Ich ziehe mir das weiße Nachthemd aus und schleppe mich, mit noch etwas wackeligen Beinen, in die Duschkabine. Es ist mir egal, dass die ersten Liter, die aus dem Duschkopf auf mich niederprasseln, eiskalt sind. Sie sind definitiv nicht kälter als die Bestien und es ist eine willkommene Erfrischung. Ich zucke nicht einmal zusammen und das eisige Wasser auf meiner Haut ist fast wie eine Gehirnwäsche.
Es hilft mir, den Kampf mit der Bestie aus meinem Kopf zu spülen. Ich genieße es, eine Weile einfach so dazustehen und das Wasser wie Regen auf meinen Körper prasseln zu lassen, bis ich das erste Mal, seit Tagen nach einer der Seifen greife.
Ich entscheide mich für eine violette - Ashas Lieblingsfarbe - und sie entfaltet einen intensiven Duft nach Lavendel, als ich meinen verletzten Körper mit ihr einschäume.
»Du solltest sparsamer mit dem Wasser umgehen«, sagt Asha, die mit einem frischen Handtuch auf mich wartet. Sie hat recht, aber das habe ich jetzt gebraucht.
Es sind die Gefühle der Geborgenheit, die ich jedes Mal unter der Dusche empfinde. Die geschlossene Kabine und das warme Wasser. Ich komme mir hier so geschützt vor, so unerreichbar für die Bestien und für diese paar Minuten kann ich alles loslassen.
Meine Verantwortung und die quälenden Erinnerungen. Aber Asha kann das nicht wissen. Ich drehe den Hahn zu, öffne die vom Wasserdampf angelaufene Duschtür und verlasse meinen privaten Zufluchtsort. Mein Refugium.
Ich nehme nicht sofort das Handtuch, sondern bleibe einen Moment vor dem riesigen Spiegel, direkt neben der Dusche, stehen. Die Verletzung ist deutlich sichtbar. Dort wird eine neue Zeichnung, ein weiteres bizarres Tattoo entstehen, das mich immer an diese Bestie erinnern soll.
»Du siehst sehr schön aus«, sagt Asha.
Was sagt sie da?
Ich bin überrascht. Das hat sie noch nie gesagt. Ich betrachte mein Spiegelbild genauer, anders als sonst. Meine blonden Haare hängen mir klatschnass bis über meine Schultern. Ich bin kräftig, das weiß ich, aber man sieht es mir nicht an. Meine Arme und Beine sind schlank, nur an meinem Bauch zeichnen sich die Muskeln ab. Aber das liegt bestimmt daran, dass ich drei Tage nichts Festes gegessen habe. Bei dieser Feststellung knurrt sofort wieder mein Magen. Asha muss kichern und ich auch.
»Meinst du das ernst? Ich meine, findest du mich wirklich schön?«
»Ja total!«, bestätigt sie und streicht, wie zum Beweis, mit ihren schlanken Fingern ein kleines Tattoo auf meiner Hüfte nach. Es sieht aus wie eine kleine Schlange mit zwei Köpfen. 22, bald 23 dieser Zeichnungen befinden sich auf meiner Haut. Von winzig bis riesig. Jede Bestie hinterlässt ihr ganz persönliches Erinnerungsfoto. Ich habe mir darüber nie richtig Gedanken gemacht, ob sie meine Erscheinung verunstalten oder ob ich überhaupt hübsch bin. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Hübschsein in unserer Welt für mich keinen Nutzen hat. Es hilft mir nicht weiter, wenn ich schön bin.
Die Bestien nehmen darauf keine Rücksicht. Sie wollen mir den Kopf vom Hals reißen, ob er nun gut aussieht oder nicht. Die Gesandten legen bei ihrer Auswahl darauf auch keinen Wert oder vielleicht doch?
Ich schaue Asha an.
Sie ist noch ein Mädchen und ich eine junge Frau. Ich bin wie ihre große Schwester, ihren Ersatz für ihre verlorene Mutter.
Die Einzige, die sich um sie sorgt?
Asha wird nie Tattoos tragen. Nicht, solange ich auf sie aufpasse. Sie wird nie auf die Jagd gehen müssen und das ist gut so, denn ich würde mir viel zu viele Sorgen um sie machen.
Plötzlich wird mir die Situation unangenehm. Asha macht mich etwas verlegen. Sie hat mich schon so oft nackt gesehen. Klar, sie ist unser Doc und ich bin ein regelmäßiger Gast, aber das hier ist anders. Ich nehme ihr das Handtuch ab, um meine Blöße zu bedecken, und sofort fühle ich mich wohler.
