Die Spur des unbekannten Bruders. Winfried Paarmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Winfried Paarmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738041125
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Baubüro lag in einem nördlichen Vorort von Graz, zwei Autostunden von der eigentlichen Baustelle entfernt: jener ersten auf dem hinteren Berghang eines dicht bewaldeten Eintausenders, in fünfhundert Meter Höhe.

      Ich besuchte ihn dort erstmals an diesem Tag.

      Der Blick aus den Fenstern erlaubte einen weiten Ausblick auf das Grazer Bergland, bei klarem Wetter reichte er bis zu den weißen Gipfeln des Dachsteingebirges.

      In Richards Arbeitszimmer waren die Wände dicht mit Zeichnungen gepflastert. Sie zeigten in unterschiedlichen Perspektiven die Bergvilla, mit deren Bau man inzwischen begonnen hatte. Sie hatte etwas sonderbar Festungsähnliches. Auch Zeichnungen der neuen Hotelanlage waren aufgehängt, ein Bau mit einer pompösen Front, die Luxus signalisierte.

      Einer der Unterhändler hatte seinen Besuch angekündigt. Es war ein Italiener, er erkundigte sich in gebrochenem Deutsch, nach dem Fortgang des Bauprojekts und sah Akten ein. Der Mann machte einen ungeduldigen Eindruck, ich sah, dass er meinem Vater nicht besonders sympathisch war. Er sprach ein Deutsch, das ein Gemisch von Hochdeutsch mit Schweizer Dialekteinschüben und italienischen Wortbrocken war, und er verübelte es Richard, wenn er die Sätze nicht augenblicklich verstand. Mein Vater hatte sich ein anfängliches Italienisch zu Eigen gemacht, er bot dem Mann an, ihm seine Fragen auf Italienisch stellen. Doch der sah seinen Ehrgeiz darin, ein fließendes Deutsch zu sprechen. Schließlich wurde er als Unterhändler dafür bezahlt.

      Richard hatte eine unangenehme Nachricht für ihn: Ein Anwaltsschreiben hatte ihn in Kenntnis gesetzt, dass die Besitzer der Alpenpension plötzlich nicht mehr bereit waren, diese Pension zu räumen. Außerdem meldete die Stadt Graz Einwände an, man wollte einen mehr „landschaftsgerechten“ Bau, der in der Tradition der alpinen Pensionen und Hotelgebäude errichtet wurde.

      Der Mann gab sich, als verstünde er nicht. Dann schäumte er plötzlich. Ein Gemisch von deutschen und italienischen Flüchen quoll aus seinem Mund. Die Flüche galten der Österreichischen Gerichtsbarkeit und der Sturheit der Pensionsbesitzer wie den Österreichern in ihrer Gesamtheit. Er werde mit seinem Chef sprechen. Er versuchte zu telefonieren, doch er erreichte ihn nicht. Damit schlug die Tür hinter ihm zu.

      Mein Vater fühlte seit Tagen eine gewisse Verunsicherung. Die Entwürfe sowohl für die Bergvilla wie auch für die Hotelanlage hatten ihn zunächst fasziniert. Sie waren in ihrem Stil durchdacht, bis in viele kleine Details, sie zeigten modernen Schwung, auch die Bergvilla, so sehr sie dieses Festungsähnliche hatte. Und doch: Es blieb ein Empfinden, dass sie innerhalb dieser Bergwelt etwas wie Fremdkörper waren. Oder ging es nur um eine Sache der Gewohnheit?

      Er hatte die Verträge als Bauleiter unterschrieben. Und es sollte ihm und seinem Mitarbeiterstab über Monate ein festes Einkommen sichern.

      Eine Wirtshausschlägerei mit tödlichem Ausgang

      Ich berichtete bereits, dass ich gemeinsam mit meinen Verlobten Alexander nach Graz übergesiedelt war.

      Mein Vater wohnte in einer schon etwas alterswürdigen Pension mit zwei Zimmern nahe dem Arbeitsbüro, und wir hatten eben in der Küche ein gemeinsames Abendessen beschlossen, als wir Alexander auf der Straße vor dem Fenster trompeten hörten. Es war seine Art sich anzukündigen.

      Wenig später saßen wir zu dritt um den Küchentisch, wir hatten alles zusammengesucht, was essbar war. Richard aß sein Frühstück und seine Mittagsmahlzeit im Arbeitsbüro, er meinte somit, das Abendessen und jede weitere Essenvorsorge vernachlässigen zu können. Doch wir fanden frische Radieschen und Erdbeerejogurtbecher.

