„Die CIA weiß offenbar wenig über ihn oder will nicht alle Karten offenlegen. Aber eines ist sicher: Sein Operationsgebiet ist ab sofort Deutschland.“
„Weiß man, wie er heißt oder lässt sich irgendetwas eingrenzen?“ Sophia Kühne spürt die Disharmonie zwischen Binder und Flossenkamp und möchte sich auf die praktische Arbeit beschränken.
„Nicht sehr viel, ich habe ein paar Telefonate mit Washington geführt, einige Leute aus dem Bett geholt. Es gibt noch zwei Punkte, die interessant sein könnten. Allerdings sind diese, wie so oft bei der Zusammenarbeit mit unserem wichtigsten Verbündeten, nicht als offiziell zu betrachten.“
„Und das wäre?“ Erstmalig mischt sich Hübner, der Präsident ein.
„Die CIA hat die Erkenntnis aus einem Telefonat gewonnen und prompt den Fall als ‚Red Case’ eingestuft. Wir wissen, was dies bedeutet. Sie nehmen den Vorgang sehr, ich betone, sehr ernst.“
Hübner blättert anscheinend unbeteiligt in einem Aktendossier herum, plötzlich hebt er den Kopf.
„Binder, lassen sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Was ist der zweite Punkt?“
„Es soll sich um einen Amerikaner handeln, er kann sich aber durchaus mit gefälschten Papieren als Angehöriger einer anderen Nationalität ausgeben, sie wissen es nicht, ein ehemaliger hoch dekorierter Spitzenmann, der außer Kontrolle geraten ist. Ich bleibe dran.“
Die Pause nutzen alle zum Luftholen. Hübner ist ein Freund schneller Entscheidungen und das zeigt er auch heute.
„Wir lösen ‚Alpha 2’ aus!“
‚Alpha 2’ ist eine reine Schutzvorkehrung. Gefährdete Einrichtungen wie Kanzleramt, Bundespräsidialamt, Bundesministerien, Botschaften und sensible öffentliche Gebäude fallen unter verstärkte Bewachung. Weiter betroffen sind Flughäfen, Bahnhöfe und typische Touristenzentren. Überall wird es zu versteckter und uniformierter Polizeipräsenz kommen. Einbezogen sind Polizeikräfte des Bundes und der Länder, Statusmeldungen gehen an alle Polizeidienstellen mit der Bitte um erhöhte Aufmerksamkeit. ‚Alpha 2’ löst zudem eine Mitteilung an eine sich ständig ändernde Liste von Personen aus, die im öffentlichen Leben aktiv oder an systemrelevanten Stellen in der Wirtschaft tätig sind.
Berlin
Es ist die sechste Identität, wieder eine amerikanische. Pierce arbeitete bereits mit zwei britischen, zwei kanadischen und einem spanischen Pass. Nach dem Job ist es Zeit, wieder eine Neue anzunehmen, denkt Pierce während er den Golf in der Corneliusstraße parkt. Unauffällige Lage und jederzeit startklar, das sind Vorteile gegenüber einem Parkplatz im hoteleigenen Parkhaus. Von dort sind es nur ein paar Schritte bis zum Hotel Intercontinental in der Budapester Straße. Das Zimmer ist reserviert, ohne große Umstände erhält er ein Einzelzimmer in der zweiten Etage.
Der erste Rundgang führt ihn durch die großzügig angelegten Bereiche des Hotels, dass gerne als Tagungs- oder Konferenzhotel genutzt wird. Hoher Staatsbesuch logiert gerne in dieser Unterkunft, wegen seiner ausgezeichneten Sicherheitsstandards. Israelische und amerikanische Präsidenten sind Gäste des Hauses gewesen. Pierce tritt auf die Budapester Straße und untersucht das Umfeld. Ein Krankenhaus gegenüber, Restaurant, Taxistand und ein weiteres Hotel der gehobenen Klasse. Alles in allem ist Pierce zufrieden. Er wird sich mit den Lebensgewohnheiten der alten Damen von nun an befassen. Er zieht eines von fünf Wegwerf-Mobiltelefonen aus der Tasche und wählt eine Nummer.
„Hotel Intercontinental Berlin. Guten Tag, was kann ich für sie tun?“ Eine piepsige Frauenstimme, die ihren Psalm runtergebetet hat.
„Willard, ich bin gerade aus London eingetroffen“, sagt Pierce und legt einen britischen Akzent in sein mittelmäßiges Deutsch.
