Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: T. von Held
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742763129
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und

       es dünkte ihr, daß in ganz Uganda bisher kein Baum

       und Strauch so süße Früchte getragen hatte. Als sie

       geendet hatte, bot sie Kimyera eine von ihrer Hand

       zubereitete Banane, und der Jüngling aß sie mit dem

       Gefühl, daß niemals eine Frucht von gleicher Süßig-

       keit seine Zunge berührt hatte. Die Königin blickte

       ihn lächelnd an, und als Kimyera seine Augen aufschlug,

       fand er eine Fülle ungesprochener Worte in

       dem Blick Nakus.

       »Höre mir zu, Kimyera,« sprach Naku, »und auch

       du, Muyana, horche auf; denn ich werde wichtige und

       schwerwiegende Worte zu euch reden. In Ganda ist

       seit meines Vaters Tode kein König. Sebuwana ist

       nur dem Namen nach mein Gatte; in Wahrheit ist er

       nichts mehr als mein erster Ratgeber. Jetzt bin ich alt

       genug, um selber den zu wählen, der mein Herr und

       Herr über ganz Ganda sein soll. Mein Herz hat seine

       Wahl getroffen und Kimyera erkoren!«

       Bei diesen Worten kniete Kimyera nieder vor die

       Sprecherin, und sobald er Herr seiner Gefühle geworden,

       sprach er:

       »Aber, o Naku, hast du auch bedacht, was dein

       Volk sagen wird, wenn du ihm einen Fremdling zum

       König gibst? Wird es mir nicht zürnen und nach dem

       Leben trachten?«

       »Nein! Denn du bist der Sohn des Bruders meines

       Vaters. Und da mein Vater keine männlichen Erben

       hinterlassen hat, so hat seine Tochter das Recht, sich

       dem Sohne seines Bruders zu verbinden. Du siehst,

       Kimyera, du hast ein gutes Recht auf den Platz dieses

       Reiches, den ich dir anbiete.«

       »Was aber soll aus Sebuwana werden?« fragte Ki-

       myera.

       »Findet er sich gutwillig in sein Geschick,« entgegnete

       Naku, »so mag er leben, tut er es nicht, so muß

       er sterben von den Händen meiner Krieger.«

       Am Nachmittag desselben Tages noch verkündete

       Naku ihrem Volke, was sie beschlossen hatte, und als

       Sebuwana die Nachricht hörte, erschrak er heftig; da

       er aber wohl wußte, was seiner harrte, falls er sich widersetzte,

       so ging er still und heimlich von dannen

       nach dem Dorfe, in dem er geboren war und seine

       Kindheit verlebt hatte, um dort den Tod zu erwarten.

       Die Königin Naku aber lebte mit Kimyera, ihrem

       Gatten, in Glück und Zufriedenheit. Drei Söhnen gab

       sie das Leben und starb nach der Geburt des dritten.

       Ganz Uganda beklagte ihren Tod; am meisten aber

       weinte Kimyera um sie und ließ sich nicht trösten,

       denn er hatte Naku, die Königin des Landes Ganda

       von Herzen geliebt.

       Fußnoten

       1 Die Sage entstammt der Landschaft Unyoro, welche

       an die Nilseen stößt und nördlich des Viktoria-Nyanza

       liegt. Ihre Bewohner sind die Wanyoro, ein wilder,

       kriegerischer, leidenschaftlicher Stamm, der schon vor

       langen Jahren mit den Arabern vielfach in Handelsbzw.

       Tauschbeziehungen gestanden hatte. Zeitweise

       waren die Wanyoro den Arabern unterworfen, in blutigen

       Kämpfen gelang es dem freiheitsdürstenden

       Stamme, die Bedrücker wieder zu verdrängen. Jetzt

       bildet Unyoro einen Teil von Britisch-Ostafrika.

       Der Gesang des Kindes.

       Eine Naosage.

       Es war einmal eine Frau, die hatte zwei gesunde, kräftige

       Kinder. Darauf bekam sie noch ein drittes; das

       aber war ein unansehnliches, krankes Knäblein ohne

       Kopf, ohne Nase, ohne Zähne und ohne Augen. Als

       die Mutter das Kind voller Entsetzen betrachtet hatte,

       sprach sie zu ihrem Manne: »Laß uns fortziehen von

       hier und dies armselige Ding zurücklassen!« So zogen

       die Eltern mit ihren beiden gesunden Kindern von

       dannen. Kaum aber hatten sie ihre Hütte verlassen,

       als dem armen Kinde Kopf, Hände und Füße wuchsen.

       Es hatte aber nicht genug Kraft, um denen, die

       fortgezogen waren, zu folgen. In der Hütte fand es

       einen Stock, den nahm es und erschlug damit eine

       Ratte, zog ihr die Haut ab, spannte diese über die

       Schale einer Affenbrotbaumfrucht und trommelte darauf,

       indem es sang:

       Ich saß ohne Vater, – ich saß!

       Ich saß ohne Mutter, – ich saß!

       Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

       Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

       Während es so sang, kam eine Hyäne vorbei, die

       lauschte den lieblichen Tönen, trat an die Schwelle

       und sprach: »Lehre mich dein Lied, damit auch ich es

       singen kann!«

       Das Kind antwortete: »Gern! Gib du mir aber zuerst

       Kleid, Hemd, Mütze, Gewehr und Bogen, hernach

       will ich dich's lehren.«

       Die Hyäne gab, was der Knabe von ihr verlangt

       hatte. Dieser zog alles an und sprach dann zu dem

       Tiere: »Tritt ein in die Hütte!« Darauf schloß er die

       Hyäne ein und ging seines Weges; denn jetzt war er

       kräftig geworden. Als er wanderte, sang er fortwährend:

       Ich saß ohne Vater, – ich saß!

       Ich saß ohne Mutter, – ich saß!

       Ich saß ohne Kopf, – ich saß!

       Ich saß ohne Glieder, – ich saß!

       So singend schritt der Knabe richtig den Weg entlang,

       den seine Mutter gegangen war, weit, weit, weit

       fort, bis er die fand, die ihn krank und elend verlassen

       hatten. Weder seine Mutter, noch sein Vater, noch

       seine Geschwister erkannten ihn. Der Knabe trat zu

       ihnen in ihre Hütte und setzte sich auf ihre Barese.

       Dann sang er wiederum sein altes Lied.

       Die Leute, die vorbeigingen und ihn hörten, sagten:

       »Wie schön er singen kann!«

       Dann fragten sie ihn:

       »Woher kommst du?«

       Er aber antwortete ihnen nicht, sondern fuhr fort zu