Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale. Meli Telmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Meli Telmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752931938
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      Kurt und der Nicht-Prinz

      Manchmal wiederholt das Leben einen Film. Selten zwei Filme. Überaus rar ist die unmittelbare Verknüpfung der Realität mit virtuellen Welten. Oder?

      Vor zwei Wochen hatte Kerstin sich im Dating-Portal angemeldet; heute fand das erste Treffen statt. Mit Kurt, 52, 1,67, geschieden. Auf dem Profilfoto stellte er sich sportlich dar – mit Rennrad, passendem Dress und Schutzhelm. Dadurch strahlte er Dynamik aus, ohne wirklich sichtbar und erkennbar zu sein. Was nicht nur Kurts Auftritt begünstigte, sondern auch Kerstin entgegenkam – ließ sie sich doch oft abschrecken von Männern auf Fotos, die ihr so gar nicht gefielen. Wobei sich tatsächlich die Frage ergab, was passte ihr nicht? Der Mann oder das Foto? Im wahren Leben war sie ja ab und an mit weniger attraktiven Männern zusammen gewesen, die zum Ausgleich eine gewinnende Art hatten. Sei es eine besondere Dynamik und Forschheit oder eine überzeugende Zugewandtheit. Allerdings fand Kerstin auch entschuldigende Worte für ihre Ablehnung im Portal: auf den ersten Blick hatte sie sich von den unattraktiven oder besser gesagt wenig gutaussehenden Männern im wahren Leben, um es mal so zu nennen, nie angezogen gefühlt – gewinnend fand sie diejenigen dennoch irgendwann.

      Was den sportlichen Profilauftritt des Mannes anging: Irgendwann hörte sie später aus dem Mund einer Prominenten, die Kerstin hier nicht diffamieren will, zu der sie sich aber des Öfteren bereits derart geäußert hatte, dass sie nicht die allergeringste Sympathie für sie hege; was wohl noch einer Beschönigung gleichkam. Aus dem Munde dieser Besagten also hörte sie die Worte, dass Männer in Dating-Portalen zu neunzig Prozent sportlich aufträten. Ein Fakt, den Kerstin nach einer Weile auf der Plattform durchaus bestätigen konnte, nicht zu hundert Prozent, also die neunzig Prozent nicht zu hundert Prozent bestätigen konnte, doch gut die Hälfte waren es durchaus. Dem maß sie allerdings kein großes Gewicht bei. Im Munde der erwähnten prominenten Persönlichkeit hatte die Äußerung von dem sportiven Auftreten der Männer in Dating-Portalen jedoch einen Unterton, nein, nicht einen Unterton, sondern einen betonten Ton von schwanzlos, hirnlos, seelenlos.

      Bei Kurt passte das sportliche Auftreten, wer hätte das gedacht, zu seinem forschen Verhalten: Kaum war Kerstin fünf Minuten im Portal, als Kurt nachfragte, ob sie sich mit ihm treffen wollte. Was, auch das wusste Kerstin in den Anfängen ihrer Portal-Präsenz noch nicht, auf den Plattformen eher selten war. Und wenn es vorkam, dass sich ein Mann einem, bildlich gesprochen, direkt an den Hals warf, so kam meist ein oder zwei Tage später von der Administration die Meldung, dass genau derjenige aus dem Portal entfernt worden sei, wegen ungebührlichen Auftretens.

      Doch Kurts Forschheit war keiner bösen Absicht geschuldet.

      Die Entschlossenheit gefiel Kerstin und stimmte sie gegenüber seinem Konterfei milde. Ein Mann, der weiß, was er will. Der weiß, was er hier in der gefilterten und aufbereiteten virtuellen Welt möchte. Daher gab sie ihm auch recht schnell ihre Handynummer. Zum Whatsappen. Das bereute Kerstin recht schnell. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern aus Gründen des guten Geschmacks.

      Denn sie erhielt von ihm stehenden Fußes und fortan jeden Morgen und jeden Abend einen ausgeschmückten Liebesgruß. Mann und Frau umarmen sich vor untergehender Sonne. Sinnsprüche aus der Reihe Liebe ist …, zum Beispiel Liebe ist Mut und Mut tut gut. Videos und Animationen, die Liebesszenen zeigten. Nein, keine pornografischen. – Zwei Äffchen, inniglich umarmt, Buchseiten in Herzform, die im Raum schwebten, zwei Schäfchen Arm in Arm am Sternenhimmel.

      Wie auch immmer, sie verabredete sich mit Kurt.

      +++++++++++++

      Nun also das Treffen. Kerstin rechnete davor mit dem Schlimmsten. Sie nahm daher eine große Einkaufstasche mit, falls Kurt weiche Gegenstände in Herzform mit sich führen sollte. Die konnte sie dann gleich in der Tasche verschwinden lassen.

