Der Krieg. Barbara E. Euler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara E. Euler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742794246
Скачать книгу
fiel über sie; fiel über sie wie anderswo über eines jungen Ritters frisches Grab; am Rand des Waldes entlang stolperte sie und dann mitten hinein, blind vor Trauer und Wut und Bilsenkraut und Liebe. Keiner hielt sie auf.

      Nachtlied der Vögel. Ein Käuzchenruf. Sie kannte schon die Sprache des dunklen Waldes, an dessen Saum sie nun hauste. Ihr war nicht bang, wie sie ins Dunkle lief. Sie war ja auf dem rechten Weg. Solange sie Gabriels Worte befolgte, würde ihr nichts geschehen. Sie lief weiter, trotzig und treu. Bald hatte die Nacht alle Geräusche des Lagers am Waldsee verschluckt.

      Sie waren geschäftig dort am Ufer des stillen Sees. Grobe Hände rupften Rapunzel und Löwenzahn in kleine Stücke, Sauerampfer und Löffelkraut und was sonst wild wuchs um sie her, und streuten es in die dicke Brühe in einem zerbeulten Topf in der Glut, dass der herbe Duft ihre Sinne streichelte; jemand sang. Jemand hatte Kibitzeier geraubt, die er sorgsam aus seinem Hemd in die brodelnde Flüssigkeit gleiten ließ; Kinder mit knallroten Mündern tauchten die Hände in eine Schüssel voll Walderdbeeren. Leute lachten; einer spielte falsche Akkorde, bis er die richtigen fand. Pilze und kleine Fische wurden auf Äste gespießt, um sie über dem Feuer zu braten.

      Bantak kam, die Tasche prall gefüllt, und sie umringten ihn freudig, zu inspizieren, was er gebracht hatte. Niemand fragte nach dem kleinen Ritter, den er mit sich genommen hatte; ein jeder ging hier seiner Wege und wenn wer verschwand, so hatte es seinen Grund. Dieser hier war wohl ein Deserteur gewesen. Oder ein Dieb. Ein Mörder. Aber es ging sie nichts an. Der kleine Ritter war mit Moira gekommen und Moira hatte gesagt, dass es seine Ordnung hatte mit ihm, und dass sie ihn in Ruhe lassen sollten, und das genügte.

      Bantak schüttelte die Erinnerung an die blutige Freude ab, deren Zeuge er dort im Walde geworden war. Seine Neugier war gestillt, gründlich. Den Teufel würde er tun, davon zu sprechen. Siegessicher warf der Zigeuner die schönen Päcklein in das weiche Moos. Er war wirklich ein guter Jäger.

      Sie hätte etwas zu essen mitnehmen sollen. Sehnsüchtig dachte Lelle an die kleinen Hasen, an die Eichhörnchen, an die Bisamratte. Die Herzen. Die Lebern. Ärgerlich raffte sie ihren Mantel und stolperte weiter. Wenn der Tag anbrach, würde sie sich an des Waldes Früchten laben. Wenn er anbrach. Noch war es nicht lange her, dass des alten Tages letztes Licht hinter den schwarzen Bäumen versickert war.

      Da! Was war das? Lelle verhielt abrupt ihren Schritt. Nichts. Sie musste sich getäuscht haben. Sie holte tief Luft und stapfte weiter, über wildes Wurzelwerk, das in der Dunkelheit nach ihren Füßen haschte, durch dornenbewehrtes Gestrüpp, das nach ihrem Mantel griff, unter Blätterwerk, das raschelnd ihr über die Kapuze strich. Schneller. Sie musste schneller gehen. Da! Wieder. Das war kein Irrtum. Da war jemand. Instinktiv ließ sie sich fallen, wo sie war, und atmete heftig in die mit kleinen Tannennadeln übersäte Erde. Eine dicke Ameise lief vorbei. Lelle wartete. In der Stille meinte sie fast den Tritt der winzigen Beine hören zu können. Nichts geschah. Vorsichtig hob Lelle den Kopf.

      „Das muss besser werden“, sagte eine Stimme über ihr. Die Stimme gehörte zu den zwei kräftigen Füßen vor ihrem Gesicht. Moiras Stimme. Lelle drehte sich auf den Rücken und starrte sprachlos auf die Waldfrau, die kopfschüttelnd auf sie heruntersah. „Das muss besser werden“, wiederholte sie.

      „Was?“ endlich hatte Lelle ihre Stimme wiedergefunden. „Was muss besser werden?“ Moira grinste so breit, das man es selbst in der Dunkelheit sehen konnte. „Alles“, sagte sie schlicht. „Alles.“ Sie streckte Lelle eine Hand hin. „Kommt!“, sagte sie und zog den kleinen Ritter hoch. Lelle schüttelte sich, dass die Tannennadeln von ihr rieselten. „Ich habe Euch übrigens nicht gesucht“, beschied Moira den Ritter. „Ich laufe keinem nach. Ich bin hier, um nach Kräutern zu suchen. Bei Vollmond sind sie am stärksten.“

      „Vollmond….“, krächzte Lelle durch die Dunkelheit, „welcher Vollmond?“ Moira wies hinter sich. Eben hob sich zwischen den dunklen Stämmen die Scheibe des Mondes empor, ein riesiges silbriges Rund, welches hoch stieg und höher und Moiras Gesicht beschien, das ruhig war und sicher, wie von jemandem, der wusste, was er tat. Lelle sah dem Mond beim Aufsteigen zu und ließ das Silberlicht über sich laufen. Tief sog sie die nächtliche Luft ein. „Danke“, sagte sie zu niemand im Besonderen.

