„Unabänderlich ist das Gesetz“, sprach der König, „und um der ewigen Ordnung willen muss es bestehen; denn alle Ordnung spiegelt Gottes ewiges Maß.“ (637) „Einer muss um der verletzten Ordnung willen sterben.“
Um der Gerechtigkeit und der Ordnung willen ist der Preußenkönig bereit, seinen Sohn zu opfern, so wie einst Abraham seinen Sohn Isaak.
Der in der Bibel lesende König – Klepper arbeitet die Bedeutung der Heiligen Schrift für den König immer wieder klar heraus – meint aus der Schrift entnehmen zu müssen, das zur Wiederherstellung der „verletzten Ordnung“ ein Opfer von ihm gebracht werden müsse. Seine Krone war ihm zur Dornenkrone geworden und sein Zepter zum Kreuz. (651) Der König meint, es sei besser, dass ein Mensch stirbt, als dass die Justiz aus der Welt komme. Das Kriegsgericht entzieht sich indessen der Aufgabe, den Sohn zum Tode zu verurteilen und hinrichten zu lassen. Es ist der von Gott gegebene Auftrag an die Könige, dass sie das staatliche Recht in dieser Welt hochhalten, glaubt der König lange Zeit und erkennt dann doch, nach vielen Qualen und inneren Kämpfen, dass Gott sein Opfer nicht wollte. Durch den Versuch, seinen Sohn nach seinem Bilde zu formen, hatte er seinen Königsauftrag, Diener Gottes zu sein, aus den Augen verloren. Ganz allmählich wird dem König bewusst, dass er zu weit gegangen war, er ist „zu Tode erschrocken“, als er merkt, dass er versucht hat, sich mit Gott zu messen, statt ihm zu dienen. (669) Er erkennt: Der König ist nicht Gott, und die Ordnung ist zuletzt nicht sein Werk, sondern Abbild, irdisches Gefäß und bleibt offen für Gottes unbegreifliche Freiheit, Neues zu schaffen.“ (670)
„Gott ließ sich nichts abtrotzen. Gott allein vermochte Menschen zu machen nach seinem Bilde.“
Später heißt es: Der König richtete seinen Sohn nicht, er betete für seinen Sohn.“ (706) Ganz deutlich wird der Wandel des Königs: Am Anfang des mit „Der Gott von Geldern“ überschriebenen Kapitels lässt Klepper den Preußenkönig über seinen Sohn sagen: „Er ist für mich tot. Ich habe nichts mehr mit ihm zu schaffen, als das Gericht über ihn einzusetzen.“ Am Ende dieses Kapitels aber steht ein Gebet. (670)
Als Gnadengabe Gottes empfängt der König seinen Sohn zurück und sieht in ihm erneut den vorbestimmten Nachfolger.
Die Versöhnung zwischen Vater und Sohn bahnt sich an, als der Kronprinz in den Oderbruch kommt und überrascht ist, wie weit das Werk des Vaters dort gediehen ist, weil er die besten seiner Beamten dorthin geschickt hat. (679)
Durch kleine Episoden und Begegnungen wird dem Kronprinzen nach und nach klar, dass sein Vater kein Unhold ist, dass der Vater ihn liebt und ihn auf das schwere Königsamt vorbereiten möchte.
Die Veränderung beim Kronprinzen liegt in dem Satz, den er dann ausspricht: „Ich hatte bisher nie geglaubt.. dass mein Vater die geringste Regung von Liebe für mich hätte. Nun bin ich davon überzeugt. Kurz, der Teufel selbst muss ins Spiel kommen oder diese Aussöhnung ist ewig.“ (709)
Es dauert allerdings eine geraume Zeit, bis Friedrich in dieser Weise zu seinem Vater findet, aber dann ist mir das Beisammensein der beiden gar zu harmonisch geschildert. In der Realität hat der spätere Friedrich II. sicherlich immer noch einen Stachel im Herzen gegen seinen Vater gehabt. Hören wir noch einmal von Krockow: „Friedrich ist wirklich und lebensbestimmend vom Kampf mit dem Vater geprägt worden. Noch der weltberühmte König und Feldherr wurde in seinen Träumen wieder und wieder von der prägenden Gestalt, vom gespenstischen Über-Ich des Vaters heimgesucht, der Rechenschaft verlangte.“
Erwähnt werden muss auch, dass der König Emigranten aufgenommen hat für seine menschenarmen Länder im Osten, vor allem die aus dem Salzburgischen vertriebenen Ketzer.
