Plötzlich auf Föhr. Rainer Ballnus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rainer Ballnus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095678
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mein Liebling! Mach’ es dir bequem, hörst du“, heuchelte er liebevoll, sprang von seinem Sitz hoch und rückte ihren Stuhl nach hinten, als sie aufstand.

      „Übernimm dich nur nicht. Irgend­wie bist du ja plötzlich so höflich. Stimmt irgendetwas nicht mit dir?“, meinte sie ironisch, aber überhaupt nicht misstrauisch. Karl lächelte fast ein wenig verlegen. Er war aber zufrieden mit diesem Dialog, holte sich aus dem Appartement Mantel und Schirm und trat auf die regennasse Straße. Auch er konnte nicht ahnen, was in den nächsten Stunden plötzlich über dieser ruhigen und beschaulichen Insel Föhr hereinbrach.

      „Elke, du musst aufstehen! Du weißt, Herr Matthießen sieht es nicht gern, wenn du zu spät kommst.“

      Mit einem leicht ärger­lichen Ton­fall ermahnte Peter seine junge Frau.

      Sie lag da im Bett auf dem Rücken und starrte gegen die Decke. Eigentlich kann sie einem leidtun, dach­te er. Wahrscheinlich hatte sie wie­der ihre depressive Phase. Er meinte das nicht abfäl­lig, sondern eher etwas mit­leidig. Er konnte ihr so wenig helfen.

      Angefangen hatte es vor drei Jahren. Zu­erst war ihr immer übel geworden, einfach nur so, ohne ersichtli­chen Grund. Die Ärzte hatten sie auf den Kopf ge­stellt, aber keinen orga­nischen Befund erheben können.

      Wahrschein­lich eine vegetative Dystonie, lautete die lapidare Diagnose. Sie sollte es einmal mit dem Auto­genen Training versuchen, hieß der ärztliche Rat­schlag. Damit kam sie nun gar nicht zurecht. Im Ge­genteil, zu der Übelkeit kamen noch Lustlosigkeit und so eine Art Lebensverdruss hinzu.

      Es gab Tage, da war sie einfach nicht aus dem Bett zu bringen. Völ­lig apathisch lag sie da und tat einfach nichts. Zunächst war ihr Pe­ter mit viel Lie­be entgegengekommen. Aber das hatte sie auch nicht haben wol­len und so kam es, dass er hin und wie­der auch ein wenig unwirsch wurde und ihr gelegentlich vorhielt, sich nicht im­mer so anzustellen und dass sie sich gefälligst zusam­menreißen sollte. Sie war daraufhin in Weinkrämpfe verfal­len und hatte sich noch mehr zurückgezo­gen.

      Schließlich waren sie bei einem Psychia­ter ge­landet. Der hatte viel Ge­duld mit El­ke. Mit Ge­sprächstherapie und medikamentöser Unterstützung war es ihm gelungen, ihr wie­der ein bisschen Lebens­mut einzuflößen. Aber ab und zu gab es eben einen solchen 'Ein­bruch' wie heute Morgen.

      „Elke, hörst du nicht, es wird höch­ste Zeit!“, wiederholte Peter seine Mah­nung, diesmal etwas schär­fer.

      In der Bank, in der sie als Kassie­rerin arbeite­te, war man ihr sehr rück­sichtsvoll begegnet. Immer, wenn es sie sehr schwer er­wischt hatte, war der Fi­lialleiter zur Stelle gewesen und hatte sich sehr einsich­tig gezeigt. Manchmal hatte er sie auch nach Hause bringen lassen. Aber irgendwo gab es natürlich auch Grenzen. So hatte er ihr vor eini­ger Zeit doch geraten, eine längere Spezialkur anzutreten, um ihre völlige Arbeits­kraft wiederzuerlangen. Daraufhin hat­te sie drei Tage überhaupt nicht ge­arbeitet. So sehr war ihr diese Emp­fehlung ‚unter die Haut’ gegangen. Erst nach ei­ner Entschuldigung des Chefs und dem zarten Hinweis, dass er es ja nur gut ge­meint hätte, war sie wieder zur Arbeit zu be­wegen gewesen.

      „Ich glaube, ich lasse mich krank­schrei­ben; ich schaff' es sowieso nicht ohne ihn“, klagte Elke, ohne Anstalten zu machen, das Bett zu verlassen. „Er fährt einfach in den Urlaub und lässt mich mit dem ganzen Kram al­leine“, fuhr sie kraftlos fort.

      Ach daher weht der Wind, verstand Peter. Dabei war doch alles abgespro­chen. Schon seit Wochen hatte Elke von nichts anderem berichtet, dass der Chef jede Kleinigkeit mit ihr besprochen und auch dafür gesorgt hätte, dass von der Zentrale jemand zwei- oder drei­mal in der Woche zur Unterstützung kommen soll­te.

