Die Schattensurfer. Hubert Wiest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hubert Wiest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783847667841
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viel jemand für die Gesellschaft geleistet hat.

      Eine wirklich fabelhafte Kombination, wie ich finde. Der Protrektor II braucht keine große Kappe mehr. Er ist klein wie ein Kaugummi und kann in ein tolles Stirnband eingebaut werden. Wie ihr wisst, gibt es Stirnbänder in allen Farben und aus wunderschönen Materialien. Jeder kann sein Stirnband selbst gestalten. Ich persönlich bevorzuge ein schlichtes schwarzes Lederstirnband.“ Doktor Tornham strich über sein Stirnband, ohne den tiefblauen Kristall zu berühren. „Der Protrektor II ist zu Recht als größte Erfindung von RUHL zu bezeichnen. Mit ihm begann vor zehn Jahren die Goldene Kristallzeit. Noch nie ging es allen Menschen in Mallinport so gut. Jeder profitiert davon. Niemand muss mehr in den Armensiedlungen der Nordviertel wohnen. RUHL kümmert sich um alle. Mit unseren leeren Gedanken löst RUHL die Probleme der Gesellschaft. Wir haben so viel Freizeit wie noch nie und können uns vergnügen. Und erinnert euch, RUHL gehört allen Menschen. Alle Menschen sind RUHL. Die Erfindung des Protrektor II war so umwälzend, dass alle gemeinsam beschlossen haben, die Bezeichnung von RUHL zu verändern. RUHL steht nun nicht mehr für Rechnerunterstützte humane Leistung sondern für Rechnerunterstützte Humanleitung.“

      Marella stand auf und klatschte. Einer nach dem anderen folgte. Bald stand die ganze Klasse und applaudierte Doktor Tornham.

      Sansibar klatschte im Takt mit. Es fühlte sich gut an. Ein Schauer kribbelte über ihren Rücken. Doktor Tornhams Worte klangen großartig. Alle Probleme der Menschheit konnten gemeinsam gelöst werden und sie durfte ihren Teil dazu beitragen.

      Doktor Tornham lächelte und wippte im Klatschrhythmus auf und ab. Als er seine Hände waagrecht anhob, verstummte der Beifall.

      Doktor Tornhams Stimme zitterte vor Begeisterung, als er noch einmal wiederholte: „Liebe Kinder, glaubt nicht, dass RUHL eure Gedanken unerlaubt nutzt. Ihr alleine bestimmt, wann und welche leeren Gedanken ihr RUHL zur Verfügung stellt. Es ist kein Schaden für euch und hilft allen Menschen. Den Beitrag, den ihr für die Gesellschaft leistet, erkennt ihr an der Farbe des Kristalls.“

      Marella nickte und zischte Sansibar zu: „Das sagt meine Mutter auch immer. Wenn sie putzt, muss sie nicht so viel denken. Da gibt sie die Hälfte ihrer Gedanken an RUHL ab. Alle haben etwas davon.“

      Sansibar zuckte bei dem Wort Mutter und hatte wieder das Bild ihrer Mama mit dem orangefarbenen T-Shirt und der lilafarbenen Blume vor sich, damals, als sie selbst erst vier Jahre alt gewesen war.

      Sansibar schnippte mit den Fingern und wartete diesmal, bis Doktor Tornham sie aufrief: „Was passiert eigentlich mit unseren Gedanken?“

      „Sehr gute Frage“, lobte Doktor Tornham und ließ ein Hologramm auf der Tafel aufleuchten. Ein birnenförmiges Ding. Es pumpte sich auf und zog sich dann wieder zusammen. Auf der Oberfläche verlief ein Netz roter Adern.

      „Was ist das?“

      Doktor Tornham wartete, bis es wieder mucksmäuschenstill in der Klasse war. Er ließ sich viel Zeit, dann machte er so eine Art Verbeugung vor dem Hologramm und erklärte: „So sieht RUHLs Zentralcomputer aus. Dort werden alle Gedanken gespeichert. Es ist der mächtigste Computer, der jemals erschaffen wurde. Niemand kann die Daten des Zentralcomputers entschlüsseln. Tief unten im Kristallamt steht er sicher geschützt. Die leeren Gedanken der Menschen sind seine Energie. Kein Mensch ist in der Lage, den Zentralcomputer zu verstehen.“

      „Aber wer hat ihn dann gebaut?“, rief Mika dazwischen.

      Doktor Tornham lächelte nachsichtig. „RUHL, also alle Menschen zusammen, haben den Zentralcomputer erschaffen. Nur gemeinsam war das möglich. Eure Eltern zum Beispiel haben mitgeholfen. Ihr könnt stolz auf sie sein. Ihre Gedanken haben dieses technische Meisterwerk erst möglich gemacht.“

      „Kann ich mein Stirnband auch abnehmen? Ich meine, wenn ich einmal einen Gedanken für mich ganz alleine haben will“, fragte Sansibar dazwischen.

