„Was willst du?“ Sepp Laubmayer drängelte. Er konnte nicht einfach auflegen, Monika ließ sich nicht abwimmeln. Wenn sie etwas wollte dann bekam sie es auch.
„Das Kind muss beerdigt werden.“
„Aha. Und da kommst du zu mir?“
„Zu wem denn sonst? Es ist deine Tochter.“
„Habe ich nicht schon genug gezahlt? Lass mich endlich in Ruhe! Du wirst keinen Cent mehr bekommen.“
„Überleg dir das gut, Seppilein. Denk an die Polaroids. Die sind zwar farblich nicht mehr ganz so gut, aber man kann dich immer noch gut erkennen.“
„Du hast sie also doch noch! Du verlogene Schlange hast mir versprochen, sie zu vernichten!“
„Du müsstest mich besser kennen.“
„Gut. Wenn ich zahle, dann nur unter einer Bedingung: Ich möchte im Gegenzug die Polaroids haben.“
„Darüber können wir reden, Seppilein.“
Sepp Laubmayer wusste, dass er zahlen musste. Aber wie sollte er das anstellen? Seit er im Ruhestand war gab es nur noch ein Konto, das er sich mit seiner Frau teilte. Seine Frau hatte darauf bestanden und er hatte sich überreden lassen. Er musste sich etwas überlegen. An Hermine verschwendete er keinen Gedanken. Sie war tot – und das war gut so. Wenn sie nicht mehr war, hatte er auch endlich Ruhe vor Monika. Sollte sie dennoch irgendwann auftauchen und weitere Forderungen stellen, hatte sie kein Druckmittel mehr, denn die Polaroids wären in seinem Besitz. Und wer würde einer durchgeknallten Künstlerin ohne Beweise glauben?
Monika Giesinger wählte die nächste Nummer.
„Hallo Peter, hier ist die Moni-Maus.“
„Moni? Ich bin überrascht. Ich dachte, nach der letzten Zahlung würde ich nie wieder von dir hören.“
„Ich habe eine traurige Nachricht für dich: Deine Tochter ist tot.“
Dieses Gespräch verlief nicht ganz so negativ wie das vorherige. Peter war bei weitem freundlicher, allerdings war bei ihm nicht viel zu holen. Es gab vielleicht mal ein paar hundert Euro, während der Sepp stinkreich war und sehr viel mehr locker machte.
„Das tut mir sehr leid, Moni. Schade, dass ich Hermine nie kennenlernen konnte.“ Ein Kennenlernen hatte Monika Giesinger nicht zulassen können, denn sonst hätte Peter den Braten gerochen. Peter war schwarz und Hermine weiß. Es wäre dem Dümmsten aufgefallen, dass da etwas nicht stimmte. Monika hatte ihm vor vielen Jahren einmal ein Foto eines farbigen Mädchens zukommen lassen und Peter war damit zufrieden.
„Das Kind muss beerdigt werden“, sagte Monika leise.
„Und du bist wie immer klamm.“
„Richtig.“
„Ich würde dir gerne helfen, aber mir geht es momentan selbst nicht gut.“ Er erzählte von einem Arbeitsunfall, der Monika nicht interessierte. Während er sprach, öffnete sie eine weitere Flasche. Sie holte eine Packung Debreziner Würste aus dem Kühlschrank und aß eine Wurst nach der anderen. Sie sagte kein Wort, was Peter nicht zu stören schien. Als er eine Pause machte, hakte sie sofort ein.
„Kannst du überhaupt nichts zahlen? Es ist deine Tochter!“
„Ich sehe zu, was ich machen kann. Aber viel wird es nicht werden, sorry.“
Monika war nicht überrascht und wählte die nächste Nummer. Die Namen auf ihrer Liste hatte sie nicht willkürlich in dieser Reihenfolge aufgeschrieben. Sie hatte sieben potenzielle Väter in all den Jahren bei extremer Geldnot sporadisch angezapft, die ihr alle die vermeintliche Vaterschaft abnahmen. Dass keiner von ihnen der leibliche Vater war, behielt sie für sich.
Jean-Pierre war Hermines Vater. Wie hatte sie den Franzosen geliebt! Aber er war schon lange tot. Er starb, als Hermine noch nicht einmal zwei Jahre alt war. Jean-Pierre war kein Freigeist wie sie, sondern sehr zielstrebig und fleißig. Er war Banker und wollte ganz nach oben. Dafür schuftete er Tag und Nacht. Diesen Stress hielt er nur mit Kokain aus - und an diesem Teufelszeug verstarb er. Ob es eine zu hohe Dosis war oder das Kokain verdreckt war, wusste sie nicht. Die Polizisten wollten oder konnten es ihr nicht sagen, und letztendlich war es auch egal. Tot war tot. Monika wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Jean-Pierre war ihre große Liebe gewesen, aber das war lange vorbei. Wie wohl ihr Leben verlaufen wäre, wenn Jean-Pierre auf sie gehört hätte und dieses verdammte Kokain nicht genommen hätte? Sie wischte diese Gedanken beiseite. Es war nun mal so, wie es war, damit musste sie zurechtkommen. Während sie ein weiteres Glas Wein einschenkte, blickte sie auf ihre Überlebensliste, wie sie sie gerne nannte.
Sepp stand ganz oben, denn er war reich. Danach folgte Peter, der spendabel war, wenn er gerade einen Job hatte. Bei den restlichen Namen handelte es sich um arme Schlucker, von denen nicht viel zu holen war. Es gab mal hier und da hundert Euro, aber das war es auch schon. Sie hätte sich ihre Liebhaber sorgfältiger aussuchen müssen! Außer Peter hatte keiner von ihnen jemals Ambitionen gezeigt, zur Familie zu gehören oder die Tochter sehen zu wollen. Auch das überraschte Monika nicht, denn für sie bestand die ganze Welt aus Egoisten, zu denen sie sich auch zählte. Gefühlsduseleien waren ihr zuwider. Seit Jean-Pierre tot war, hatte sie jegliche Gefühle anderen gegenüber ausgeschaltet, auch die zu ihrer Tochter. Wenn sie nur an sich dachte, war sie am besten dran. Deshalb hatte sie Hermine zu ihrer Mutter gegeben, die sich liebevoll um die Kleine gekümmert hatte. Wie hätte sie sich um ein kleines Kind kümmern können? Sie wusste ja oft selbst nicht, wie sie über die Runden kommen sollte.
Vor acht Jahren hatte sie das Glück gehabt, einen Galeristen zu finden,