Die Sanduhr. Claudia Gürtler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Gürtler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738014952
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       Hundertfünfundzwanzig

       Hundertsechsundzwanzig

       Hundertsiebenundzwanzig

       Hundertachtundzwanzig

       Hundertneunundzwanzig

       Hundertdreissig

       Hunderteinunddreissig

       Hundertzweiunddreissig

       Hundertdreiunddreissig

       Hundertvierunddreissig

       Hundertfünfunddreissig

       Hundertsechsunddreissig

       Hundertsiebenunddreissig

       Hundertachtunddreissig

       Hundertneununddreissig

       Hundertvierzig

       Hunderteinundvierzig

       Hundertzweiundvierzig

       Hundertdreiundvierzig

       Hundertvierundvierzig

       Hundertfünfundvierzig

       Hundertsechsundvierzig

       Impressum neobooks

      Eins

       Grönländer züchten kaum Pferde, denn selbst mit einem speziellen Winterbeschlag bewegen sich die Tiere unsicher auf Eis und Schnee und stehen damit den von der Natur perfekt ausgerüsteten Schlittenhunden in vielem nach. Einzig Arkni in Ittoqqortoormiit an der Ostküste Grönlands hielt neben nützlichen Hunden auch fünf Pferde aus Island, die alle trotz bester Pflege nicht richtig gedeihen wollten, und von denen ihm nur eines wirklich ans Herz gewachsen war, der mausgraue Hengst Kauri. Das Pferd war noch jung, dazu willig und klug, und Arkni glaubte fest daran, dass es sich mit seiner Deportation nach Grönland abfinden und eine wertvolle Zucht begründen werde.

       Der Nebel waberte an diesem Spätherbstmorgen besonders dicht. Man sah kaum die Hand vor Augen. Schnee lag in der Luft und eine Ahnung der kommenden langen Dunkelheit, die selbst die Bewohner polarer Regionen fürchten.

       Arkni glaubte zunächst an eine Sinnestäuschung. Einsame Menschen in einsamen Gegenden, die es so weit haben kommen lassen, dass sie mit Tieren, Eisschollen und dem Wetter reden, sehen oft Gespenster und gewöhnen sich daran. Sie halten inne, schliessen kurz die Augen, denken an etwas Reales wie heisse Suppe, auf der das Fett von Seehunden oder Robben schwimmt, und wenn sie die Augen wieder öffnen, ist die Landschaft weit und leer und so öde und eisig und gespensterlos wie zuvor.

       Zwei Mal hintereinander schloss Arkni an diesem Nebelmorgen die Augen. Er dachte zuerst an Suppe, dann an die schönen Fohlen, die Kauri zeugen würde, dann aber musste er einsehen, dass der Nebel tatsächlich eine Gestalt frei gab, die auf seinen Hof zukam.

       Eine dünne Frau, der die Unregelmässigkeit des Eises einen unsicheren Schritt aufzwang, die aber dennoch zu allem entschlossen schien.

       Er starrte ihr mit offenem Mund ins Gesicht, das nicht zu der zerbrechlichen Gestalt passen wollte. Es wirkte jung, ein glattes, kaum beschriebenes Blatt. Dünnes rötliches Haar stand vom Kopf ab und rahmte ihn ein wie ein verrutschter Heiligenschein.

       Arkni wollte die Frau, wie er es immer mit Fremden tat, und eine Fremde war sie ohne Zweifel, barsch vom Hof weisen, als sie ihn ansprach – in seiner eigenen Sprache. Ihr Grönländisch war nicht akzentfrei, aber doch fliessend, und sie sagte klar und ohne Umschweife, was sie wollte: Kauri, sein bestes Pferd! Natürlich kannte sie den Namen des Hengstes nicht, aber ihr fordernder Zeigefinger wies unmissverständlich in seine Richtung.

       Arkni glaubte an eine Rache der Götter und ging in Windeseile sein nicht unbeträchtliches Sündenregister durch.

       Die Frau aber wollte weder handeln noch Auskünfte geben, und er wollte seinerseits, als er die Geldscheine, die Kauri drei Mal aufwogen, locker in ihrer Hand liegen sah, nichts über sie und ihre Beweggründe erfahren. Mit wundem Herzen streifte er Kauri einen Zaum über, und bevor er sich dazu durchringen konnte, ihr widerwillig behilflich zu sein, sass sie auf dem blossen Pferderücken.

       Arkni ahnte, dass er Kauri nicht wieder sehen würde, und da der Nebel noch immer dicht über dem Land lag, verschwanden die ungewöhnliche Reiterin und das graue Pferd blitzschnell aus seinem verdutzten Blick. Er legte die linke Hand über die knisternde Stelle auf seiner Hose, und der Anflug eines Lächelns stahl sich auf sein undurchdringliches Gesicht. Was kümmerte es ihn, ob die seltsame Frau den Ritt überlebte oder nicht?

       Eine Weile hörte Arkni noch das Geräusch von rutschenden Hufeisen und losgetretenen Steinen und Eisbrocken. Die Reiterin erreichte aber bald den nur teilweise gefrorenen Streifen dunkler Erde am Strand. Stille. Gespenstisches Nicht-Sein. Der Nebel hatte das graue Pferd verschluckt.

      Zwei

      Die Reise von Zürich über Kopenhagen nach Reykjavik hatte den Doktor regelrecht ausgelaugt, hatte seinen Körper dehydriert und Kopf und Seele stumpf und mutlos werden lassen. Und noch dazu war Reykjavik nichts weiter als eine Etappe, ein Auge im Sturm, ein bisschen trügerische Ruhe, bevor sich ein weiteres Flugzeug in den Himmel schraubte. Da der Weg zurück nach Hause inzwischen gleich weit war wie der Weg nach vorn ins unbekannte Grönland, verschwendete der Doktor nur einen kurzen Gedanken an eine Umkehr. Er war ein Gefangener seiner eigenen unerklärlichen Entschlüsse, und so stellte er sich mit munter schwatzenden Backpackern in eine Reihe. Nervös sagte er die Flugnummer her, die man ihm mitgeteilte hatte, eine monotone Litanei, die keine Beruhigung brachte. Während er in der Schlange langsam vorrückte, hoffte er noch, dass es nicht genügen würde, dem Bodenpersonal einen Namen und eine Flugnummer mitzuteilen, und dass er keine Bordkarte für den Flug nach Kulusuk an der Ostküste Grönlands erhalten würde. Doch die junge Inuit fand seinen Namen mühelos auf der Liste. Lächelnd reichte sie ihm die Bordkarte und sagte „enjoy your flight“, was ihn ironisch, ja boshaft anmutete. Der Flug war schon aufgerufen worden, ausschliesslich auf Isländisch, und er liess sich mitziehen von all den zielstrebigen Passagieren,