      „Wenn Ihr achtgebt, wo Ihr hintretet, hören sie Euch nicht“, belehrte Moira ihre Begleitung beiläufig, als sie kurze Zeit später nebeneinander herliefen. Lelle blieb stocksteif stehen. „Wer? Wer hört mich nicht?“ sagte sie tonlos. „Na, die Gonligots… zum Beispiel“, entgegnete Moira verwundert. Konnte es sein, dass Lelle nichts von den Gonligots wusste?

      „Die, die kleine Kinder rauben“, klärte Moira den Stadtmensch geduldig auf. „Manchmal greifen sie auch ausgewachsene Männer an und würgen sie“, fügte sie hinzu. „Und dann sind da noch die…“ sie unterbrach sich, als Lelle ihr die Fingernägel in den Arm grub. „Für einen Ritter seid Ihr ziemlich…“, sie wusste, wie grob sie war, und besann sich. „Seht hier, da sind sie schon…“, sagte sie versöhnlich, als sie an eine kleine Lichtung kamen. Die Fingernägel in ihrem Arm sagten ihr, dass es nicht versöhnlich genug gewesen war. „Ihr tut mir weh“, sagte sie kalt und machte sich los und bückte sich. Zögernd tat Lelle es ihr nach.

      „Eisenhut“, sagten sie beide wie aus einem Mund. Moira fuhr herum und starrte den Ritter an. „Und wofür braucht man das?“, raunte sie streng, als sie sich wieder gefasst hatte. „Zur Wundheilung und gegen Geschwüre“, raunte Lelle zurück, und kniete neben der Pflanze nieder und hatte die Gonligots schon vergessen, „man zerstampft die Blätter und macht einen Brei daraus.“ Sie hörte Moira neben sich zufrieden schnaufen. „Gegen Dämonen und Hexen hilft es auch“, ergänzte die Waldfrau. Lelle zuckte zurück und hob abwehrend die Hände. „Unsinn…“, sagte sie beschwörend, „Unsinn… Das ist Aberglaube…“ Mühsam stand sie auf. „Es gibt keine Hexen“, sagte sie heiser und wollte fort.

      Moira schoss hoch. Stadtmenschen waren kompliziert und dieser hier besonders. „Es ist gut. Zur Wundheilung“, flüsterte sie rasch und erfasste einen Zipfel des schwarzen Mantels. „Zur Wundheilung“, wiederholte sie, als jetzt der kleine Ritter neben ihr niedersank. „Es gibt keine Hexen“, murmelte er immer wieder, „es gibt keine Hexen“. Vorsichtig strich Moira über die schmalen, zuckenden Schultern. „Es ist gut“, wiederholte sie. „Hier!“, sie streckte Lelle einen abgewetzten Leinenbeutel entgegen und zückte ihr rostiges Messer. Ruhig begann sie die zähen Zweige abzusäbeln und in den Beutel zu stecken, den Lelle mit fahrigen Händen offen hielt.

      Die winzigen Blüten spiegelten das weiße Licht des Mondes. Ein leichtsinniger Vogel sang im Schlaf. Bald darauf schrie er, als der Fuchs ihn holte oder der Marder. Moira fuhr mit ihrer Arbeit fort, unberührt. Lelle sah ihr zu und zwang sich, ruhig zu sein. Ruhig und mutig und stolz. Ein Schwarzer Falke. Gabriel.

      Nein. Nicht.

      Sie biss sich auf die Lippen und hieß ihre Augen trocken sein.

      Moira sah auf. „Fehlt Euch etwas?“ Lelle schüttelte den Kopf. Sprechen hätte sie jetzt um alles in der Welt nicht gekonnt.

      Stunden arbeiteten sie so und Lelle wurde ganz ruhig dabei. „Und wofür ist das?“, frug die Waldfrau ein ums andere Mal und meist antwortete der kleine Ritter fehllos, und wenn sie sich was dazudachte, das er nicht gesagt hatte, was von Zauberkraft und Liebestrank und Hexerei, so behielt sie’s für sich. Von Pflanze zu Pflanze gingen die Frauen durch den silberbeglänzten Nachtwald. Sie fühlten über hohe, rau behaarte Stängel, rochen an zarten Blüten, betasteten wirres dunkles Kraut und harte runde Beeren und sammelten, was ihnen gut dünkte. Moiras rostiges Messer glitt durch nachgiebiges frisches Grün, arbeitete sich durch widerspenstiges Holz und löste knotige Wurzeln aus der sandigen Erde und duftende Früchte aus groben Schalen. Schon trugen sie beide einen prall gefüllten Beutel. Ihre zerkratzten Hände waren üppig mit schweren, würzigen Säften getränkt, allüberall war betörender Dunst von Baldrian und Bilsenkraut und wildem Majoran und Lorbeer und Salbei und Eisenkraut und von so manchem, das Agnes noch nie gesehen hatte. Das Johanniskraut ließen sie stehen. „Ich hol’s an Johanni, dann ist es am stärksten“, raunte Moira und zog den kleinen Ritter weiter, bis sie die nächste Pflanze fanden, und weiter, und weiter.

      Unversehens