Die Schattensurfer. Hubert Wiest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hubert Wiest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847667841
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Marella schon immer Scooter geflogen, schwebten sie zwischen all den anderen. Lässig nahm Marella eine Hand vom Lenker.

      Der Fahrtwind ließ die Hitze des Tages vergessen. Sansibar lehnte sich zur Seite, an Marella vorbei, um mehr von der herrlichen Luft einzuatmen. Sie träumte davon, endlich fünfzehn zu werden, und konnte ihre eigene Kristallfeier gar nicht mehr erwarten. Papa hatte schon angedeutet, dass sie vielleicht auch einen Scooter bekäme. Sicher keinen Aeroflair, aber selbst ein alter Scooter mit Bersolantrieb wäre fantastisch.

      Sansibar schaltete die Kamera ihres TwaddleBands ein. Riesige Häuser, deren Spitzen viel zu hoch waren, um auf das Bild zu passen, sausten vorbei. Sansibar richtete die Kamera auf Marella. Ihre Freundin lachte, als gehöre ihr die ganze Welt.

      „Das nächste Mal nehmt ihr mich aber auch mit“, meldete sich Hannah. Viele Freundinnen schickten Nachrichten auf Sansibars TwaddleBand. Manche ihrer besten Freundinnen kannte Sansibar nur über den Bildschirm, hatte sie noch nie getroffen.

      Marella parkte den Scooter vor dem Lunapark neben all den anderen. Aber nur wenige Scooter sahen so cool aus wie der Aeroflair.

      Im Lunapark schossen Achterbahnen durch die Luft wie sich windende Drachen. Sie schienen ständig zusammenzustoßen und wichen dann doch in letzter Sekunde aus. Dabei spien sie Lichtflammen und drehten sich vorwärts und rückwärts oder rollten zur Seite. Sansibar liebte den Höllenritt durch die Luft. Von alten Bildern wusste sie, wie der Lunapark früher ausgesehen hatte. Schwerfällig und schrecklich langsam waren die Achterbahnen damals gefahren. An starre Stahlgestelle gebunden, konnten sie ihren Kurs nicht verlassen, jedes Mal dieselbe Fahrt. Musste das langweilig gewesen sein.

      Der Eingang führte durch einen riesigen, orangefarbenen Feuermond. Mitarbeiter in lila Uniformen begrüßten alle Gäste einzeln. Ein Junge, nicht älter als 16, seine roten Haare quollen unter der lila Schirmmütze hervor, eilte auf die beiden zu. Auf seiner Stirn leuchtete ein blassgelber Kristall. Der Junge lächelte Marella an: „Einen wunderschönen guten Abend, Marella. Wir freuen uns, dass du den Lunapark besuchst. Ganz besonders möchte ich dir heute den Golden Surfer empfehlen. Er wird dir gefallen.“

      „Woher kennst du den?“, fragte Sansibar ein bisschen neidisch, denn ihren Namen wusste der Junge nicht.

      Marella tippte auf ihren wasserklaren Kristall. „Damit bin ich immer eingeloggt: Sie wissen, wer ich bin und welche Fahrgeschäfte besonders gut zu mir passen.“

      „Cool“, nickte Sansibar.

      „Heute Mittag hat mir der Kristall auch schon geholfen“, erzählte Marella begeistert. „Ich hatte meine Einkaufsliste zu Hause vergessen, aber der Kristall wusste genau, was ich kaufen musste. Und meine ersten zwanzig Punkte habe ich von RUHL auch schon bekommen. Das ist nicht schwierig. Du merkst nicht einmal, wenn deine Gedanken für die Gemeinschaft arbeiten.“

      Der Junge mit den roten Haaren drückte Sansibar ein Formular in die Hand. „Du hast leider noch keinen Kristall. Du musst bitte das Formular ausfüllen.“

      Sansibar trug alle Daten ein. Was die alles wissen wollten, und trotzdem konnte ihr der Rothaarige nicht ein einziges Fahrgeschäft empfehlen, das zu ihr passte. „Du findest sicher etwas“, sagte er knapp. Dann verschwand er hinter einem Tresen aus Mondstein. Mit einer großen Tüte kam er zurück. Sie war mit blauen Klumpen gefüllt. Lächelnd ging er auf Marella zu, hatte nicht einen einzigen Blick für Sansibar übrig.

      „Bitte sehr, Marella, dein Lieblingspopcorn, pflaumenblau, doppelt gezuckert und Mandelgeschmack. Mit besten Empfehlungen vom Lunapark.“

      Marella lächelte ihre Freundin an und sagte: „So ist das, wenn man zur Gesellschaft gehört. Man gibt und bekommt von RUHL.“

      Sansibar platzte fast vor Neid. Pflaumenmandelpopcorn, einfach so, geschenkt. Nächste Woche würde auch ihr Unterricht für die Kristallprüfung beginnen. Sie konnte es gar nicht erwarten. Endlich. RUHL ist cool, tippte sie in ihren Bildschirm am Handgelenk. Lauter nach oben gereckte Daumen blinkten auf.

