Mitgefühl kann tödlich sein. Henning Marx. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henning Marx
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760906
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wieder ohne Vorankündigung auftretende Ausbleiben ihres Ehemannes nach Dienstschluss aufbrachte. Horst wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Er selbst hatte riesiges Glück mit seiner Heike, die in dieser Hinsicht eine endlose Geduld zu haben schien. Vielleicht lohnte sich aber auch einfach das Warten so sehr? Und bei Heiner hatte es sich nicht gelohnt? Mann, wie war er denn heute drauf. »Es tut mir leid«, brachte Horst etwas hilflos hervor.

      Heiner trank sein Bier aus. »Schon in Ordnung. Ist ja meine Schuld, dass ich dein Späßchen nicht verstehen wollte.«

      Franz fasste den Trübseligen teilnahmsvoll an der Schulter.

      »Noch´n Bier, Heiner?«, kam Beatrice, die Barfrau, sofort, als sie sein leeres Glas bemerkte, stutzte aber, als sie die plötzliche Gemütsveränderung an Heiner wahrnahm. Es gab wohl selten etwas, das Barkeeper von Stammgästen nicht wissen. Sie rieb ihm aufmunternd seinen Unterarm, der matt auf dem Tresen lag. »Na, nun lass mal den Kopf nicht so hängen, Süßer. Das wird schon wieder«, versuchte sie ihn mit einer glockenklaren Stimme aufzumuntern. Diese Stimme passte perfekt zu ihrer elfenartigen Erscheinung mit blondem Haar, heller Haut und grazilem Körperbau – aber die Anrede »Süßer«? Auch wenn Barfrauen öfter gewohnt waren, Klartext zu reden, ging das mit ihrem sonstigen Typ so gar nicht zusammen, ging es Horst für einen Augenblick durch den Kopf.

      »Ein Melancholiker sollte eigentlich keinen Alkohol trinken«, wehrte Heiner ein weiteres Pils ab. »Und statt süß bin ich wohl eher ziemlich bitter.« Immerhin zeigte sich der Ansatz eines müden Lächelns auf seinem Gesicht, als er sich selbst auf den Arm nahm. »Hast du nicht etwas ohne Alkohol, das trotzdem die Stimmung hebt?«

      Beatrice blickte ihn aus ihren großen, grünen Augen einen Augenblick mitfühlend an, schien sich auf seine Stimmung einzulassen und nickte anschließend nur kurz. »Kommt sofort, Herr Kommissar.«

      »Ist halt nicht leicht mit den Frauen«, versuchte auch Franz neben einem festen Griff der Schulter mit ein wenig Männerweisheit die Laune seines Kollegen wieder zu heben.

      Heiner schaute Franz etwas genervt an. »Und das weißt gerade du so genau?«

      Oh, oh. Was hatte er da bloß mit seinem nicht sehr weitsichtigen Späßchen angerichtet. Die Unterhaltung drohte in eine Abwärtsspirale zu geraten. Bestürzt wollte der junge Kommissar vom Thema ablenken. Franz hatte zumindest keine Partnerin mehr gehabt, seit Horst in der Abteilung arbeitete. Das waren inzwischen vier oder fünf Jahre? Für ihn wäre das unvorstellbar. Doch bevor er reagieren konnte, antwortete Franz ganz die Ruhe selbst: »Du hast es erfasst. Deshalb lebe ich ja schon so lange alleine, obwohl ich bereits auf die fünfzig zugehe. Nur weil ich nicht immer am Jammern bin, heißt das nicht, dass mich das nicht auch hin und wieder niederdrückt. Aber auf diese Weise bin ich immerhin frei, wenn die Richtige kommen sollte. Das ist mir allemal lieber, als Kompromisse einzugehen und den entscheidenden Moment am Ende zu verpassen.« Er klopfte Heiner noch einmal auf die Schulter, bevor sich seine Hand wieder um sein Bierglas bemühte.

      »Entschuldige, Franz, ich wollte dir nicht auf den Fuß treten«, reagierte Heiner etwas betreten auf das offene Wort seines Kollegen zu dessen eigener Gemütsverfassung.

      »Tata! Hier habe ich einen alkoholfreien Cocktail für dich.« Sie stellte ein Glas mit einem fliederfarbenen Getränk vor ihrem schwermütigen Gast auf die Theke und beendete damit ungewollt den stürmischeren Teil des Gesprächs.

      Heiner zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Ist das nicht ein bisschen zu feminin, so farbmäßig?«, drückte er zunächst seine Zweifel aus.

      Beatrice rollte die Augen. »Männer haben schon komische Prioritäten. Mach halt die Augen zu und trink erst einmal«, blieb sie von ihrer Wahl überzeugt.

      Auch Horst und Franz waren gespannt, was Heiner dazu sagen würde. Der schloss tatsächlich die Augen und nahm einen vorsichtigen Schluck ... und noch einen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Beatrice dankbar an: »Passt wunderbar. Was trinke ich da eigentlich?«

      »Eine ›Abendsonne‹ ... Ja, ich komme.« Beatrice wandte sich einem anderen Gast zu, bevor Heiner noch etwas erwidern konnte.

