Ich konnte mir denken, was Karl-Heinz dazu sagte, dass Susanne ihre Geschäfte aufgeben und mit Robert hierher ziehen sollte. Wahrscheinlich hob er abwehrend beide Hände, falls Traudel ihn um seine Meinung drängte. „Diese Entscheidung ist schwierig genug, da mische ich mich nicht auch noch ein. Das müssen die beiden allein miteinander ausmachen“, so oder ähnlich würde er sich äußern. Doch dass Traudel sich einmischte, konnte er bestimmt nicht verhindern. In Gedanken hörte ich, wie sie Robert Vorwürfe machte.
Und welcher Meinung war ich? Wenn ich ehrlich war, so hoffte ich, Susanne würde nachgeben und bald wieder in meiner Nähe leben. Ich freute mich auf sie, auf Robert und ihre drei Kinder. Christine, die Älteste davon war temperamentvoll und manchmal eigensinnig mit ihren dreizehn Jahren. Dagegen war Daniela die Ruhige, die sich mit ihren erst zehn Jahren bereits fast mütterlich um ihre dreijährige Schwester Petra kümmerte. Und diese Kleinste konnte recht bockig sein, wenn wieder niemand Zeit für sie hatte. Geheiratet hatten Susanne und Robert erst, als Daniela bereits unterwegs gewesen war. Bei Susanne und Robert war immer Hektik. Schwer fiel es beiden, ihre unterschiedliche Berufstätigkeit mit den Verpflichtungen für die Kinder zu verbinden. So mussten sich die Kinder daran gewöhnen, mal hier und mal da zu sein, bei den Eltern eben nur, wenn diese es einrichten konnten. Ehrgeizig waren sie beide, und Robert als Arzt offensichtlich so erfolgreich wie Susanne in ihrem Geschäft. Wie oft war Margot, die Frau unseres langjährigen Freundes Helmut, eingesprungen und hatte die Kinder zu sich geholt, wenn Susanne wieder einmal nicht wusste, wo sie die drei lassen sollte.
Margot hatte sich dafür entschieden, ihre Berufstätigkeit aufzugeben, um für ihre beiden Kinder, Niklas und Katja, Zeit zu haben. Um Geld brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, ihr gehörte von ihrem Vater her die Hälfte der Baufirma „Zumbold“, die Helmut mit ihrem Bruder zusammen leitete. So fand sie nicht nur Zeit für ihre Kinder, sondern auch noch für die Kinder von Susanne. Ich hörte, wie sie einmal zu Susanne sagte: „Was würdet ihr berufsbesessenen Frauen nur ohne uns Nurhausfrauen tun?“ Doch was Margot auch sagte, es klang nie vorwurfsvoll. Stets bemühte sie sich, Verständnis zu zeigen. So verband diese beiden Frauen eine tiefe Freundschaft, obgleich sie nicht nur sehr verschieden waren, sondern zwischen ihnen auch noch ein großer Altersunterschied bestand. Margot war zweiundfünfzig Jahre alt und Susanne vierunddreißig.
Bestimmt würde Susanne versuchen, sich für die Entscheidung bei Margot Rat zu holen. Wozu aber sollte man ihr raten? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie Robert diese Chance in seinem Beruf vereiteln würde. Traudel allerdings sah wohl nur den Nachteil für Susanne. Sie lehnte sich dagegen auf, dass Susanne einfach alles, was sie sich erarbeitet hatte, seinetwegen aufgeben sollte. Traudel und Susanne, Mutter und Tochter, sie waren Geschäftsfrauen durch und durch, darin waren sie sich ähnlich. Weder Traudel noch Susanne konnte ich mir als „Nurhausfrau“ wie Margot vorstellen. Obgleich ich mitunter meinte, für ihre Kinder wäre es besser, die Mutter zu Hause zu haben. Doch Susanne erklärte dann nur, sie sei nicht zum Faulenzen geboren. War das wirklich ihre Meinung, dass Frauen nur faul seien, die der Kinder wegen zu Hause blieben und nicht für eigenes Einkommen und spätere gesicherte Altersversorgung arbeiten gingen? Das allerdings sagte sie nie, wenn Margot in der Nähe war. Denn Margot, das war eben etwas anderes, sie hatte den Wohlstand in die Ehe mit Helmut mitgebracht, sie brauchte sich nicht um ihr Auskommen zu sorgen, so glaubte Susanne. „Aber trotzdem weiß ich nicht, wie Margot es aushält, immer nur zu Hause zu sein?“, fragte sie manchmal nachdenklich.