„Könnten sie mir freundlicherweise verraten, ob Professorin Mitteldorff bereits bei ihnen eingetroffen ist? Ich möchte sie treffen.“
„Warten sie bitte“, erklärt die Frau an Rezeption.
„Ja, Professorin Mitteldorff ist Gast unseres Hauses.“
„Könnten sie ihr ein paar Blumen auf das Zimmer bringen, ach nein, ich mache es selbst, wie ist ihre Zimmernummer doch gleich?“
Zwei Sekunden vergehen, Pierce gibt seinen Plan schon auf, es wäre zu einfach gewesen.
„Mr. Willard, mit Zimmer 443 liegen sie mit ihren Blumen völlig richtig. Ich habe aber keine Reservierung von ihnen selbst.“
„Es hat diesmal nicht geklappt bei ihnen, ich musste ausweichen, many thanks.“
Mit einem lauten Knall wandert das Telefon in einen von der Stadtreinigung aufgestellten Mülleimer.
New York
„Mr. Caiden, ein Mr. Stevenson möchte sie sprechen. Er sagt, es handle sich um etwas Privates, darf ich durchstellen?“
„Bitte stellen sie durch Mrs. Roonberg, danke!“
„Jim, schön deine Stimme zu hören, wie geht es der Familie, was macht der Job?“
„Danke alles gut, wir müssen uns treffen, ich reise heute nach New York, vielleicht klappt es heute Abend oder morgen.“
„Ich werde es einrichten, Jim. Alter Treffpunkt?“
„Ja, bis dann.“
Berlin
Irmas Anruf am Nachmittag stellte Lars vor ein Problem. Er solle sich für den Abend leger kleiden, eben was anziehen, worin er sich wohlfühlt. Der schwarze Anzug erinnere sie an Tod und Beerdigung. Das müsse sie sich nicht in ihrer letzten Lebensphase antun. Lars’ Reisegepäck bestand aus einem Stapel weißer Hemden und zwei schwarzen Anzügen. Des Weiteren einer blauen Jeans und ein paar T-Shirts und Nachtwäsche. Auch wenn ‚Very first class Limo’ auf einen schwarzen Anzug als Dienstkleidung bestand, so musste im vorliegenden Fall der Kundenwunsch Priorität genießen dürfen. Lars entschied sich für einen Kompromiss, der die blaue Jeans, ein weißes Hemd ohne Krawatte und ein schwarzes Sakko vorsah.
Beim Betreten des ‚L.A. Restaurants’ im Hotel Intercontinental erblickt er sofort Irma an einem Fenstertisch. Ein Kellner steht dicht bei ihr und hört sich offenbar einen Vortrag an. Beim Nähertreten erkennt sie Lars.
„Lars, guten Abend. Ich habe den Kellner hier gefragt, ob er uns ein typisches Berliner Essen empfehlen kann. Wie geht es dir? Schick siehst du aus, das ist doch bestimmt bequemer, oder? Komm setzt dich!“
Der Tisch ist fein eingedeckt, das Besteck funkelt, als wäre es gerade eben noch poliert worden. Der Stuhl ist sanft und weich, Lars gleitet tief hinein.
„Erzähl mir was über dich, hast du eine Freundin? Du siehst verliebt aus.“
Nachdem Lars das Fragen-Bombardement überstanden hat und einige Auskünfte über seine Vergangenheit und Gegenwart mit Britta in Hamburg gegeben hat, serviert der Kellner ‚Kalbsleber Berliner Art’. Irma trinkt ein Glas Rotwein, Lars begnügt sich mit einer kleinen Karaffe Wasser.
„Morgen möchte ich zum Auftakt eine kleine Stadtrundfahrt machen, ich will sehen wie sich die Stadt verändert hat. Vielleicht können wir in die Chausseestraße fahren. Gibt es noch das alte Ballhaus Berlin dort?“
Lars wischt sich mit der feinen Stoffserviette den Mund sauber und kramt in seinem Gedächtnis. Nicht häufig verlangten seine Gäste historische Stadtrundfahrten, aber wenn, dann hatte er vorher gebüffelt und recherchiert.
„Ja, das Ballhaus Berlin existiert noch, es ist über hundert Jahre alt und man kann dort immer noch von Tisch zu Tisch telefonieren. Die Gegend in der Chausseestraße galt in der Zwanziger- und Dreißiger Jahren als