      „Natürlich, du kannst das Stirnband jederzeit abnehmen. Das ist überhaupt kein Problem. Aber die Farbe deines Kristalls verbessert sich während dieser Zeit nicht. Deshalb trägst du dein Stirnband am besten immer. Wie gesagt, es tut nicht weh.“

      Weiter kam Doktor Tornham nicht. Der Schulgong beendete die zweite Stunde.

      9 ZU VIEL WASSER

      Luan hörte ein Lachen am Ende des Gangs. Er ging darauf zu. Geschirr klapperte. Dort mussten die anderen sein. Luan griff nach seinem ceeBand. Es gab ihm Sicherheit, den glatten gebogenen Bildschirm zu spüren. Hellblaues Licht glimmte für einen Moment zwischen seinen Fingern auf.

      Statt einer Tür sah Luan nur sich selbst, wie er näher kam. Ein Vorhang aus verspiegeltem Licht hing vor dem Eingang. Luan wusste, er konnte einfach hindurchgehen. Vorsichtig streckte Luan als Erstes eine Hand hindurch. Sie glitt durch den Spiegel wie durch Luft. Luan tastete mit seiner Fußspitze nach dem Licht und dann machte er einfach einen großen Schritt.

      Luan trat in einen Raum, der die Form einer riesigen Kartoffel hatte. Mit sonnengelben Wänden sah er ziemlich gemütlich aus. Um einen runden Tisch saßen fünf Jugendliche. Auf der anderen Seite des Raums schwebten Flauschsofas sanft über dem Boden. Die fünf blickten ihn an und lachten. Nicht, dass sie ihn ausgelacht hätten. Nein, es war ein freundliches Lachen, aber es musste komisch ausgesehen haben, wie Luan so zaghaft durch den Lichtvorhang gestiegen war.

      Pablo stand auf. Sofort war Nacho neben ihm und hechelte Luan begeistert an.

      „Guten Morgen, du Schlafmütze“, sagte Pablo augenzwinkernd und zeigte auf die anderen. „Willkommen bei den Schattensurfern. Das ist Nele, unsere

      beste Programmiererin. Sie weiß auf alles eine Antwort und hat immer eine Meinung, auch wenn man sie gar nicht darum gebeten hat.“

      „Idiot!“, zischte das Mädchen mit strohblonder Igelfrisur. Pablo lachte nur. Neles T-Shirt leuchtete in dem gleichen Hellblau wie ihre viereckige Brille.

      „Und hier haben wir Emil. Emil hackt sich in jeden Server“, fuhr Pablo fort. Ein kleiner Junge sah von seiner Müslischüssel auf und blickte Luan schüchtern an. „Hallo“, sagte Emil mit piepsiger Stimme. Emil konnte nicht älter als zwölf oder höchstens dreizehn Jahre sein.

      „Die Zwillinge heißen Chris und Nick“, sagte Pablo und stellte sich hinter sie. Jeder der Zwillinge war doppelt so breit wie Emil. Auf ihren Tellern türmten sich Omelett-Berge. Die Zwillinge glichen sich beinahe zum Verwechseln, wäre da nicht Chris’ Lockenkopf gewesen. Nicks Haare waren glatt wie Schnittlauch.

      „Hallo, ich heiße Luan. Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagte Luan.

      „Setz dich!“, meinte Pablo und schob Luan auf einen freien Stuhl. „Was möchtest du frühstücken?“

      Die Tischplatte bestand aus einem gläsernen Bildschirm und zeigte die herrlichsten Frühstücksgerichte. Luan tippte auf ein besonders dickes Marmeladenbrot und eine Astroschaummilch, nicht so klebrig.

      „Frühstückt Marc Bodin nicht mit uns?“, fragte Luan, der es kaum erwarten konnte, sein Idol zu treffen.

      Die fünf lachten und kichernd meinte Nele: „Heute leider nicht. Ach übrigens, der Präsident hat unser gemeinsames Mittagessen auch abgesagt.“

      Nick prustete Orangensaft über den Teller. Luan verstand nicht. Was war daran so lustig? „Ich meine, Marc Bodin arbeitet doch hier? Kalawesi hat mir erzählt, dass Marc Bodin der Chef ist.“

      „Richtig, Marc ist hier der Chef, aber nicht nur von den Schattensurfern, sondern von allen Teams. Deshalb frühstückt er nicht mit uns“, sagte Chris.

      Zischend öffnete sich eine Klappe im Tisch. Luans Sandwich und die Astroschaummilch fuhren heraus. Die Astroschaummilch duftete köstlich. Luan nippte daran. Sie war herrlich süß und klebte kein bisschen. So mochte er sie am liebsten.

      „Und ihr fünf programmiert die ganzen Attraktionen für den Lunapark? Ich dachte, ihr seid viel mehr.“

      Die Zwillinge schüttelten sich vor Lachen, Emil kicherte und Nele grinste ihn an, als wäre er nicht ganz richtig