Der Mörder Ihrer Majestät. Martin Cordemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Cordemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847699989
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brachte nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Aber warum sagte man mir nicht, wer ich war? Wäre das ein zu großer Schock? War es nicht Schock genug, dass ich nicht wusste, wer ich war? Oder hatte es einen Vorteil, dass ich darüber im Dunkeln tappte?

      Meine ersten Worte waren mehr ein Husten, aber der Arzt konnte sie verstehen. Jedenfalls tat er so. Es war auch der Tag, an dem mein „Freund“ wiederkam.

      „Ich hatte eine Menge zu tun, tut mir leid, dass ich jetzt erst wiederkomme“, sagte er.

      „Uaahh“, war meine etwas vage Antwort.

      Mein „Freund“ sah den Arzt an, oder er sah in die Richtung, aus der zuvor seine Stimme gekommen war.

      „Er kann sprechen?“

      „Es ist ein Anfang.“

      „Freund“ strahlte mich an. „Wenn du so weitermachst, singst du uns in ein paar Tagen was vor.“

      Erst laufen, jetzt singen, was als nächstes? Fliegen? Musste man einem Patienten unrealistische Versprechungen machen? Nahm man an, dass er zu krank war, um zu verstehen, dass das nur leeres Gerede war? Oder sollte das aufmuntern, stimulieren, dafür sorgen, dass der Heilungsprozess schneller voran ging?

      „Du machst dir zu viele Gedanken“, sagte „Freund“. „Und du weißt wirklich nicht, wer ich bin?“

      „Argh!“

      „Mann!“ Er lachte. „Hey, weißt du, dass du mir noch Geld schuldest?“ Er sah mich ernst an. Dann lachte er wieder. „Nein, war nur Spaß! Du schuldest niemandem was… wir schulden dir eine Menge. Eine ganze Menge!“ Er nickte mir zu. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich dir irgendwann ein zweites Mal vorstellen müsste, Junge, aber offensichtlich muss es wohl sein. Ich bin Mel, Mel Agis.“

      Endlich, ein Name zu einem Gesicht. Aber wo war mein Name – und wie sah mein Gesicht aus? Ich hatte keine Idee. Weder für das eine, noch für das andere. Ich wusste nicht, wie mein Körper aussah. War ich sportlich, war ich fett? Ich hätte eine Menge abgenommen haben können, durch das Liegen im Bett. Durch die künstliche Ernährung. Ich wusste gar nichts!

      „Ich sehe schon wieder diesen verzweifelten Blick“, sagte Mel. War er „Mel“? Hatte ich ihn so genannt? Oder hatten wir Spitznamen füreinander? Nannte ich ihn „Agi“? Oder vielleicht „Chef“? War er mein Vorgesetzter? Zu viele wirre Gedanken konnten Panik auslösen…

      „Ganz ruhig! Atme tief durch, du Held. Du hast schon schlimmeres durchgestanden als das hier.“

      Hatte ich?

      „Ja, das hast du. Das hier muss doch ein Urlaub für dich sein.“

      Es war eher das Gegenteil, es war die Hölle. Sich nicht rühren, sich nicht verständlich machen zu können, nicht zu wissen, wer man war, warum man hier war und was mit einem geschah… es war schrecklich!

      „Du willst wissen, wer du bist?!“

      Ja, das wollte ich.

      „Ich kann dir deinen Namen sagen.“

      Ich wollte ihn hören.

      „Dein Name ist…“

      Er machte eine dramatische Pause. Warum? Was war mit meinem Namen? War er ein Geheimnis? War er eine Gefahr? War ich der Präsident? War ich ein Diktator? Würde mein Name ein Schock für mich sein? Würde er alle Erinnerungen zurückbringen, Erinnerungen an schreckliche Dinge, die ich getan hatte? Würde mein Name mich vernichten, mir den Mut nehmen, die Kraft, würde er Erinnerungen über mich spülen, die mich das Vergessen zurückwünschen lassen würden? War ich der größte Massenmörder der Geschichte?

      „…Arnold Zudikas.“

      Das… sagte mir gar nichts!

      Er sah mich fragend an. Ich versuchte, die Schultern zu heben. Es gelang sogar ein wenig. Sein Blick zeigte Verständnis.

      „Ich fürchte, das muss für heute reichen“, sagte er, lächelte mir noch einmal zu und ging mit einem „Besser dich, du Held!“

      Ich würde es versuchen.

      Der Arzt trat in mein Blickfeld.

