Sag nein. Sag nein. Sag nein!
Ich kann nicht sprechen. Himmel, ich kann ihr nicht helfen.
»Ja, das sind wir und wir müssen zusammen bleiben!«, sagt Asha. Sie hat es getan. Sie hat gegen das 6. Gebot verstoßen. Das kann er nicht durchgehen lassen, auch wenn er anders ist. Das kann er nicht, darf er nicht!
»Ich werde das prüfen. Prüfen müssen«, sagt der Gesandte. Ich höre seine Stimme, seine Zweifel, seine Traurigkeit über die Entscheidung, die er zu treffen hat, wenn er erst einmal weiß, dass sie lügt. Dass sie ihn angelogen hat, einen Gesandten angelogen hat.
»Ich gebe euch eine Stunde, bis alle anderen wach sind. Macht euch für die Abreise fertig.« Er verlässt den Raum und lässt uns allein. Eine, die gegen das 6. Gebot verstoßen hat, und eine, die dem Tod näher als dem Leben ist.
Ich kann nicht sprechen, was nicht nötig ist, denn Asha beugt sich über mich und sagt das, was ich denke. Sie ist kein dummes Mädchen.
»Er gibt mir eine Stunde, um zu verschwinden.«
Nein, sie sagt doch nicht das, was ich denke! Jetzt, wo ich sie höre.
Er gibt uns eine Stunde. Dir und mir. Aber kein Ton kommt über meine Lippen. Kein Flüstern huscht aus meinem Mund. Meine Stimmbänder sind schon tot. Ich schüttle den Kopf und bin mir nicht sicher, ob er sich bewegt hat.
»Ich habe einen dummen kleinen Fehler gemacht. Weil ich dich so brauche. Nur ein dummer kleiner Fehler. Tut mir leid.« Ich würde sie gerne in die Arme nehmen, etwas zu ihr sagen.
»Die machen dich wieder ganz gesund, wirst schon sehen. Er hat recht. Ich kann dir nicht so helfen, wie die das können. Bitte suche mich, wenn du wieder gesund bist. Ich weiß, dass du mich finden wirst. Bitte suche mich.« Ich versuche zu nicken. Ich glaube, mein Kopf hat sich etwas bewegt. Asha sieht mir in die Augen. Sie sind ganz feucht. Die Tränen laufen in zwei Rinnsalen über ihre zarten, rosa Wangen. Die Wangen eines Mädchens.
»Ich kann mich gut verstecken. Aber du wirst mich finden. Du hast es mir versprochen. Es tut mir so leid.« Sie küsst mich auf den Mund. Ganz weich, ganz nass.
Asha verschwindet aus meinem Blickfeld. Ich höre sie Dinge zusammenpacken. Schränke öffnen sich und schließen sich wieder. Wasser plätschert und versiegt wieder. Es vergeht Zeit. Zeit, die sie nicht hat. Zeit, die sie braucht um zu fliehen, sich ein Versteck zu suchen. Dann ist es still.
Asha erscheint wieder über mir, ich kann sie sehen. Sie hat sich verändert. Ihr Gesicht?
Alle Tränen sind fortgespült. Sie hat sich geschminkt, dezent hübsch, wie eine junge Frau. Ihre Augen sind stark, ihr Mund selbstbewusst. Ihre Haare? Was ist mit ihren Haaren passiert? Sie hat sie gefärbt! Violett. Ihre Lieblingsfarbe.
»Ich werde stark sein, bis du mich gefunden hast. Das ist mein Versprechen.« Sie küsst mich noch einmal. Ihre Lippen auf meinen. Nicht mehr weich und nass. Kühl und fest sind sie.
Und, sie drückt meine Hand, bevor sie geht.
Buch 2 - Versprochen
Die reine Beobachtung ist die Energie, die das, was ist, verwandelt. Wer das versteht, der wird sehen, dass er vollkommen frei von Ängsten ist.
Frei nach Krishnamurti
Kapitel 2.1
Ich bin nicht allein.
Er ist bei mir.
Er, der Asha dazu gebracht hat, zu fliehen, weil sie ihn angelogen hat. Er, der mir heute Nacht im Skygate begegnet ist. Der mit mir geflirtet hat und ich mit ihm.
Er, von dem ich nicht weiß, ob er ein Gesandter ist. Er trägt kein Zeichen des Obersten! Das sehe ich jetzt, weil es mir wieder besser geht. So schnell die Wunde aufbricht, so schnell schließt sie sich auch wieder, wenn nur genügend Blut in meinen Adern fließt. Und er? Er ist nur wegen mir zu den Prüfungen gekommen.
