Charlotte schüttelte den Kopf und klärte die Freunde über Cindys Panikattacken auf. Trotzdem - das miese Gefühl blieb. Hätten sie Cindy zwingen sollen? Nein, befand Charlotte schließlich. Es war die richtige Entscheidung. Sie überlegte einen Moment. Oder war es doch Egoismus? Cindy war sehr sensibel, vielleicht zu sensibel für diese neue Welt der Untoten. Was, wenn sie angegriffen würden? Cindy wäre ein Klotz am Bein, es mochte hart klingen, aber es traf den Kern der Sache.
Charlotte verdrängte die Gedanken. Sie machten keinen Sinn. Cindy war geblieben, sie würden sich nicht wiedersehen. Punkt.
Der Wind wurde stärker, kurz darauf setzte heftiger Regen ein. Obwohl es um die Mittagszeit war, war es fast dunkel geworden und Roland schaltete die Scheinwerfer ein, obwohl Peter der Ansicht war, es wäre besser, sie auszulassen. Man musste die Umwelt nicht unbedingt auf sich aufmerksam machen. Nicht in diesen Zeiten.
Sie erreichten ein Waldstück, und die hohen Bäume hielten den Regen etwas ab. Es war dunkel wie vor Einbruch der Nacht. Niemand sonst schien auf der Straße unterwegs zu sein. Und sie waren froh darüber. Nur einmal stand am Straßenrand ein alter VW-Käfer. Ob in ihm ein Untoter gefangen war, hatten sie nicht erkennen können, dafür war es zu dunkel.
„Bist du diese Strecke schon häufiger gefahren?“, fragte Roland an Charlotte gewandt.
Sie nickte. „Wenn ich Sam früher hin und wieder auf den Stützpunkt bringen musste, ja. Die alte Strecke wird meistens nur von Militärangehörigen benutzt. Ist so eine Art Geheimtipp. Ihr wisst schon, wenn die Jungs bei Dienstschluss noch einen gebechert haben. Aber das ist nicht der alleinige Grund, hier finden kaum Kontrollen statt, man kann so richtig schön Gas geben. Und ...“
Roland bremste plötzlich scharf ab und schaltete die Scheinwerfer aus. Der Camper kam zum Stehen.
„Was ist?“, fragte Peter. Er hatte eine Landkarte studiert, sah nun auf und starrte durch die Frontscheibe ins Dunkel. Keine fünfzig Meter vor ihnen wurde die Straße durch irgendwelche Gestalten blockiert. Schwarze Schatten nur, die auf der Stelle zu treten schienen, sich in einer seltsamen Choreografie um die eigene Achse drehten. Untote.
„Und jetzt?“, fragte Charlotte.
Roland warf ihr einen schnellen Blick zu. „Gibt es eine Abzweigung, eine Alternative?“
„Nein. Nur Waldwege, aber die sind zu schmal für den Camper, da kommen wir unmöglich durch.“
„Also zurück“, meinte Peter. „Dann versuchen wir es halt doch über die Interstate.“
„Oder wir fahren einfach langsam auf sie zu und sehen, wie sie sich verhalten ...“, sagte Roland.
„Bist du verrückt!“ Charlotte sah ihn skeptisch an.
„Total ... Was wissen wir denn von den Untoten? Sie sollen Menschen fressen, heißt es ... Sie beißen, das haben wir erlebt. Wir müssen uns langsam auf die Situation einstellen, ob es uns passt oder nicht. Ich für meinen Teil habe die Nase voll von Internet-Blogs und Neuigkeiten aus zweiter oder dritter Hand. Die Türen sind zu, und wie Harold und Justin sagten, sind die motorischen Fähigkeiten der Untoten nur sehr beschränkt entwickelt. Vielleicht weichen sie einfach vor dem Camper zurück. Und wenn nicht, fahren wir einfach über sie drüber.“
„Keine gute Idee“, meinte Peter gedehnt.
„Hast du einen besseren Vorschlag? Umkehren? Die nächste Abbiegung nehmen, dann noch eine und so weiter. So kommen wir nie ans Ziel!“ Rolands Stimme war laut geworden.
Charlotte stieß die Luft aus den Lungen und lehnte sich im Sitz zurück. Sie hatte überlegt, aber es gab wirklich keine Alternative. Sie hätten zurückgemusst, und so, wie es ausgesehen hatte, war die Interstate dicht. All die Menschen, die hatten fliehen wollen ... - nein, sie mussten hier durch.
„Fahr los, fahr einfach los!“
Peter ließ sich mit skeptischem Blick in seinen Sitz fallen. Dann nahm er die Axt, die neben ihm gelegen hatte, in beide Hände. Er wollte vorbereitet sein.