      »Genial«, Horst grinste breit.

      »Was?«, wollten die anderen beiden wissen.

      »Na«, Horst holte groß aus, »mit einem weiblich anmutenden Cocktail gegen das von einer Frau verursachte Leiden. Das ist doch eine geradezu homöopathische Vorgehensweise.« Ihr junger Kollege schien an diesem Abend zu Hochform aufzulaufen.

      Franz schmunzelte in sich hinein, während Heiner den Kopf auf die Theke sinken ließ und vernehmbar stöhnte. Dennoch musste er über Horsts Unsinn in einer Art Galgenhumor lachen. »Du gehst jetzt mal besser rüber an den Tisch. Da sind inzwischen ein paar Kollegen gekommen, die sich bestimmt noch viel mehr über deine geistreichen Späße freuen.«

      Horst wechselte nicht ungern die Gesellschaft, weil er dort keinen weiteren Schaden anrichten konnte. Manchmal hatten Fettnäpfe einfach eine geradezu magische Anziehungskraft auf ihn.

      Nach einem vergnüglichen Abend brach Horst schließlich mit den Letzten vom Tisch auf. Franz war bereits frühzeitiger gegangen. Nur Heiner saß immer noch an der Theke und unterhielt sich mit Beatrice, die dabei war, Gläser zu spülen, nachdem sich kaum noch Gäste in der Bar befanden. Die Bardame hatte immer für alle ein offenes Ohr und ein passendes Wort. Obwohl sie überhaupt nicht Horsts Typ war, nahm er an ihr eine reife Ausstrahlung wahr, die ihn auf eine unbestimmte Weise ansprach. So ausgeprägt hätte er diese an einem Menschen nicht erwartet, den er für höchstens Mitte dreißig hielt. Vielleicht lag das auch nur daran, dass für ihn die Dreißig noch in weiter Ferne lagen.

      »Ciao, Bea. Einen schönen Feierabend«, wünschte er ihr zum Abschied.

      »Ciao, ciao. Bis nächste Woche, oder nicht?«, kam es wie immer gut gelaunt und zur Kundenbindung zurück.

      »Ich denke schon.« Und an Heiner gewandt setzte er fort: »Kommst du mit oder bleibst du noch?«

      »Ich bleibe noch ein wenig. Es ist gerade so nett hier«, machte er Beatrice mit seiner Antwort nebenbei ein Kompliment, die auch prompt von ihren Gläsern kurz aufschaute und Heiner freundlich zulächelte.

      »Aber versack hier nicht«, witzelte Horst im Gehen noch.

      »Dann stelle ich rechtzeitig von ›Abendsonne‹ auf ›Morgendämmerung‹ um«, parierte Heiner Janetzky, scheinbar wieder besserer Stimmung. »Bis morgen.«

      »Ja, leider«, seufzte er noch theatralisch, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.

      Kapitel 3

      Thomas Sprengel ruderte, als ob es um sein eigenes Leben ginge. Der Junge kniete am vorderen Luftschlauch des Bootes und schaute gebannt auf das brennende Segelboot. Glücklicherweise gab es nur wenig Seegang, so dass sie recht flott vorankamen. Die Yacht war trotz des aufgerissenen Hecks und der dort lodernden Flammen noch ein Stück gesegelt, bevor die Schoten durchgeschmort waren. Inzwischen killten die Segel in der leichten Brise und der Bug hatte sich in den Wind gedreht. Zu Thomas´ Erleichterung hatte das Boot aufgrund des auflandigen Windes sogar begonnen, langsam auf die beiden in ihrem Schlauchboot zuzutreiben.

      Bisher hatte keine Notwendigkeit bestanden, mit dem Jungen zu reden, den er auf vielleicht zehn Jahre schätzte. Der Knirps hatte auch so verstanden, was Thomas Sprengel im Sinn hatte. Er selbst saß beim Rudern ebenfalls zur Yacht gewandt, um das Schlauchboot mehr oder weniger auf dem direktesten Weg auf ihr Ziel zusteuern zu können. Leider brachten ihn selbst die kleinen Wellen immer wieder vom Kurs ab, so dass er befürchtete, wertvolle Zeit zu verlieren.

      »Allí, allí«, rief sein kleiner Begleiter im Bug plötzlich laut und zeigte von dem Segelboot weg, während er sich zu Thomas Sprengel umschaute. »Una persona está en el mar. Yo la he visto.«

      Irritiert hielt der Kommissar für einen Moment mit dem Rudern inne. »Wie bitte? Ich verstehe dich nicht.« Zur Unterstützung seiner Aussage hob er Hände, Schultern und Augenbrauen, während er leicht den Kopf schüttelte. Wenn er nicht zu sehr mit der Rettung