»Es gibt bald was zu Essen«, sagt sie. »Gouch macht Schmorbraten, deine Leibspeise.« Schmorbraten ist also das, was Gouch unter etwas leicht verdaulichem versteht?
Kapitel 3
Noch etwas schwach auf den Beinen wackle ich in den Meetingraum, wo wir auch gemeinsam essen. Ich werde herzlich empfangen. Alle sind da und scheinen sich wirklich zu freuen, dass ich wieder fit bin. Na ja, dass ich wieder laufen kann, trifft es wohl eher.
»Dieses Mal hat es dich ganz schön böse erwischt«, sagt Gouch, der sich mir gegenüber hinsetzt und sich ohne zu zögern eine Ladung Kartoffelbrei in den Mund stopft.
»Ach, halb so wild«, schwindle ich und bemerke sofort Jesses besorgten Gesichtsausdruck.
»Ich frage mich, wie es die Bestie so weit in die Stadt geschafft hat«, sagt Flavius. Das habe ich mich auch schon gefragt. Der Finanzdistrikt, Zone zwei, wie wir auch sagen, ist normalerweise sicher. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten vier Jahren zu so einem Zwischenfall gekommen war. Ich stecke mir ein saftiges Stück Schmorbraten in den Mund.
Zufall?
Ein Einzelfall?
Eine Ausnahme, sonst nichts! Kein Grund, sich über die Sicherheit unseres Verstecks Sorgen zu machen. Ich hake das Thema gedanklich ab.
»Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mit Asha tauschen«, meint Flavius. Ich schaue ihn an, während ich mir ein zweites, viel zu großes Stück Braten in den Mund schiebe.
»Wieso das denn?«, fragt Asha auf ihre naive, unschuldige Art.
»Na, weil ich dann mehr Zeit mit Freija verbringen könnte.« Idiot, denke ich, fühle mich von Flavius aber auch geschmeichelt. Er sticht unter uns Normalos mit seiner Attraktivität heraus, wie ein Schwan unter Enten. Selbst jetzt beim Essen sieht er mit seinen pechschwarzen Haaren, der schmalen Nase, auf der die klobige Hornbrille sitzt, die ihn noch interessanter macht und seinen schmalen Lippen richtig gut aus. Aber er ist ein unverbesserlicher Charmeur und, schon seit ich mich erinnern kann, ist er mit Trishtana zusammen.
Ich blicke zu ihr hinüber. Sie isst unbeeindruckt weiter. Hat sich an seine Sprüche schon seit Ewigkeiten gewöhnt. Flavius ist unser Technikexperte und vermutlich der hellste Kopf in unserer kleinen Truppe. Er war schon vor mir hier, genauso wie Trishtana und Jesse. Nur Gouch, Asha und Shaco sind noch später als ich zu unserem Team dazu gestoßen. Ich bin nicht besonders schlagfertig, zumindest nicht mit meinem Mund, deshalb reagiere ich nicht auf Flavius‘ Bemerkung und esse einfach weiter.
»Du kannst dich ja das nächste Mal, wenn die Gesandten kommen, um Ashas Job bewerben«, sagt Shaco und spricht damit ein Thema an, das alle augenblicklich zum Schweigen veranlasst. Ich denke nicht, dass es Shacos Absicht war. Er sagt einfach immer, was er denkt und macht sich nicht viel Gedanken darüber, was er damit anrichten könnte.
Die Gesandten?
Wenn sie kommen, geht es für jeden von uns ums nackte Überleben. Es läuft mir kalt über den Rücken bei dem Gedanken, Asha könnte durch die Prüfungen fallen.
Sie prüfen, ob unsere Fähigkeiten gut genug sind, um dazuzugehören. Ist man zu gut, verlässt man das Team und wird in eine gefährlichere Sektion versetzt. Keiner von uns weiß, wie viele dieser Sektionen es tatsächlich gibt. Das ist streng geheim. Das wissen nur die Gesandten.
Es ist furchtbar, wenn einer das Team verlassen muss, weil er zu gut ist für unsere Sektion. Aber wovor jeder Angst hat, ist nicht gut, genug zu sein. In einer der Prüfungen zu versagen. Dann wird man nicht in eine weniger gefährliche Sektion versetzt, sondern man wird exsektioniert. Aussortiert. Verbannt, entlassen in die Welt da draußen, was gleichbedeutend ist mit einem Todesurteil.
Ohne das Team hat keiner von uns eine realistische Überlebenschance. Die Bestien finden dich, töten dich, so einfach ist das.
Das, was Shaco gesagt hat, geht natürlich nicht. Oder besser gesagt, das hat es noch nie gegeben. Jeder Job in unserem Team ist mit dem Besten besetzt. Jedes Team, egal in welcher Sektion, so viel haben