Franziska ruderte mit ihren Händen, die sich im Rock verfangen hatten, um sich zu bedecken.
«Wartet Jungfer, ich helfe Euch!» Er löste sich aus seiner Starre und packte die Hände des Mädchens, zog sie mit einem Schwung hoch, sodass sie in seine Arme fiel.
Verlegen, mit einem hochroten Kopf stotterte Franziska gestelzt: «Grüß Gott! Danke holder Wandergeselle. Wohin des Weges?» Sir kehrte um und stob mit ihren Freundinnen davon.
Was Dümmeres ist mir nicht eingefallen, dachte sie. Fesch hat er in seiner Kluft ausgeschaut. Ein Handwerksbursche, das wäre es - etwas Besseres bekomme ich nicht.
Seit drei Jahren war sie schon bei ihrer Tante Martha Kramer, die sie zu sich geholt hatte, nachdem ihre Mutter Maria gestorben war. Andere Verwandte gab es nicht, auch keinen Vater, zumindest hatte Mutter den nie erwähnt. Niemand der sich um das Mädchen kümmerte. Manchmal, früh morgens wenn sie wach im Bett lag, phantasierte sie, dass ihr Vater ein reicher Mann, unter Umständen, ein Baron oder Graf sei.
«Wir hätten dich in ein Waisenheim stecken sollen, sei froh, das wir dich so großzügig aufgenommen haben. Nutze unsere Gutmütigkeit nicht aus!», zeterte die Meisterin, wenn sie sich über Franziska ärgerte. «Ich verlange absoluten Gehorsam von dir. Jetzt ab in die Küche!»
Sie war anfangs dagegen gewesen, als ihr Mann das Mädchen ins Haus gebracht hatte. Immer wieder schüttelte sie missmutig über den Störenfried den Kopf.
«Das ist das Kind deiner Schwester, die kannst du nicht einfach wegstecken», ereiferte sich Meister Kramer vor drei Jahren.
«Maria hielt sich für was Besseres, nur weil sie dort arbeitete. Hausdame, dass ich nicht lache, der Alte wird sie geschwängert haben, aber sie gab nicht preis, wer der Vater von dem Bankert ist. Soll doch der Graf von Schweinitz sie behalten.»
«Jetzt sei still, ich habe entschieden, das Mädchen wird dir im Haushalt helfen und mit unseren Kindern spielen.» Energisch unterband Eberhard damals die Widerrede seiner Frau.
So wuchsen die zwei eigenen Mädchen zusammen mit der ein paar Jahre älteren Base auf. Aber immer im Bewusstsein, wir sind die Meisterkinder, dies ist nur eine arme Verwandte. Die Kramers zeigten sich großzügig und schickten das Kind zur Schule.
Mit ihren Basen ging sie zwar zum Unterricht und manchmal spielten sie gemeinsam, wenn sich die beiden langweilten, aber sonst waren das arrogante Ziegen, die sie herum kommandierten und bei jeder Gelegenheit schikanierten. Sie waren neidisch, weil sie eindeutig die Hübschere war.
Die Meisterin bedachte Franziska als billiges Dienst- mädchen mit allerlei Pflichten, Aufgaben die zur Bewältigung des großen Haushaltes notwendig waren.
Einmal im Monat gehörte das Ölen der Fußbodendielen im ganzen Haus und das anschließende Abkehren mit Quarzsand zu ihren Pflichten. Eine anstrengende scheußliche Arbeit, die keiner gerne übernahm.
Vor einiger Zeit lauschte sie einem Gespräch zwischen dem Meister und seiner Frau, sie stand im Gang und wollte das Essen servieren.
«Wir verheiraten Franziska, so schnell wie möglich, dann sind wir sie los und haben keine unnötige Esserin mehr im Haus.»
«Nein Mann, das meine ich nicht! Soll sie doch eine alte Jungfer werden. Solange ich Franziska für Haushalt und Küche habe, spare ich mindestens eine Dienstmagd ein. Das Kind ist fleißig und hilft unseren Kindern bei den Hausaufgaben. Wenn ich dafür extra Jemanden einstelle, kostet das mehr, als das bisschen Essen.»
«Na, wenn du meinst, ich misch mich da nicht ein. Früher wolltest du sie doch unbedingt schnell loswerden, – Franziska! Wo bleibt mein Essen?», plärrte er verärgert und klapperte mit dem leeren Teller.
Seitdem träumte das Mädchen von dem Prinzen, der sie hier rausholen würde. Aber wo lernte man einen kennen, es fehlte an Gelegenheiten. Gab es einmal eine Einladung oder eine Gesellschaft, so musste sie bedienen.