Roland ließ den Camper langsam auf die Gruppe der Untoten zurollen. Die Wolkendecke riss auf, und die Konturen der Geschöpfe waren etwas deutlicher zu erkennen. Es schienen Männer zu sein, die alle in blauen Monturen steckten, vielleicht Trainingsanzüge. Möglicherweise handelte es sich um Rekruten. Vielleicht war das Virus bei allen gleichzeitig ausgebrochen, während einer Trainingseinheit hier draußen. Die blauen Monturen wirkten verschlissen. Bei einigen der Kreaturen hingen die Gedärme heraus, andere zeigten Bissspuren, bei manchen sah es aus, als wären ganze Stücke aus ihnen herausgerissen worden. Sie stapften auf der Stelle, drehten sich im Kreis. Roland hatte das Seitenfenster einen Spaltbreit heruntergelassen, weil die Scheiben beschlugen. Da war wieder dieses Stöhnen, dieses Raunen. Wenige Meter noch, und der Camper hätte die Gruppe der Untoten erreicht. Die Untoten reagierten bis jetzt noch immer nicht, drehten weiter ihre seltsam verrenkten Pirouetten und starrten stumpf vor sich hin. Aber: Die Untoten wichen nicht zurück. Vielleicht nahmen sie den Camper überhaupt nicht wahr? Der Motor war sehr leise. Roland hielt an, als die ersten Untoten nur noch ungefähr fünf Meter vom Wohnmobil entfernt waren. Er legte den Schalter auf Parking und gab im Leerlauf etwas Gas, doch die Untoten reagierten nicht. Dann ließ er das Seitenfenster noch ein Stück weiter herunter, und wenige Augenblicke später richteten sich die Blicke der Untoten auf das Wohnmobil. Sie streckten die Arme aus und bewegten sich langsam auf das Fahrzeug zu.
„Also los“, murmelte Roland. Ob es am Geruch liegt?, fragte er sich. Erst als ich die Scheibe weiter heruntergelassen habe, haben sie reagiert ... Er ließ die Seitenscheibe wieder hochfahren, bis sie gerade noch einen Spaltbreit offenstand, gab etwas Gas - und schon hatte der Camper den ersten Untoten erreicht. Aber das Wesen wich nicht zurück. Es blieb stumpfsinnig stehen, starrte die Menschen im Inneren des Wohnmobils mit toten Augen an und wurde dann von der Masse des Campers zurückgedrängt und gegen die hinter ihm stehenden Artgenossen geschoben.
Es geht!, hoffte Charlotte, als die Herde der Untoten immer weiter nach hinten gedrückt wurde, einige seitlich wegrutschten und dabei hinfielen.
Der Camper war mittlerweile von den Untoten umzingelt. Es mochten zwölf oder gar fünfzehn dieser Geschöpfe sein. Keines attackierte den Wagen. Nur das Raunen schien lauter geworden zu sein. Charlotte ließ testweise ihre Seitenscheibe nach unten gleiten, nur etwas weiter als Roland zuvor. Und in diesem Moment kam Bewegung in die Untoten. Sie schienen zu erwachen. Plötzlich schlugen sie unkontrolliert auf den Camper ein, dass das Chassis dröhnte. Einige schlugen gegen die Windschutzscheibe, die jedoch die Schläge aushielt - bis jetzt. Charlotte hatte die Seitenscheibe wieder hochfahren lassen und warf Roland einen schnellen Blick zu.
„Ob die Dinger uns riechen können? Ob es das ist?“
Schweiß perlte auf Rolands Stirn. Er zuckte nur die Achseln. „Der Gedanke ist mir auch gekommen.“ Wenn wir stecken bleiben, kommen wir hier nicht wieder raus!, schoss es ihm durch den Kopf. Das war eine Scheißidee! Er gab etwas mehr Gas. Einige der Zombies kippten nach hinten und wurden überrollt.
Das Stöhnen und Grunzen der Untoten wurden immer lauter, fast so, als wären sie wütend, dass sie nicht an ihre Opfer herankommen konnten. Es ging ein kleines Stück weiter, doch dann war der Moment gekommen, dass der Camper nicht mehr weiter kam. Sie steckten fest. Einige Untote lagen übereinander und blockierten die Reifen. Roland gab mehr Gas, die Reifen surrten, doch der Camper ruckelte nur, bewegte sich aber nicht mehr von der Stelle.
Wir sitzen in der Falle! Peters Gesicht hatte eine wächserne Farbe angenommen. Er dachte an das, was nun zwangsläufig kommen