      „Ruhen Sie sich jetzt aus“, meinte er. „Und probieren Sie später noch einmal, langsam zu sprechen. Wir schicken Ihnen jemanden, der Ihnen dabei hilft, sobald er frei für Sie ist. Sie sind auf dem besten Weg!“

      Ja, das hörte ich ständig. Ich war auf dem besten Weg, auf dem Weg der Besserung, in ein paar Tagen würde ich singen und laufen und tanzen und springen können. Ich war… Arnold Zudikas.

      Es war erschreckend, wie wenig mir das half. Es war kein Name, der irgendeine Reaktion bei mir auslöste. Keine Erinnerungen wurden dadurch geweckt, keine Bilder, nichts. Es war nur ein Name. Es war mein Name, offenbar. Aber er schien mir nichts zu bedeuten.

      Das war fast noch frustrierender, als an das Bett gefesselt zu sein und sich nicht rühren zu können. Da gab es einen ersten Hinweis auf die eigene Vergangenheit, einen möglichen Schlüssel zur Erinnerung – doch der Schlüssel passte nicht. Oder er bewegte sich nicht im Schloss. Nichts passierte. Ich hatte einen Namen, mehr nicht. Arnold Zudikas. Das war ich. Wahrscheinlich. Vielleicht war ich es mal gewesen. Vielleicht verbanden andere Menschen mehr mit Arnold Zudikas, mir kam er schlicht unbekannt vor, fast schon unbedeutend.

      Wer war Arnold Zudikas? War er Zahnarzt? Pilot? Grundschullehrer? Nun, er war ein Held. Zumindest war er das für Mel. Nein, zumindest nannte Mel ihn so. Aber vielleicht war das nur ironisch. Vielleicht war Arnold Zudikas der größte Feigling, den Mel Agis kannte? Vielleicht war ich durch eine große, durch Feigheit ausgelöste Dummheit hier gelandet? Vielleicht zog er mich nur auf damit, dass ich ein Held wäre?

      Ungewissheit! Ständige Ungewissheit! Es war frustrierend.

      „Un“, sagte ich, „ge“, und mühsam „wiss“, Schlucken, „heit!“

      Mein erstes Wort, mein erster Satz, meine erste Aussage. Doch in Wirklichkeit wollte ich sagen: „Fru“, Atmen, „triet!“ Es sollte frustrierend heißen und es war frustrierend, dass ich frustrierend nicht sagen konnte. Arnold Zudikas. Nein, an die beiden Wörter würde ich mich noch nicht heranwagen. Vielleicht ein andermal. Wenn sie eine Bedeutung für mich bekommen hatten. Falls sie jemals eine Bedeutung für mich bekamen!

      Schlimme Träume kamen in der Nacht. War es Nacht? Durch das Fenster schien immer dasselbe fahle Licht. Außer, wenn es die Sonne schaffte, sich durch die matte Scheibe zu stehlen. Wenn es denn die Sonne war. Doch im Moment gab es nichts davon zu sehen oder zu spüren, warm auf der Haut. Nur das Fahl. Und ein wenig Gewitter. Donner. Krieg? Waren es Bomben? Wo fielen sie? Wer warf sie? Auf wen?

      Ja, wir waren im Krieg. Oder? In einem Konflikt. Es war nicht sicher da draußen. Die dunklen Gedanken, das dunkle Gefühl, dass da draußen etwas Ungutes vor sich ging, das mich vor einiger Zeit beschlichen hatte, war zurückgekehrt. Irgendetwas war dort. Die Beklemmung kehrte zurück. Es war… nicht die Welt, von der ich in meiner Jugend gelesen hatte. Nicht diese ganze Science Fiction. Es war… etwas Schlimmes. Oder bildete ich mir das nur ein? Waren das die Alpträume, die sich ihren Weg in mein Bewusstsein suchten?

      Ich atmete langsam durch. Das Gewitter verstummte. Ich kannte meinen Namen. Und doch… hatte ich ein ungutes Gefühl!

      Langsam wurde es besser. Ob es daran lag, dass sie ständig behaupteten, es würde mir besser gehen oder ob die Medikamente endlich ihre Wirkung zeigten, ich wusste es nicht. Wichtig war nur das Ergebnis.

      Ich konnte meine Füße fühlen, meine Hände, meinen Kopf wieder etwas bewegen, sogar mit den Schultern zucken. Meine Aussprache ließ noch zu wünschen übrig, aber ein „Nein“ konnte ich durch Kopfschütteln vermitteln – und ein „Ja“ durch Nicken. Nur mein Gedächtnis ließ noch auf sich warten.

      „Ich habe hier etwas für Sie“, sagte eines Tages der Mann in Weiß, ein Pfleger namens Phil, wie ich inzwischen wusste.

      „Sind es