich kaute sie an der harten Brotrinde herum und verfolgte gebannt das hitzige Gespräch der Männer.
"Ganz offensichtlich habt Ihr nicht recht achtgegeben, Pilger." Der Kapitän sah belustigt auf Acon hinab. "Wenn Euer Harmuged das Schiff errettet hat, wie Ihr sagt, dann haben die Kraan ihm aber sehr gut dabei geholfen."
"Harmuged hat die Hände der Kraan geführt, wie er all unser Tun lenkt! Ihr solltet ihm dankbar sein, dass Ihr noch leben dürft!"
"Ich werde Eurem Harmuged meine Dankbarkeit beweisen, indem ich die Menschen und Waren sicher in den Hafen der Kaiserstadt bringe."
"Harmuged hat geholfen. Harmuged gebührt ein Opfer", beharrte Acon. "Wir Pilger werden die Worte des Dankes zelebrieren und erwarten, dass sich alle an Bord daran beteiligen. Weiterhin erwarten wir, dass Ihr, Kapitän, aus Euren Vorräten ein Opfer für Harmuged hergebt."
"Na gut", willigte der Kapitän ein, "werft meinetwegen einen Löffel Grütze ins Meer, oder wie auch immer Ihr opfert - aber macht mir meine Leute nicht verückt." Er wandte sich ab, um seinem Bootsmann Weisungen zu geben.
Acon wurde blass. So sehr hatten die Worte des Kapitäns ihn getroffen, dass er nach Atem ringen mußte. "Ihr, Ihr spottet Harmuged! Fürchtet Harmugeds Zorn! Fürchtet die Verbannung auf die Insel der ewigen Kälte, wo der lebendige Geist der Spötter und Narren in eisigen Nächten ohne Schutz und Nahrung umherirrt! - Fürchtet das Lachen der Auserwählten, deren Geist auf der Insel der ewigen Wärme in Freuden lebt! - Fürchtet die Boten Harmugeds, die Euch verfolgen werden; die die Stunde Eures Todes schon kennen und ihre Krallen in Euren lebendigen Geist schlagen werden! Neigt Euer Haupt zu Boden und tut Buße! Noch ist es Zeit, der ewigen Kälte zu entfliehen!"
"Gut!" Der Kapitän drehte sich wieder Acon zu, der geifernd vor den Stufen des Achterdecks stand und sich fürs erste verausgabt zu haben schien. "Gut! Das Schiff wurde errettet, und ich sehe ein, dass ich dankbar zu sein habe!"
Acon wartete mit steinernem Gesicht ab. Konnte es sein, dass seine Brandrede so schnell zum Erfolg geführt hatte?
"Gerade habe ich angeordnet, dass aus meinen privaten Beständen ein großer Krug des besten Weines geopfert wird. - Möge er den Kraan gut munden!" Damit war das Gespräch für den Kapitän beendet.
Abrupt drehte Acon sich um und ging zu seinen Leuten, die demütig einige Schritte hinter ihm gewartet hatten. Teri schaute zu, wie die Männer zu ihrem Lagerplatz auf dem Deck gingen und sich dort niederließen.
"Worte des Dankes!", fing Acon unverzüglich an zu rezitieren.
"Worte des Dankes!", wiederholte die kleine Schar seiner Gefolgsleute.
"Dank sei dir, oh Harmuged, für deine große Güte!"
"Dank sei dir, oh Harmuged, für ..."
Teri wurde es langweilig und sie wandte sich wichtigeren Sachen zu. Gemächlich schob sie sich das letzte Stückchen Brot in den Mund und ging dann zu den Kraan hinüber. Aska hatte versprochen, ihr heute das Lied der