Irgendwann in der dritten Woche fing Gunther Sander gegenüber an, laut über eine eventuelle Trennung von Julia zu reden. Er fragte ihn sogar, ob es möglich sei, sie aus dem Vertrag herauszunehmen.
"Daran dürfen Sie noch nicht einmal denken." Sander saß wie immer in seinem Korbstuhl in der Sonne und schaute Gunther ruhig unter halbgeschlossenen Augenlidern hervor an. Wieder staunte Gunther, wie kraftvoll, ja geradezu mächtig die Stimme des Alten klang. Es war, als käme sie gar nicht aus dem Mund eines Menschen, sondern dränge wie dumpfes Grollen aus einem Gewölbe.
"Sie wird immer schwieriger", versuchte Gunther zu erklären. "Ich möchte hier ja gern mit ihr in Frieden leben, aber ..."
"Ich wiederhole mich nicht gern!" Sanders Gesicht war gleichmütig, aber es lag immer noch dieser drohende Unterton in seiner Stimme. "Nur so viel: Ich mag ihre kleine Freundin. Sie ist ein sauberes Mädchen, und ich werde nicht zulassen, dass sie ausgebootet wird. - Sie beide bekommen das Haus, oder keiner kriegt es."
"Ja, Moment mal", begann Gunther, "wir haben eine schriftliche Vereinbarung, Sie und ich. Es wäre nett, wenn Sie sich ..."
"Dann halten Sie sich auch daran." Sander drehte die rechte Handfläche nach oben und schob sie Gunther ein Stück weit entgegen, als wolle er ihm etwas reichen. "Soweit ich weiß, steht ihre Freundin mit im Vertrag. - Im Übrigen wissen Sie so gut wie ich, dass der Fetzen nichts wert ist", fuhr er leidenschaftslos fort. "Das wäre nicht der erste Fall, in dem ein Pärchen versucht, einen alten Mann über den Block zu ziehen. - Versuchen Sie mal einem Richter klar zu machen, dass sie einen todkranken Rentner darauf festnageln wollen, sein Haus fast zu verschenken."
"Verdammt noch mal, Sie haben doch selbst vorgeschlagen ..."
"Gar nichts hab' ich", behauptete Sander. Es war unheimlich, wie unbeweglich er dasaß, und Gunther geradezu schläfrig ansah, während er diese Ungeheuerlichkeiten aussprach. "Was ich weiß, ist, dass ein Betrügerpärchen mir mein Häuschen abluchsen wollte, und dass ich es noch gerade rechtzeitig gemerkt habe."
"Aber ich ..."
"Es wäre, glaube ich, besser, wenn Sie jetzt gehen." Sander ließ den völlig entsetzten Gunther nicht zu Wort kommen. "Oder wollen Sie mich etwa unter Druck setzen? - Damit würden Sie Ihre Lage wesentlich verschlimmern."
Gunther war wie betäubt. Alles was er in zwei Wochen erreicht zu haben glaubte, war innerhalb weniger Sekunden in sich zusammengefallen, wie eine Sandburg in der ersten Welle. Nie hätte er gedacht, dass Sander, mit dem er sich so gut verstand, mit dem er stundenlange Gespräche geführt hatte, der sein Vertrauter, ja fast sein Freund war, ihn so behandeln würde. Langsam stand er auf und ging zu seinem Wagen. Was sollte werden, wenn Sander ernst machte, und den Vertrag nicht unterschrieb?
Das war ja der helle Wahnsinn! Jetzt begann Gunther erst zu begreifen, dass Julia mit ihrer Meckerei vielleicht doch nicht so Unrecht gehabt hatte. Plötzlich verstand er ihre Sorge, in ein paar Wochen ohne Wohnung dazustehen. Er begriff jetzt, dass seiner Macht Grenzen gesetzt waren. - Wie konnte er die Sache wieder geradebiegen? - Und wenn das nicht gelang, wo, zum Teufel, sollte er wohnen?
Blass und von plötzlicher Übelkeit geplagt öffnete Gunther die Fahrertür. "Ist - ist der Vertrag jetzt geplatzt?", fragte er über das Dach des Wagens hinweg, und musste sich räuspern, weil der Hals ihm eng geworden war.
"Sie haben gehört, was ich gesagt habe", meinte Sander und griff nach seiner Bierflasche. "Richten Sie sich danach, oder lassen Sie es sein. - Aber merken Sie sich: In dieser Sache schlägt nur einer den Takt, und das bin ich! - Verlassen Sie jetzt bitte mein Grundstück. - Sofort!"
Gunther stieg ein. Seine Hände zitterten und er verfehlte das Zündschloss beim ersten Versuch. Dann würgte er in seiner Aufregung sogar den Motor ab, was ihm bei diesem Wagen überhaupt noch nie passiert war. Hektisch startete er nochmals, der Motor heulte auf, und schnell nahm er den Fuß vom Gas. Langsam ließ er den Wagen anrollen. Das letzte, was er im Rückspiegel sah, war, dass der Alte seelenruhig in der Sonne saß, und den Bügelverschluss seiner Flasche aufdrückte. "Bumm, wieder ein Feind weniger!", lachte Gunther böse auf, und die Worte schmeckten wie Galle. Plötzlich war es ihm, als brande eine gewaltige Welle der Wut durch seinen Körper. Ihm wurde es heiß. Blindwütig trat er das Gaspedal voll durch, der BMW machte einen Satz nach vorne und zog dabei zwei schwarze Spuren auf das Ziegelpflaster. - Was war dieser alte Säufer doch für ein elendes Schwein!
Gunther kannte den Weg durch den Wald. Die Straße war zwar schmal, aber nicht gefährlich. Er war schon etliche Male hier entlanggefahren, und meistens war er angetrunken gewesen, wenn er in diese Richtung fuhr. Heute war Gunther stocknüchtern, aber er fuhr zu schnell. Er war so sehr in seiner Enttäuschung, seiner Wut und seiner Angst gefangen, dass er fast im Graben gelandet wäre.
Sander war zufrieden. Er wusste, was Gunther versuchen würde, wenn er zu Hause ankam. - Schade, dass er nicht dabei sein konnte, wenn der Trottel den Rest der Lektion bekam. - Ebenso schade, dass er jetzt aufstehen, und sich sein nächstes Bier selbst holen musste, aber er wollte noch ein wenig auf dem Hof sitzen und den Abend genießen. - Es war doch wirklich ein zu schöner Tag heute.
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