Krieg und König. Anja Von Ork. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Von Ork
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738064384
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und gafften, schickte sie alle sofort wieder an die Arbeit. Die Wenigsten hatten Einwände. Nur Anna blieb bei Gwyn, die sich nicht bewegen ließ, in ihr Zimmer zu gehen.

      Tristan war zurück in den kleinen Hof gegangen, wo die anderen bereits wieder seit einer Weile trainierten. Seine Gefühle waren ein einziges Chaos. Er sehnte sich nach Annas Nähe, wollte bei ihr sein. Doch sein Verhalten vorhin im Treppenhaus hatte ihn selbst wohl am meisten überrascht. Er, der sonst alle Entscheidungen sorgfältig abwog und jeden Schritt im Voraus plante, hatte völlig intuitiv und rücksichtslos gehandelt. Vielleicht hatte er alles verdorben? Diese Angst hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und wollte nicht weichen. Dann machte er sich Gedanken darüber, was er von den Mädchen erfahren hatte. Innerlich kochte er vor Wut. Wie konnte diese fette Spinatwachtel nur so etwas tun? Hoffentlich wurden sie die schnell wieder los, sonst würde er sich diese Dame vornehmen müssen. Auch diese Rachegelüste waren ihm neu. Bestürzt über diesen Haufen neuer Erfahrung versuchte er, sich nichts von dem Sturm in seinem Inneren anmerken zu lassen. Er musste von Anfang an eine gute Figur machen und allen beweisen, dass er mehr vermochte, als man ihm zutraute. Er gehörte in die Ehrengarde! Der Regen tropfte immer noch vom Himmel herab und der Boden war von den Übungskämpfen gleichermaßen wie von den Wassermassen aufgewühlt. Er musste nun besonders vorsichtig sein, um in der glitschigen Erde nicht auszurutschen. Ein paar der Soldaten hatten die Männer inzwischen in Gruppen eingeteilt und versuchten sie im Nahkampf ohne Waffen zu unterweisen. Es war auf dem rutschigen Untergrund schwer genug. Tristan mischte sich unter die Männer, die den Ausführungen eines einarmigen, hageren Soldaten lauschten. Dieser hatte bislang jeden Angreifer erfolgreich abgewehrt. Immer wieder forderte er einen der Umstehenden auf, ihn anzugreifen. Oft schlug er ihn dann mit dem ersten Gegenschlag zu Boden. Tristan beobachtete ihn eine Weile, bevor auch er schließlich aufgefordert wurde. In seinem Inneren brodelte immer noch eine unbändige Wut. Er war eigentlich viel zu durcheinander, um jetzt rational und klar zu denken. Wie sollte er sich auf den Kampf konzentrieren? So kannte er sich gar nicht. Langsam ging er in die Mitte. Er versuchte es mit einer Täuschung nach links, um dann von rechts anzugreifen. In Sekundenschnelle fand er sich auf dem Boden wieder, bevor er überhaupt begriff, was los war. Seine Wut explodierte wie eine Kanonenkugel. Der Einarmige lachte laut auf und wandte ihm den Rücken zu. Tristan wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht, kam blitzschnell hoch und sprang ihn von hinten an. Es gelang ihm, den Kerl in den Würgegriff zu nehmen und so hing er recht unprofessionell auf dessen Rücken, würgte ihn mit dem rechten Arm und drosch mit der linken Faust auf seinen Kopf ein. Da der Mann nicht mit dem Angriff gerechnet hatte, schwankte er wie ein Baum hin und her und rutschte schließlich auf dem nassen Boden aus. Der Länge nach stürzten beide zu Boden. Die Soldaten johlten und schrien. Der Regen hatte wieder zugenommen. Mühsam rappelte Tristan sich hoch. Doch er hatte sich kaum aufgerichtet, da griff der Einarmige nach seinem Bein und riss daran mit einem Ruck, der Tristan wieder auf den Boden warf. Er hatte kaum Gelegenheit, sich umzudrehen, als der Kerl auch schon auf ihm saß und ihm einen Kinnhaken verpasste. Für einen Moment schwanden ihm die Sinne, dann explodierte der Schmerz in seinem Gesicht. Er schmeckte Blut. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben. Der Einarmige stand auf und riss ihn am Hemdkragen nach oben. Tristan schnaubte immer noch vor Wut. Er wollte wieder blindlings zuschlagen. „Reg dich ab, das ist nur eine Übung.“ Zischte ihm der Einarmige zu und schlug ihm kräftig auf die Schulter „Das war sehr gut so. Der Nächste.“ Tristan ging. Es war ihm egal, dass die Übungen noch nicht beendet waren. Henrik stand im Hintergrund in der Nähe der Stallungen und wartete. Tristan spuckte einen Mund voll Blut auf den Boden. Dann ging er an Henrik vorbei und betrat den Stall. Im Dämmerlicht konnte er die Tiere kaum sehen, aber ihr Geruch und ihre Wärme schlug ihm entgegen. Er ging bis zu seiner Box und lehnte sich mit dem Kopf an den warmen Hals seines Pferdes. Nach diesem Wutanfall war er erschöpft und schockiert. Er wusste nicht, wieso er so heftig reagiert hatte und er wollte es auch nicht verstehen. Er merkte, wie es in seinem Nacken prickelte. Die anderen hatten vermutlich nichts gemerkt. Nur ihm machte seine innere Unruhe zu schaffen. Henrik kam langsam näher. „Stimmt etwas nicht?“ Tristan schüttelte den Kopf. „Ziemlich harter Schlag für einen einarmigen Veteranen.“ Nuschelte er. Sprechen tat weh. Henrik nickte und begutachtete Tristans Kinn. „Das gibt einen Bluterguss. Noch einen.“ Dann schüttelte er den Kopf. „So war es ja schon immer. Kann mich nicht erinnern, dass ihr mal keine Blessuren hattet.“ Er lachte. Tristan lachte auch, aber es klang selbst in seinen Ohren bitter. Henrik hatte Recht. Er schien immer der Verlierer zu sein. Vermutlich würde er seinen ersten ernsthaften Kampf nicht überstehen. Der Knecht öffnete die Box und trat neben das Pferd. Aus der Kiste mit dem Sattelzeug nahm er eine bauchige Flasche und lehnte sich an die Trennwand der Box. Tristan beugte sich vor. „Was hast du da?“ „Nur eine Kleinigkeit. Zur Aufmunterung.“ Henrik entkorkte die Flasche und nahm einen tiefen Zug. „Du bewahrst das Zeug in der Sattelkiste auf?“ Henrik hielt ihm die Flasche hin und Tristan nahm einen Schluck. Es war feinster Branntwein und obwohl seine Zunge noch mehr schmerzte, merkte er, wie der Alkohol ihn entspannte. Er wischte sich den Mund ab. Henrik sagte: „Die durchsuchen regelmäßig die Kammern der Knechte und Zofen. In deiner Sattelkiste schauen sie aber nicht nach.“ Tristan schüttelte den Kopf. „Scheint ganz so, als wären wir vom Regen in die Traufe gelangt. Und genau wie früher auch schmuggelst du die guten Sachen ja doch irgendwie hinein.“ Er lachte und erinnerte sich an die Stunden, die er als Junge wegen seiner vielen Streiche auf seinem Zimmer verbracht hatte, von Henrik trotz des Verbots seiner Eltern immer mit Essen und allem Möglichen versorgt. Henrik lachte auch. Da er nicht viel älter als die beiden Söhne seines Dienstherrn war, hatte er von all ihren Streichen gewusst und an einigen selbst Anteil gehabt. Tristan kam ebenfalls in die Box und gemeinsam ließen sie sich auf der Sattelkiste nieder und ließen sich noch einen Schluck von dem Branntwein schmecken. Sie waren wieder dort angelangt, wo sie in ihrer Kindheit irgendwann aufgehört hatten. Er wusste gar nicht mehr, warum er sich damals von seinem Spielkameraden abgewandt hatte. „Hast du dich mal nach der Dame erkundigt, der ich angeblich nachstelle?“ Henrik nickte nur und korkte die Flasche wieder zu. „Bislang ohne Erfolg. Aber ich habe die Dienstboten in der Küche noch nicht gesprochen.“ Damit gab Tristan sich zufrieden. „Durchsuchen die eigentlich auch mein Zimmer?“ fragte er neugierig. „Nein.“ „Bist du sicher?“ „Wenn ja, dann haben sie den Port unter dem Bett bislang noch nicht entdeckt.“ Tristan runzelte die Stirn. „Du versteckst Portwein unter meinem Bett?“ Henrik lachte. „Im Leben nicht. Der wäre vermutlich schneller weg als ich blinzeln könnte.“