      Während Kerstin ihr Auto in einem Parkhaus abstellte – sie hatten sich in einer Nachbarstadt verabredet –, fühlte sie Unruhe in sich aufsteigen, ums Sonnengeflecht, in der Magengegend. Mein Gott, ermahnte sie sich, du hast doch gar keine Erwartungen, du wolltest ein erstes Date, wovor solltest du Angst haben? Tatsächlich hatte sie keinen Bammel vor Enttäuschung. Er gefiel ihr ja überhaupt nicht. Allein, dass er so forsch gewesen war, hatte ihr imponiert – was danach bei ihr an digitaler Post eingegangen war, hatte sie abtörnend gefunden. Doch was wäre, wenn er aufdringlich war, nicht im körperlichen Sinne, sondern wenn er emotional uneinsichtig war. Gesetzt der Fall sie würde sagen, es war nett, aber ich glaube, wir haben nicht so viele gemeinsame Interessen. Immer höflich bleiben! Und er dann konterte, dass sie sich doch noch gar nicht kennengelernt hätten. Oder sie sagte, nun eine deftige Lüge, dass sie emotional immer noch gebunden sei. „Aber wieso suchst du dann jemanden? Ich glaube, du willst es tief in deinem Innern, aber du traust es dir nicht zu.“ Mist. Jetzt gingen ihr die Argumente aus. – Fast schon wollte sie zum Auto zurückgehen. Da fiel Kerstin ein: Ich neige zu fantasievollen Übertreibungen.

      Zur Abschwächung ihrer aufkeimenden Beklemmung zitierte sie ihre frühere Lehrerin: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht.“ Die Lehrerin hatte die, na ja, abgeflachte Weisheit zwar in einem anderen Zusammenhang eingesetzt – rebellische Schüler in einer rebellischen Zeit. Aber der Spruch war nicht auf eine Zielgruppe festgelegt. Zudem – das Angstgefühl abschwächend – fiel Kerstin ein künstlerisches Genre ein. Und zwar das bereits erwähnte erste Filmzitat: Billy Wilders ‚Some like it hot'. Eine amerikanische Filmkomödie, in der zwei Musiker sich als Frauen verkleiden – Joe/Josephine (Tony Curtis) und Jerry/Daphne (Jack Lemmon) –, um ein Engagement zu erhalten. Der Millionär Osgood Fielding (Jou E. Brown) verliebt sich in Daphne, die vermeintliche Frau.

      Schlussszene: Daphne und Osgood Fielding sitzen in einem fahrenden Motorboot, auf der Flucht vor der Mafia. Osgood erzählt stolz, er habe seine Mutter über die bevorstehende Hochzeit mit Daphne informiert.

      Daphne will es ihm ausreden: „I’m not a natural blond!“

      Osgood: „It doesn’t matter.“

      „I smoke. I smoke all the time.“

      „I don’t care.“

      „I lived together with an saxophone player for a month.“

      „I forgive you.“

      Daphne reißt sich die Perücke vom Kopf: „I am a man!“

      „Nobody’s perfect.“

      Das überlegte Kerstin auf dem Weg zum Date. Sie hatte außerdem bei ihrem Aufenthalt im Portal von den Betreibern erfahren – sie erhielt regelmäßig einschlägige Tipps –, dass es fünfundzwanzig Dates brauchte, bis der Richtige vor dem Museum, an der Theke im Bistro oder an der Wasserfontäne wartete. Sie räumte ein, dass die angelesene Zahl variierbar sei …

      Heute allerdings wartet erst mal niemand am verabredeten Ort. In der Fußgängerzone, Ecke Drogeriemarkt. Dafür erhält sie einen Anruf: „Kerstin, ich bin es, Kurt. Komme erst in einer Viertelstunde.“

      So was Ärgerliches. Kerstin spürt Groll in sich aufsteigen. Hatte sie das nötig? Dieser Schnösel, der ihr eh nicht gefiel. Dieser Banause. Er erdreistete sich, sie warten zu lassen. Und nochmal: Hatte sie das nötig? Sie, 56, ledig, attraktiv, intelligent und gebildet. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und ging kurzentschlossen in den Drogeriemarkt. Von einer Einheitsduftwolke umhüllt, roch sie mal wieder an Wässerchen von Lauder, Dior und Sander. Eine halbe Stunde später trat sie vor die Tür. Und sah an der Ecke eine unverkennbar wartende Gestalt, ihr Date. Sie ging auf ihn zu.

      „Hallo“

      „Wo bleibst du denn?“

      „Ich war pünktlich.“

      Er war, wie erwartet und auch angegeben, nicht sehr groß. Das störte Kerstin nicht.

      „Wieso kommst du zu spät?“, fragte sie.

      „Ich hatte mein Handy zu Hause liegen lassen und musste wieder zurückfahren. Hätte ich es nicht geholt, hätte ich dich nicht anrufen können."

      Mmh, überdachte Kerstin die Logik der Aussage, dann hätte er sich auch nicht verspätet und hätte nicht anrufen müssen. Sie wollte mal nicht so sein und ließ die Sache auf sich beruhen.