Julchen kam und stupste mich. „Was ist heute los, Frauchen, ich muss Gassi gehen, hast du das vergessen?“, schien sie sagen zu wollen.
Ich lachte, kehrte in die Gegenwart zurück und machte mich fertig zu unserem ersten Spaziergang am Morgen.
*
Kapitel 2
Ich nahm die Hundeleine vom Haken und trat mit meinem eifrig vor mir her springenden Hund aus Haus und Garten auf die Straße. Es war ein schöner Morgen. Frühling lag in der Luft, ein milder Wind umfächelte mich und sträubte das seidige Fell von Julchen. Auf den grünen Bergen um Neuwied lag ein goldener Schein der Morgensonne. Nur zu einer Seite hin ließen die Berge den Blick offen und frei über den weiten Himmel schweifen, sonst schlossen sie Neuwied wie beschützend ein. Wir gingen die Straße entlang, an deren Ende der Wald begann. Wir begegneten manch anderem Hund mit Herrchen oder Frauchen, die aus dem Wald zurückkehrten. „Guten Morgen, hat Sie auch die Sonne so früh aus dem Bett geholt oder ihr Hund?“, rief mir jemand zu. Man kannte sich vom häufigen Gassigehen. Die Hunde beschnupperten sich kurz, dann gingen sie weiter, jeder in eine andere Richtung irgendeinem Geruch nach. Wir waren noch stehen geblieben, wollten noch ein paar Worte miteinander austauschen. Die Hunde aber drehten sich um, als wollten sie fragen: „Kommt ihr endlich?“ Lachend trennten wir uns. „Was soll man da machen, also seien wir brav und folgen unseren Hunden“, sagte ich. „Na dann bis zum nächsten Mal“, antwortete das Herrchen, „vielleicht lassen sie uns dann ein bisschen mehr Zeit zum Reden.“
So war das mit den Hunden. Und Julchen bestimmte meistens auch, wo wir entlanggingen, wenn ich ihr, wie heute, gedankenverloren hinterhertrottete.
Susannes Problem ging mir nicht aus dem Sinn. Margot kann mir gewiss mehr davon erzählen, überlegte ich. Gestern hatte sie angerufen und mich gebeten, ihnen wieder ein Zimmer in der Pension bei uns um die Ecke zu bestellen. Sie wollten für das nächste Wochenende zu mir kommen. Helmut und Margot waren oft bei mir. So, wie Helmut versprochen hatte, er würde immer für mich da sein, so hielt er es auch. Sie waren es gewesen, die sofort kamen, als ich ratlos nach Konrads Tod allein dastand. Sie hatten mir bei all den schweren Wegen, die zu erledigen waren, geholfen. Und sie hatten mich gestützt, als ich hinter seinem Sarg hergehen musste und am liebsten mit ihm gegangen wäre. Ich war ihnen sehr dankbar dafür.
Helmut und mich verband eine tiefe, vertraute Freundschaft. Als ich Margot zuerst kennenlernte, da spürte ich kurz eine gewisse Zurückhaltung bei ihr, fast wie Eifersucht. Doch bald hatte sie wohl unsere Geschichte erfahren, hatte verstanden, dass von mir keine Gefahr ausging und ich gewann noch eine aufrichtige Freundin dazu. Helmut hatte sich gleich in mich verliebt, als er mir zum ersten Mal begegnet war. Da war ich aber bereits die Frau seines besten Freundes aus Kriegstagen gewesen. Mir gefiel seine aufmerksame Art, mit der er mich damals bedachte. Lange hatte ich nichts geahnt, ja, ich schloss mich ihm sogar gefährlich eng an, je größer die Enttäuschungen und Spannungen zwischen Konrad und mir wurden. Als dann unsere Ehe beinahe zerbrochen wäre, hatte sich Helmut Hoffnungen gemacht. Konrad und ich fanden aber wieder zueinander. Zwei Jahre lang hatten wir ihn danach nicht mehr gesehen. Doch plötzlich war er durch einen Zufall wieder da gewesen. Geblieben ist von alldem eine besonders vertraute Freundschaft, die uns beide seither miteinander verbindet. Das aber hat niemanden wehgetan, weder Konrad noch später Margot. „Wir wissen schon, wie wir mit euch dran sind“, hatten sie manchmal lachend gesagt.
Das war nun viele Jahre her. Ihre beiden Kinder, Niklas und Katja, waren erwachsen und gingen bereits eigene Wege. Katja war längst zu Hause ausgezogen, lebte in einer eigenen Wohnung und hatte, wie es schien, einen festen Freund. Der wiederum besaß ein Appartement. So waren sie mal bei