      Alexander kam schließlich auf einen Vorfall zu sprechen, der sich vor etwa zwei Wochen ereignet hatte - in jener größeren Kneipe, in der er wöchentlich einmal seinen Auftritt als Jazztrompeter hatte. Ausnahmsweise war er in der Kneipe diesmal bereits am frühen Nachmittag aufgetaucht, gerade als sie geöffnet hatte, er wollte mit dem Wirt etwas für seinen späteren Abendauftritt besprechen. Da traten zwei Männer mit südländischem Aussehen ein. Sie winkten den Wirt in eine Ecke hinter dem Tresen, und der eine flüsterte auf ihn ein. Das Gesicht des Wirtes versteinerte sich, plötzlich spuckte er aus, dem einen der Männer fast ins Gesicht. Als er sich wieder seinem Spülbecken zuwandte, griff ihn der Mann hart am Arm, sein Flüstern klang jetzt hart; unüberhörbar war dies eine Drohung. Der Wirt riss sich los, wieder spuckte er aus, da griff auch der zweite Mann seinen Arm und versuchte, ihn dem Wirt auf den Rücken zu drehen. Ein jetzt bedrohlicher Angriff. Ein einziger Gast war anwesend, ein schon älterer Mann, er sprang in Richtung des Tresen und war entschlossen, dem Wirt Beistand zu leisten.

      Ein Handgemenge setzte ein, dass sich augenblicksschnell in eine aggressive Kampfszene verwandelte. Man schlug mit Fäusten, attackierte sich mit Tritten, der Wirt griff schließlich eine Flasche und schlug damit auf die Dunkelhaarigen ein. Eine gefährliche Eskalation. Auch diese griffen sich jetzt Flaschen. Der Wirt, ein ehemaliger Ringer, war kampferprobt. Den einen der Männer zwang er jetzt in die Knie - während sein Mitstreiter, der schon ältere Gast, nach einem Faustschlag benommen taumelte und nun, nochmals getroffen, rückwärts kippte und mit dem Kopf auf den harten Steinboden schlug.

      Die beiden Männer entfernten sich mit einer letzten drohenden Geste zur Tür. Alexander konnte durch das Fenster das Autokennzeichen ihres geparkten Wagens erkennen. Der Wirt telefonierte mit der Polizei.

      Minuten später waren zwei Polizisten und ein Krankenwagen zur Stelle. Der Mann lag immer noch bewusstlos in seinem Blut. Ein anderer Polizeiwagen konnte mit dem von Alexander genannten Kennzeichen das Auto am späteren Abend aufzuspüren. Man nahm die beiden Insassen fest.

      Zugleich erfuhr Alexander, dass der ältere Mann, der Gast, nach dem harten Aufschlag auf dem Steinboden im Krankenhaus verstorben war.

      Die beiden Männer, zwei Italiener, standen nun unter der Anklage des Totschlags. – Beide behaupteten zunächst, nur zufällig in dem gesuchten Auto gesessen zu haben und nicht in der Kneipe gewesen zu sein. Doch der eine wurde auf Grund seiner ausgeprägten Hakennase und anderer Kennzeichen eindeutig identifiziert.

      Alexander hatte vor der Polizei seine Aussage gemacht. Am folgenden Tag wurde er nochmals aufs Revier gerufen.

      Der klar Identifizierte unterbreitete eine andere Version: Demnach war der Wirt mit dem Gast in Streit geraten, der Sturz auf den Steinboden ging auf eine gewalttätige Aktion des Wirtes zurück. – Leider war der Wirt dafür bekannt, dass er zu aggressiven Ausbrüchen neigte, er hatte einige Gewaltdelikte begangen und war dafür vorbestraft. Alexander hatte ihn immer nur als den eher gemütvollen Kumpel kennengelernt. Doch man erzählte sich, dass er, selbst in nüchterndem Zustand, rasch die Kontrolle verlor.

      Zwei Tage später wurden die Männer für eine hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt.

      Sie erhielten die Auflage, sich wöchentlich einmal bei der Polizei zu melden. Doch bisher war keiner dieser Aufforderung nachgekommen. Ihre zwei Apartments in Graz hatten sie aufgelöst.

      Der Kneipenwirt war seit diesem Vorfall in Unruhe. Die Männer waren wieder auf freiem Fuß. Er fürchtete eine Racheaktion.

      Gestern hatte ihn Alexander noch einmal direkt darauf angesprochen. Längst hatte er diesen Verdacht. Handelte es sich um eine Schutzgeldforderung? Es hatte eine solche Aktion, so erzählte man sich, bereits zwei Tage zuvor in einer anderen Gastwirtschaft gegeben.

      Man befand sich in Graz; keiner Metropole wie Wien oder Rom, keiner Räuberhöhle wie Neapel, in der Gangster und Schutzgelderpresser wie selbstverständlich ihre Nester bauten. Doch Graz lag wenige Autostunden entfernt von der italienischen Grenze. Für potentielle Gangster der italienischen Mafia nur ein Sprung.

      Alexander hatte mir bisher wenig darüber mitgeteilt. Er wollte mich mit solchen Dingen nicht beunruhigen. – Doch war er jetzt möglicherweise selbst bedroht?

      Für den angesetzten Gerichtstermin war er als Hauptzeuge vorgesehen. Es konnte ihm nichts Besseres geschehen, als dass die zwei Gangster für immer verschwunden blieben.

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