DIE GABE. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847627234
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hatten umarmen lassen. Die Gäste hatten sich förmlich an die Gastgeber herangedrängt und ihre entrückten Gesichter waren in der Lust erglüht, die sie dabei empfanden.

      Thakur hatte nur sehen können was an Deck geschah, aber er hatte sich vorstellen können, dass es auf dem ganzen Schiff so zuging. Plötzlich war eine wilde Wut in ihm aufgeflammt. Warum konnte er nicht einer von denen sein? Warum war er dazu verdammt, zu altern und zu sterben, während die sich immer wieder nach Belieben mit Lebenskraft voll pumpen konnten? Blass vor Zorn und Neid war er von dem Teleskop zurückgewichen und hatte sich auf das Bett gesetzt. Nur langsam hatte er sich wieder beruhigen können. Das Schicksal hatte ihn auf die andere Seite gestellt, da konnte man nichts machen. Man konnte nur Eines tun: Sie töten, wo immer man sie traf!

      Das alles war am ersten Tag gewesen. Jetzt lag Caetans Schiff schon mehr als achtundvierzig Stunden auf Reede. Es schien so, als wenn es diese ergiebigen Jagdgründe nicht so schnell verlassen würde.

      Am späten Nachmittag klopfte es an der Tür. Thakur legte die Tageszeitung beiseite, stand auf und öffnete.

      Greta kam herein. „Izzy noch nicht da?“, fragte sie sofort. „Hallo Thakur.“

      „Hallo Greta. Du bist schnell! Nein Izzy ist noch nicht hier. Von Tel Aviv kommt man nicht so einfach weg wie von Brüssel. Das alte Lied.“

      „Wenn ich die ganze Zeit zurückbekäme, die ich schon auf Izzy gewartet habe, dann könnte ich glatt zwei Monate Urlaub machen“, meinte Greta.

      „Wo wohnst du?“

      „Im Decápolis, Zimmer 414.“

      Thakur nickte zufrieden. So konnte man sie kaum in Verbindung bringen, falls jemand mal auf die Idee kommen sollte, sich die Buchungen der Hotels näher anzusehen.

      In Paris hatten sich ihre Wege zunächst getrennt, und jeder von ihnen hatte ein paar Wochen in seinem Heimatland verbracht. Da man nie weiß, wer gerade die Telefon- und Datenleitungen überwacht, hatten sie in dieser Zeit keinerlei Kontakt miteinander gehabt. Vor zwei Tagen hatte Thakur dann unter dem Nickname „greyscale“ in einem bekannten Blog ein Bild des Miramar-Plaza gepostet. Das Bild hatte die Bezeichnung „panama-city-1932.jpg“ gehabt, was ein Hinweis auf Ort und Zimmernummer gewesen war. „Redcrab“ hatte mit einem Link zu dem Song „Leaving on a jetplane“ geantwortet und „swordfish“ blieb mit dem Link zu „give me a ticket for an aeroplane“ voll im Thema. Die Verständigung hatte gut geklappt. Zwei Tage nachdem Thakur die Nachricht gepostet hatte, saß Greta ihm schon gegenüber und wollte mehr über den Fortgang des Auftrags wissen.

      „Die King Caetan liegt vor der Küste und er ist an Bord“, erzählte Thakur.

      „Woher weißt du das?“

      „Komm mit ins Schlafzimmer und ich zeig’s dir.“

      Greta stand auf und folgte Thakur. „Wow!“, entfuhr es ihr, als sie das riesige Teleskop auf dem schweren Stativ entdeckte, das in der Nähe des Fensters stand. Sofort steuerte sie auf das Gerät zu.

      „Warte noch!“ Thakur setzte sich auf den Stuhl vor das Teleskop, schaute durch das Okular und richtete das Gerät neu aus. Die Elektromotoren summten kurz auf und richteten die Optik wieder genau auf das Schiff. Unmerklich schwenkte das Teleskop um ein paar hundertstel Grad nach rechts. „So, jetzt!“ Thakur gab das Okular frei und stand auf.

      Greta setzte sich, beugte sich zu dem Gerät hinab und konnte ein zweites „Wow!“ nicht unterdrücken. „Zum Greifen nah!“, staunte sie. „Man kann die Glieder der Ankerkette erkennen. Gib mir mal die Fernbedienung.“

      Thakur händigte ihr das Kästchen mit den Steuerelementen für die X- und Y-Achse sowie die Zoom- und Schärfefunktion aus.

      Greta machte sich kurz mit dem Gerät vertraut und ließ dann die Motoren schnurren. Was immer man ihr sonst nachsagen konnte: Berührungsängste mit technischen Anlagen kannte sie nicht. Offenbar suchte sie das ganze Schiff mit maximaler Vergrößerung ab.