Empfang der Salzburger Protestanten in Berlin am 30. April 1732
Von Konstantin Johann Franz Cretius – www.artnet.de, gemeinfrei https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2318223
Litauen wird das neue Kanaan. (747) Auch ihnen, den bedrängten Salzburger Glaubensbrüdern, will der König Fürst und Vater sein. Die Begegnung Friedrich Wilhelms schildert der Autor in einem friedvollen Bild. Der Herrscher fährt den Flüchtlingen entgegen und stimmt das Lied an: „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not.“ – „Der König sang in die Ewigkeit, und einen Augenblick war er, vor allem Volk singend, doch allein vor Gott mit seinem Königslied.“ (748) Zum Schluss heißt es: „Es war alles voller Bibel!“ (749) Später folgten auch noch böhmische Exulanten. (783)
Klepper bedient sich in seinem Roman einer bilderreichen Sprache. Er dachte in Bildern, das Bildgestalten spielt bei ihm im künstlerischen Schaffen wie im religiösen Erlebnis eine zentrale Rolle im Gegensatz zur kalten gedanklichen Abstraktion. Auch dem König wird alles zum Bilde.
Warum von den Bildern solche Wirkung auf ihn ausgeht, weiß Klepper wie alle fundamentalen Erscheinungen seines Lebens nur biblisch-theologisch zu erklären: Der Grund der Welt ist dem unmittelbaren Einblick des Menschen verschlossen. Doch durch das Bild kommt er dem Geheimnis näher. Durch die Bildhaftigkeit der Bibel rückt für Klepper alle biblische Verkündigung in die Nähe der bildlich gestaltenden Dichtung und alle Dichtung in die Nähe der biblischen Verkündigung. (110) „..ich bin glücklich, in Bilder auflösen oder umprägen zu dürfen, was als Theorie zu kalt und diffizil wäre.“ (17.10.1933) Auch im Leben und im Denken des Soldatenkönigs spielen Bilder eine große Rolle. (113) Er malt selbst und ist ein Gemäldesammler. Das Ungenügen des Königs reibt sich an der Vorläufigkeit und Unzuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis. (115) Ganz selten ist in seinem Leben das Bild des reinen gegenwärtigen Glücks. Eines der wenigen Beispiele dafür ist seine Begegnung mit den Salzburger Exulanten. („Er stand inmitten...“ S.748)
Am Ende ist der Rastlose, Taterfüllte, Nimmermüde mit zweiundfünfzig Jahren ein siecher Greis, verbraucht, vom Tode gezeichnet. S.903 („Mein Gott, ich sterbe zufrieden…“)
Hier wird die Parallele zwischen dem alttestamentlichen König David und dem preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm I. sehr deutlich. Beide schließen ihr Leben mit dem versöhnten Blick auf den von Gott bestimmten, würdigen und gesetzten Nachfolger. Darin besteht die Erfüllung ihres Regentendaseins.
Es besteht aber auch eine Parallele zwischen Salomo und Friedrich; beide gewannen den Glanz ihrer Herrschaft auf dem Grund, den die Väter geschaffen hatten.
Mit Vorliebe hat Klepper in die verschiedensten Partien des Vater-Romans Spiegel und Spiegelmotive verwoben. Durch Spiegel wie durch Bilder lässt sich die Wirklichkeit nicht nur vermehren, sondern auch ergründen.
Der Spiegel erscheint im ‚Vater’ vor allem als Sinnbild der Selbstbetrachtung eines Menschen, und zwar im doppelten Sinne der Selbsttäuschung und der Selbsterkenntnis. (S. 919, hier deutlicher Bezug zu 1. Korinther 13,12. Der König spricht die Worte aus der Bibel als wären es die eigenen.)
Sterbestunde. (S. 920) Lied von Paul Gerhardt, nicht ohne Humor, während der Choral singt, „...nackend wird’ ich auch hinziehen“, schlägt der Sterbende noch einmal die Augen auf und sagt: „Nein, das stimmt nicht... das ist nicht wahr. Ich werde in meiner Montur begraben.“
„Durch alle Qualen geht der Vater in den Frieden des Erlösten ein. „Gottes Vaterhände lagen über seinem Haupte.“ Wilhelm Kahle fügt in seiner sehr religiös (katholisch) ausgerichteten Literaturgeschichte der „Deutschen Dichtung“ hinzu: „Gott hämmert ein Herz, das ist der Sinn dieses religiösen Romans, der Geschichte als Feld göttlichen Wirkens sieht.“