Einzig die Mutter vom Meister, zu der sie Großmutter Sophia sagen durfte, unterhielt sich ab und zu mit ihr. Sophia Kramer, groß, vornehm gekleidet, trat selbstbewusst auf, ihr Mann hatte schließlich den Betrieb aufgebaut. Sie war die Frau Meisterin, kommandierte besonders ihre Schwiegertochter, die in ihren Augen arrogant und faul war, herum. Die beiden Enkeltöchtern behandelte sie spröde, kamen sie doch eindeutig nach der Mutter.
An Franziska hatte sie ihre Freude: «Aus dir wird mal was, Mädchen. So fleißig und hilfsbereit, wie du bist. Die Männer werden sich um dich reißen.» Sophia lachte und versuchte, sie weit gehend zu unterstützen. Schon mehrmals durfte sie die Großmutter nach Breslau begleiten. Dies waren die schönsten Tage in ihrem bisherigen Leben, besonders wenn sie mit der alten Dame nachmittags das Kaffeehaus am Markt besuchen durfte.
Beim letzten Mal begrüßte der Ober sie beide: «Küss die Hand Gnä´ge Frau», zu Franziska gewandt, «Meine Verehrung Komtess von Schweinitz, heute wieder einmal in der Stadt?»
«Nein, nein – sie verwechseln mich, ich bin Franziska Brand, eine Dienstmagd, keine Komtess», stotterte sie verlegen.
«Entschuldigung mein Fräulein, ich dachte - aber diese Ähnlichkeit!», er schüttelte den Kopf, «Sie sehen aus wie die junge Komtess Isabella von Schweinitz, wissen Sie, diese pflegt auch öfters ältere Damen aus dem Domfrauenstift ins Kaffeehaus zu begleiten.»
«Seltsam», die Großmutter schüttelte irritiert den Kopf, «war deine Mutter nicht bei dem Schweinitz in Stellung?»
«Ja, aber ich war seitdem nicht mehr dort. Der Graf hat, soviel ich gehört habe, zwei Töchter, die eine ist etwas jünger, die andere älter wie ich.»
«Wirklich merkwürdig!», murmelte die Frau.
«Was meint Ihr, Großmutter Sophia?»
Diese lächelte: «Ach nichts! Mach dir keinen Kopf, das ist etwas für alte Leute, so wie mich. Ich werde darüber nachdenken.»
Gerne wäre Franziska bei der alten Meisterin in Stellung gegangen, aber die lebte in einer winzigen Wohnung in Oppeln und führte ihren kleinen Haushalt noch selbst.
Dembiohammer 1902 - Maurer Johann
Am 22. Juni, einem Sonntagabend, erreichte er völlig durchgeschwitzt den Gutshof Mooreichen. Hier hatte er die Kinder- und Jugendzeit verbracht. Sein letzter Besuch bei den Eltern war kurz vor Beginn seiner dreijährigen Walz.
«Ach - der Herr Wanderbursche! Was willst du hier bei uns? Als es deinen Leuten beschissen gegangen ist, warst du nicht da! Deine Mutter hat sich wegen DIR umgebracht!», fertigte Verwalter Schulze, ein kleiner Giftzwerg, der sich immer aufspielte, ihn feindselig am Hoftor ab.
Johann senkte den Kopf und zuckte mit den Schultern, was sollte er da schon erwidern.
«Bist maulfaul?» Schulze drehte sich um und wies zur Küche: «Geh zur Hilde, die hat sich um die beiden gekümmert, nachdem auch deine Schwestern das Weite gesucht haben. Ein paar Klamotten hat sie aufbewahrt.»
«Danke Herr Schulze.»
«Gibt nichts zum Danken, hol die Sachen und dann mach, das du fortkommst – oder nimmst du bei uns eine Arbeit an? Könntest den Stall ausbessern.»
Johann schüttelte den Kopf.
«Hab ich mir gleich gedacht, dafür ist sich der Herr Geselle zu fein!»
Der junge Mann wandte sich zum Wirtschaftsgebäude.
«Warte, wenn du schon einmal da bist, solltst du dich bei der Baroness Frederike melden», rief er ihn zurück.
«Was will die von mir?»
«Keine Ahnung!»
Johann hastete die paar Schritte zur Haustür.
«Warte hier!», befahl Schulze.
Einige Minuten später kam er zurück, «Komm mit!»
Im kleinen Salon wartete