      Reinhard blieb noch zum Mittagessen, dann machte er sich wieder auf den Weg. Er schien sich nicht besonders wohl zu fühlen, aber auf Brins Frage antwortete Mac, das es nicht an ihrer Begabung läge, sondern an dem Wandel in seiner Lebensweise. Reinhard konnte sich anscheinend nicht daran gewöhnen, seinen ehemaligen Herrn nun als einfachen Mann zu sehen. Brin fand das durchaus verständlich, konnte er sich doch im Gegensatz dazu nicht vorstellen, dass Mac einmal in dem riesigen Haus gelebt, ja, dass es ihm sogar gehört haben sollte. Das Haus, das nach diesem schrecklichen Angriff nun eine Ruine war. Mac stellte sich bei all seinen Fragen taub. Er wollte nicht mehr darüber reden und hielt Brin lieber mit Aufgaben auf Trab. Obwohl er nur so kurz bei ihnen gewesen war, hatte Brin sich mit Reinhard trotzdem gut verstanden, denn der ehemalige Stallmeister wusste eine ganze Menge über Pferde und schien sehr stolz auf das Tier zu sein, dass ihm selbst gehörte. Ein eigenes Pferd zu besitzen schien Brin immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Mac bat ihn, seine Wäsche zum Wechseln in einen Beutel zu packen und sich auch um die Verpflegung zu kümmern. Sie wollten morgen früh aufbrechen. Bis nach Lauterstein würden sie zu Fuß rund zwei Tage unterwegs sein, denn Mac konnte wegen der alten Verletzung am Knie weite Strecken nicht gut bewältigen. „Man wird halt alt.“ Meinte er dazu mit stoischer Miene. Ansonsten wollte er, dass Brin sich noch mal mit allem auseinandersetzte, was er schon gelernt hatte und vor allem sollte er sich noch einmal an das Entzünden der Kerze wagen. Es schien so, als habe Mac Angst, Brins Unterricht könnte während der Reise zu kurz kommen. Er benahm sich in der Beziehung sowieso recht merkwürdig, seit er Brin in dem Haus gefunden hatte, hatte er den Unterricht intensiviert. Dennoch schien Brin keine Fortschritte zu machen. Vielleicht besaß er gar kein Talent? Als er sich jetzt wieder über den Kerzenstummel beugte und sich so verbissen auf den Docht konzentrierte, dass er beinahe schielte, nagte tief in seinem Unterbewusstsein der Zweifel.

      Gwyn saß immer noch zitternd vor dem Kamin. Anna hockte schweigend