      „Ah, da ist er ja!“, knurrte sie plötzlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.

      „Caetan?“

      „Caetan!“, bestätigte Greta. „Ich könnte die Knöpfe an seinem Hemd zählen. Wie kräftig er aussieht. Man möchte schwören, dass er noch keine Fünfzig ist.“ Sie richtete sich auf und reckte sich. „Tolles Gerät!“, meinte sie. „Gibt’s die nicht auch mit Kamerafunktion, sodass das Bild auf einem Monitor erscheint?“

      „Gibt es“, bestätigte Thakur, „aber der Verlust an Bildschärfe ist zu groß. Pure Optik ist besser. Übernimmst du mal die Überwachung? Ich hab schon einen total steifen Hals. Es müsste gleich losgehen.“

      „Was geht los?“ Greta beugte sich wieder über das Okular und strich sich die halblangen, roten Haare in den Nacken.

      „Die Party. Schätze, Caetan bekommt gleich jede Menge Besuch.“

      „War das gestern auch so?“ Greta sah Thakur kurz an.

      „Ja! Lauter Touristen, die er von seinen Leuten einladen lässt.“

      „Ich lade dich zum Essen ein, und du wirst das Essen sein“, meinte Greta und wandte sich wieder dem Teleskop zu.

      „So sieht das aus!“ Thakur verließ den Schlafraum und machte es sich im Wohnzimmer gemütlich. Seine Nackenwirbel knirschten bei jeder Bewegung des Kopfes wie eingerostete Türangeln. - Vielleicht wäre eine Observierung über Okularkamera und Monitor doch besser gewesen.

      Es dauerte nicht lange und aus dem Nebenraum kam die erste Meldung: „Da legen Motorboote an und noch so einige sind aus der Kanalzone unterwegs.“

      „Genau wie gestern.“ Thakur versuchte immer noch, seinen verspannten Nacken wieder geschmeidig zu bekommen. „Schau genau hin. So nah ist man selten dran.“

      Wenig später schien die Party schon voll im Gange zu sein. „Völlig hemmungslos!“, ließ Greta sich hören. „Die wissen gar nicht mehr, was sie tun. – Widerlich! - Die armen Leute!“

      „Hm“, machte Thakur. Er spürte schon wieder den Neid in sich aufsteigen. „Das geht jetzt noch eine Zeit so weiter. Das wollte ich nur wissen - dass die jeden Abend Party machen, meine ich.“

      „Ich will da hin!“ Greta kam durch die Tür und zeigte hinaus auf das Meer, wo das große Segelschiff gemächlich in der Dünung auf und ab schwang. Mit bloßem Auge betrachtet war es so klein, dass man es mit dem Daumen der ausgestreckten Hand hätte abdecken können. „Ich habe einen Plan und ich will auf das Schiff!“

      „Lass uns das bereden, wenn Izzy da ist“, schlug Thakur vor. So hatten sie es immer gemacht und daran würde sich auch nichts ändern. „Für heute ist Feierabend. Was meinst du, wollen wir uns ein nettes Restaurant in der Stadt suchen? Ich lade dich ein.“

      „Ich bin dabei.“ Greta hatte sofort begriffen, dass es sinnlos war, mit ihrem Plan vorpreschen zu wollen, solange sie noch nicht vollzählig waren. Vielleicht hatte Izzy ja einen noch viel besseren Vorschlag. „Außer Bordverpflegung habe ich heute noch nichts gehabt. Mit was willst du mich denn füttern?“

      „Schauen wir mal.“ Thakur setzte sich vor sein Notebook. Greta kam heran und sah ihm über die Schulter. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ein Lokal gefunden, das ihren Ansprüchen genügte. Es wurde sogar ein kleines Unterhaltungsprogramm geboten, und Thakur reservierte sofort online einen Tisch für neun Uhr.

      „Ein bisschen Zeit haben wir noch. Vorher einen kleinen Stadtbummel? Wir nehmen uns ein Taxi, lassen uns schon mal in die Nähe des Restaurants bringen und laufen ein bisschen rum.“

      „Gern!“ Greta griff nach ihrer Handtasche, steuerte auf das Bad zu und schloss die Tür hinter sich. Nach zwei Minuten tauchte sie wieder auf. „Kann losgehen!“, verkündete sie. „Meinst du, dass noch ein paar Läden auf haben?“

      „Aber sicher!“ Gut gelaunt ließ Thakur seiner Kollegin an der Zimmertür den Vortritt. Er war zufrieden. Der Job lief gut an und das Restaurant,