... und am Ende wird alles gut. Martin Dolfen Thomas Strehl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Dolfen Thomas Strehl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197005
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schneller Schritt, ein »Wollt ihr noch mehr?« und die Angreifer schwankten, sich schmerzende Körperteile haltend, von dannen.

      »Die Schlampe war sowieso viel zu alt für uns«, trat noch einer der »Helden« nach.

      Dann ein letztes Rascheln und es wurde schlagartig ruhig.

      Ich sah die Frau nur an und rieb mir die pochenden Rippen. Ich wollte etwas sagen, aber wie immer, fiel mir nichts Brauchbares ein.

      Das Reden übernahm sie. »Vielen Dank, für Ihre Hilfe«, sagte sie und ich musste tatsächlich lachen.

      »Keine Ursache. Ich glaube, als ich im Dreck lag, haben sie vor Angst die Flucht ergriffen.«

      »Ihr Auftritt war die Ablenkung, die ich gebraucht habe«, sagte sie. »Und es ist schon ungewöhnlich genug, dass sie überhaupt versucht haben, einzugreifen.«

      Sie reichte mir die Hand. »Hallo. Ich bin Bibiana Deichmann und ich habe weder mit der Schiedsrichterin, noch mit dem Schuhhaus irgendetwas zu tun.«

      Mein Gesicht schien ein einziges Fragezeichen zu sein. Mein Gegenüber lachte laut auf.

      »Oh, habe ich sie überfordert?« Ich konnte sie jetzt genauer betrachten und bemerkte, dass sie nicht das junge Mädchen war, für das ich sie ursprünglich gehalten hatte, und musste im Nachhinein den Jugendlichen recht geben. Ja, sie war zu alt. Zu alt für diese Kinder, nur das mit der Schlampe hätte ich weggelassen.

      Eigentlich musste sie sich ungefähr in meinem Alter befinden. Nur hatte sie sich wesentlich besser gehalten. Einige Lachfalten zierten ihr Gesicht und die Stupsnase war besetzt mit Sommersprossen.

      So würde Pipi Langstrumpf aussehen, wenn sie je in mein Alter käme, soviel war klar.

      Endlich fand ich meine Stimme wieder. »Ich bin Simon«, sagte ich und rieb mir wieder die schmerzenden Rippen. »Simon Winkel.«

      »Freut mich«, sagte sie und griff nach meiner Hand. »Verzeihen sie meine Vorstellung«, meinte sie dann lachend. »Aber ich glaube manchmal, dass diese Schiedsrichterin und ich die einzigen in Deutschland sind, die diesen lustigen Vornamen tragen. Und die Frage, ob ich etwas mit dem Schuhhaus zu tun habe, kommt direkt danach.«

      »Und? Haben sie wirklich nicht?«

      Jetzt lachte sie laut auf. »Schön wäre es. Nein, da muss ich sie enttäuschen. Gibt keine große Belohnung von meinem superreichen Opa für Ihre heldenhafte Aktion. Ich bin arm, wie eine Kirchenmaus.«

      »Dann können wir einen Club aufmachen«, meinte ich trocken. »Und eine Belohnung hätte ich sowieso nicht verdient. Ich glaube, Sie können sich ganz gut selbst zur Wehr setzen.«

      »Eigentlich schon«, sagte sie grinsend. »Aber diese Arschlöcher haben mich überrascht. Ich war schon kurz vorm wegduseln, als Sie mich gefunden haben.«

      Als sie die Typen erwähnte, rann mir eine Gänsehaut den Rücken herunter. »Meinen sie, die kommen wieder?«

      Sie schüttelte den Kopf und ihre langen, lockigen Haare wirbelten herum. »Das waren nur Maulhelden«, meinte sie. »Gegen richtige Arschlöcher hätte ich keine Chance gehabt.«

      Sekundenlang kehrte Ruhe ein. Das Zwitschern von Vögeln und das Summen von Insekten war zu hören. »Wo kommen Sie eigentlich so schnell her?«, fragte sie dann.

      Ich zeigte mit einer Kopfbewegung nach links. »Ich habe ein paar Meter weiter mein Nachtquartier aufgeschlagen«, sagte ich dann und mir fiel siedend heiß ein, dass meine Sachen unbeobachtet in der Gegend herumlagen. Nicht, dass diese Idioten nun mich beklauten. »Ich glaube, ich muss da mal nach dem Rechten gucken«, sagte ich sofort.