      Sansibar drückte dem Jungen das ausgefüllte Formular in die Hand. Es dauerte, bis er alles registriert hatte, aber dann durften sie endlich in das Vergnügen eintauchen.

      Marellas pflaumenblaues Popcorn schmeckte fantastisch. Das nächste Mal würde Sansibar die gleiche Mischung bestellen.

      „Als Erstes gehen wir zum Weltraumschwein. Dann fahren wir den Golden Surfer“, schwärmte Marella. Sansibar nickte. Trauben von Menschen schoben sich durch den Park. Die meisten waren furchtbar aufgeregt, hatten rote Gesichter und plapperten, ohne Luft zu holen. Sansibar starrte dem dicken Paar in den aufblasbaren Anzügen nach und dort drüben den Jugendlichen, die sich an Lianen durch den kleinen Dschungel schwangen. Nur mit einer Hand hielten sie sich fest. Sicher wie Gibbons sprangen sie von Ast zu Ast. Erst jetzt bemerkte Sansibar, dass nicht die Jugendlichen nach den Lianen griffen, sondern sich die Lianen um deren Arme wickelten und sie dann durch den Wald schwangen, bis die nächste Liane übernahm.

      „Zu den Schlinglianen gehen wir später“, drängelte Marella und zerrte an Sansibars Arm, als wäre er eine Liane. Sie schob Sansibar in die kleine Gasse neben dem Dschungel. Vor einer Hütte, die wie ein Schweinestall aussah, wartete eine lange Schlange. Ein Misthaufen türmte sich neben dem Eingang auf. Wenigstens stank er nicht. Überall grunzte und quiekte es.

      Endlich waren sie an der Reihe. Sansibar bekam ein lilafarbenes Weltraumschwein mit Zottelfell und Astronautenhelm. Sie kletterte auf den hellblauen Sattel. Das Schwein fühlte sich wie ein lebendes Tier an, warm und weich, aber Sansibar wusste, es war nur eine Maschine, obwohl sogar ein Floh über das Fell hüpfte.

      Ein Mitarbeiter vom Lunapark, gekleidet wie ein Schweinehirte, streifte Sansibar ein Geschirr aus Gurten über und hakte das Geschirr am Sattel ein. Dann wünschte er: „Wilde Fahrt“ und klatschte mit einer Rute auf das Hinterteil des Schweins.

      Das lila Zottelschwein schoss wie eine Rakete aus dem Stall. Es stieg senkrecht in die Luft und kreiste dabei um die eigene Achse. Dann machte es Bocksprünge in schwindelerregender Höhe.

      Sansibar kreischte und schrie. Sie krallte sich am Zottelfell fest. Ihr Herz raste. Sie hatte schreckliche Angst abzustürzen. Im nächsten Augenblick raste Marella vorbei, so dicht, dass sie Sansibar fast heruntergerissen hätte. Marella streckte ihre Arme weit von sich und jauchzte. Auf einmal stürzte Sansibars Schwein in die Tiefe. Es trudelte, überschlug sich, drehte sich wie ein Propeller. Sansibar verlor den Halt, ihre Finger rutschten ab. Sie schrie. Für einen Moment glaubte sie zu fallen. Doch mit einem Ruck hing sie in den Gurten, die sie sicher hielten. Der Ritt war der absolute Wahnsinn. Nach viel zu kurzer Zeit landete das Zottelschwein auch schon sanft im Schweinestall. Sansibars Gesicht glühte wie Lava. Sie sprudelte schier über. „Ich liebe das Weltraumschwein“, tippte Sansibar in ihren Bildschirm am Handgelenk.

      „Ganz schön mutig“, meldete sich ihr Papa.

      „Komm schon, lass uns jetzt zum Golden Surfer gehen, der ist noch viel besser“, drängelte Marella.

      Die beiden Mädchen drückten und schoben sich durch die Menge, ans andere Ende des Parks, dort, wo ein gleißend weißer Berg den ganzen Lunapark überragte. Ein dreidimensionaler Hologramm-Schriftzug schwebte funkelnd darüber: Golden Surfer.

      Hunderte von Menschen warteten davor. Vier Sipos standen neben dem Eingang.

      „Was machen die hier?“, fragte Sansibar. Obwohl Sansibar nichts ausgefressen hatte, meldete sich ihr schlechtes Gewissen beim Anblick der Sicherheitspolizisten. Dabei waren Sipos ausgesprochen höflich. Sie waren im freundlichen Umgang mit den Bürgern geschult. Immer lag ein Lächeln auf ihren Lippen und meistens hatten sie Zeit für einen lockeren Spruch. Wenn man Probleme hatte, halfen sie gerne. Sipos trugen keine militärischen Uniformen mit Schulterklappen, Schirmmütze und Pistolengurt, sondern einen sympathisch blauen Trainingsanzug mit Zickzackmuster an den Seiten, dazu eine blau verspiegelte Brille. Ihre Kristalle saßen auf Frottee-Stirnbändern. Keiner der vier war über ein Orange hinausgekommen.

      „Zum Glück sind die Sipos da“, ereiferte sich Marella und nickte wie zur Bestätigung. „Sie sorgen für unsere Sicherheit. Wenn sie nicht hier wären,