Warum?
Er sitzt mir gegenüber und beobachtet mich, ohne dass es mir möglich ist, in seinem Gesicht, seinen Augen zu lesen.
Ich bin gefesselt!
Zwei Gurte pressen mich in den nussschalenförmigen Sitz, der kalt ist und nach Kunststoff riecht. Die Geräusche sind mir so nah und so fremd. Nie war ich Rotorblättern, die durch die Luft schneiden wie Messer eines Riesen, so nah. Noch nie saß ich im Innern eines Helikopters, der sich wie ein Insekt durch die Luft schraubt.
Ich bin noch nie geflogen.
Wir entfernen uns schon seit Stunden vom Skygate.
Von Asha.
Schon lange sehe ich nur noch Wolken unter uns, um uns herum. New York, Sektion 13, Zone 1 und Asha sind in unerreichbare Ferne gerückt. Für den Moment.
Jesse hat es nicht verstanden und die anderen auch nicht. Niemand hat es verstanden, warum Asha fort ist, warum er mich mitnimmt. Ich habe nicht mehr gesprochen, seitdem Asha meine Lippen geküsst hat, meine Hand gedrückt hat, seit sie verschwunden ist. Ich spüre noch immer ihre Körperwärme auf meiner Haut, sehe noch immer die Entschlossenheit in ihren Augen, ihre blonden Haare, violett gefärbt.
Was soll ich in Sektion 0?
Bringt er mich dorthin, um mich zu heilen, damit ich wieder ganz gesund werde, damit die Verletzung nicht mehr aufbricht? Ich am Leben bleibe? Ist das alles?
Ich bin eine der Besten, hat er heute Nacht zu mir gesagt?
Können sie dort auch meine anderen Verletzungen heilen? Die, die nicht bluten?
Ich erinnere mich an den Abschied, hasse es, Abschied zu nehmen.
Jesse wollte mich auch küssen. So wie Asha, das habe ich gespürt. Aber er hat sich nicht getraut. Wie ich es hasse.
Werde ich ihn je wiedersehen? Werden wir uns jemals küssen? Fast schon bin ich darüber traurig, dass wir es nie versucht haben. Genügend Gelegenheiten gab es, aber ich habe ihm nie eine Chance gegeben, das Gefühl gegeben, dass ich für ihn erreichbar bin. Ist es jetzt zu spät? Bekommen wir noch eine zweite Chance? Was wird aus den anderen? Gouch, Trish, Shaco und Flavius? Flavius? Er ist jetzt mitten in der Prüfung und mein Team und die Gesandten sind auch bei ihm.
Außer er. Was will er von mir? Die Frage führt nirgendwohin! Ich habe sie so oft in meinem Kopf gestellt und nie eine Antwort erhalten. Vielleicht kann Sektion 0 die Lücke schließen.
Die Wolken fliegen auseinander wie ein Schwarm weißer Vögel, aufgeschreckt durch den Helikopter. Ich sehe den blauen Himmel. Er ist wunderschön. Ich kann einfach zu ihm hinschauen und fühle mich leer und frei.
Da! Plötzlich sehe ich etwas Tolles, Glitzerndes neben dem Helikopter. Silbernes Metall in der Sonne, das die Form einer Raupe beschreibt. Eine Raupe ohne Augen, ohne Beine. Eine Raupe aus Metall, die ohne Flügel fliegen kann.
Ich sage nichts, aber er hat es auch gesehen. Er beugt sich über mich und spricht. Ich rieche den Duft seines Körpers und höre den Klang seiner Stimme.
»Das ist eine Kampfdrohne! Sie bewacht die Grenze. Nichts und niemand kommt herein oder hinaus, ohne dass die Drohnen es bemerken.« Er macht eine Pause. Ist immer noch ganz nah bei mir. Über mir. Er duftet so vertraut. Ich bin mir plötzlich ganz sicher, wir begegnen uns nicht das erste Mal.
»Sie ist wunderschön. Findest du nicht?« Ich sehe aus dem Fenster, sehe die Kampfdrohne, die neben dem Helikopter wacht. Er spricht weiter, flüstert mir ins Ohr: »Sie ist wunderschön, gefährlich und tödlich. Sie ist perfekt, genauso wie du.«
Kapitel 2.2
Die Drohne lässt uns passieren, weil sie uns erkennt, erklärt er mir. Weil