      Immer und immer wieder hatte Klaus Matthießen nachgefragt, ob sie mit allem einverstanden sei und ob sie es auch schaf­fen werde. Und Elke war recht zuver­sichtlich; sie war sogar ein wenig stolz, dass der Chef ihr so viel Vertrau­en entgegenbrachte und nun heute Morgen dieser Rückfall.

      Peter ver­spürte Ärger in sich aufkommen. Du musst dich jetzt zusammennehmen, gab er sich selbst den Rat, sonst ist alles vorbei und Elke müsste dann doch zukünftig mit einer an­deren Tätigkeit auf dem Festland rech­nen.

      Klaus Matthießen hatte ihm gegen­über schon einmal so eine Andeutung ge­macht. Das wäre wiederum nicht auszuden­ken, mit der Fahrerei und mit dem, was sonst noch daran hing.

      Also, was tun, fragte er sich. Die größte Aussicht auf Erfolg sah er darin, in ihr die Verant­wortung noch einmal groß zu ma­chen, die der Chef ihr übertragen hatte.

      „Du wirst die tragende Kraft in den näch­sten vierzehn Tagen sein und das wird dir Auftrieb geben“, versuchte er es. Elke hob den Kopf.

      „Meinst du wirk­lich?“

      Mein Gott, es schien zu klappen, frohlock­te Pe­ter. Er biss sich auf die Lippen und suchte nach einer passenden Antwort.

      „Du hast viel geleistet in eu­rer Bank.“

      „Du hast recht Pe­ter, Herr Matthießen soll sich freuen, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt.“

      Was dann kam, fühlte sich für Peter fast wie ein Wunder an, denn solch eine Reaktion hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Beinahe schwungvoll kam seine Frau aus den Fe­dern und ging ins Bad.

      Er at­mete erleichtert aus. Wer weiß, wie lan­ge das anhält, kamen ihm jedoch gleich wie­der Zwei­fel. Hoffent­lich verlief der letzte Tag heute mit dem Chef harmonisch. Es durf­te nichts Unvorhergesehenes dazwischenkom­men, gingen seine Gedanken weiter. Er konnte nicht wissen, dass er mit seiner gut ge­mein­ten Hilfestellung, seine Frau zur Arbeit zu bewegen, eine neue Schicksalsrunde für sie beide eingeläutet hatte.

      So ein Schmuddelwetter, schüttelte sich Karl Padow und hielt den Schirm krampfhaft gegen die Regenböen. Noch ei­ne Querstraße, dann hast du es ge­schafft, machte er sich Mut. Den Blick auf das nasse Pflaster ge­rich­tet, um so die Pfützen zu umgehen, bahn­te er sich seinen Weg durch die schmale Gas­se.

      Wie viel Geld kann ich eigentlich abhe­ben, ohne dass Herta darüber stolpert, rech­ne­te er durch und war mit seinen Gedanken bei der Blonden.

      Rums - der Schirm krach­te gegen ei­nen Laternenpfahl und Padow wäre beinahe ins Stolpern geraten, wenn ihm nicht ein entge­genkommender Herr rechtzeitig unter die Arme gegriffen und so vor einem Sturz be­wahrt hätte.

      Dankbar drehte er sich um und blieb ruckartig stehen. Das war doch die männli­che Begleitung seines Schwarms. Blitz­schnell drehte er sich nach allen Seiten um, konnte sie aber nirgendwo entdecken.

      Seine Gedanken überschlugen sich. Er schaute auf die Uhr: Zwanzig vor zwölf. Er wusste, dass die Bank in zwanzig Minuten schlie­ßen würde. So hatte er noch ein paar Mi­nuten Zeit, dem Mann zu folgen. Er würde ihn sicherlich zum Hotel seiner Neuentdeckung führen, so meinte er.

      Padow wechselte die Stra­ßenseite, um nicht gleich aufzufallen.

      Der andere schien eine feste Adresse im Auge zu ha­ben, denn er ging schnurstracks auf das Ho­tel 'Meeresrauschen' zu.

      Sollte ich so ein Glück haben, frohlockte Padow und richtig, sein Helfer ging auf die andere Straßen­sei­te, nahm die Eingangsstufen zum Hotel fast im Laufschritt und schon war er durch die offene Tür sei­nen Blicken ent­schwunden.

      Karl wollte gerade nachsetzen, doch ein nochmaliger Blick auf seine Uhr hielt ihn zurück. Es war jetzt elf Uhr und fünfzig. Sei vernünftig, ermahnte er sich selbst. Du weißt jetzt, wo sie ver­mutlich gastiert und du brauchst unbe­dingt noch Geld.

      Während der letzten Gedanken hatte er sich schon umge­dreht und in einem leichten Dauerlauf den Rückzug an­getreten. Mein Gott, schnaufte er nach eini­gen Metern, du bist auch nicht mehr der Jüngste. Ich glaube, du müsstest ein we­nig mehr Sport treiben. Seine linke Seite fing an zu stechen, so dass er immer langsa­mer wurde und schließlich nur noch im Schritttempo vor­ankam.

      Nach der letzten Bie­gung sah er in der Verlängerung der