      »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?«

      Es überraschte mich, aber ich schüttelte nur den Kopf. »Gehen wir«, sagte ich und sie kramte ihre Sachen zusammen, nahm ihre Tasche und wir gingen ein paar Meter durchs Unterholz, bis wir meinen Rastplatz erreicht hatten. Mit einem Blick stellte ich fest, dass sich noch alles am richtigen Fleck befand.

      »Wollten Sie hier schlafen?«, fragte sie und ich wusste, dass eine Antwort darauf weitere Fragen nach sich ziehen würde.

      »Ja«, meinte ich nur. »Etwas Besseres habe ich auf die Schnelle nicht gefunden.«

      »Dann können wir wieder einen Club aufmachen«, sagte die Frau, stellte ihre Tasche ab und betrachtete mein Fahrrad. Für einen winzigen Augenblick hatte ich die Befürchtung, dass sie mich jetzt ausrauben würde, schließlich hatte sie eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ich keine Chance gegen sie haben würde, doch das war natürlich Unsinn. Manchmal litt ich, neben all meinen anderen Psychosen, auch noch unter Verfolgungswahn.

      »Schickes Teil«, sagte sie, ließ dann ihre Tasche auf die Wiese fallen und setzte sich im Schneidersitz daneben. »Machen sie eine Fahrradtour?«

      »Könnte man so sagen«, wich ich aus und schob ein: »Ich habe ein paar Tage frei und wollte mal ausprobieren, wie weit ich so komme.«

      »Kein Ziel vor Augen?«

      Was sollte ich darauf sagen? Wie viel konnte ich von meinem Vorhaben Preis geben?

      Ich zuckte innerlich mit den Schultern. Die Situation war seltsam genug, also konnte ich auch riskieren, dass sie mich auslachte.

      »Eigentlich will ich bis zur Ostsee«, meinte ich. »Aber es war eine Zugfahrt geplant und dann ist plötzlich alles ganz anders gekommen.«

      Sie lachte nicht, sondern sah mich nur an. »Das kenne ich«, meinte sie dann nur.

      Sie hatte meinen Campingkocher entdeckt. »Würden Sie mich auf ein Abendessen einladen?«, fragte sie und schlug sich direkt danach die Hand vor den Mund. »Verflucht, das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Klingt ein wenig nach Bettelei.« Ihr Magen knurrte lauter als das Vogelgezwitscher und Insektengebrumme und wir mussten beide lachen.

      »Kein Problem.« Ich nahm die restlichen Dosen aus meiner Tasche. »Linsen- oder Erbsensuppe. Oder Ravioli?«

      Sie entschied sich für Ravioli und ich stellte die Dose auf den Gasbrenner.

      »Bei mir ist auch alles anders gekommen, als geplant«, meinte sie, als wir darauf warteten, dass das Gericht warm wurde. »Wobei … eigentlich plane ich nie, aber die letzten Entwicklungen haben mich ein bisschen überrascht.«

      Ich sagte nichts, wartete darauf, dass sie weitersprach und das tat sie dann auch.

      »Ich komme aus der Nähe von Köln«, sagte sie dann. »Bin seit zwei Jahren geschieden und schlage mich mehr schlecht als recht durchs Leben.« Sie lächelte schief. »Oh mein Gott, erst schnorre ich eine Suppe und jetzt erzähle ich Ihnen meine Lebensgeschichte.«

      »Nur zu. Ich habe gerade nichts anderes zu tun.« Außerdem stellte sie keine Fragen und ich musste nicht erklären, warum ich zur Ostsee unterwegs war.

      »Ich habe gekellnert, an Supermarktkassen gesessen, was man halt so macht, wenn man keine andere Möglichkeit hat. Der Rubel muss schließlich rollen, die Miete will bezahlt werden, der Kühlschrank füllt sich nicht von alleine …« Wieder lächelte sie. »Ich schweife ab. Einer meiner großen Fehler.« Ich reichte ihr die Dose und einen Löffel und sie begann zu essen. Dann, als sie die Hälfte verdrückt hatte, wandte sie sich wieder mir zu. »Das tut gut«, sagte sie nur. »Vielleicht hätte ich meine Reise auch besser vorbereiten sollen.«

      Oder einfach ein paar nette Leute treffen, die einem aus der Patsche halfen, dachte ich, aber ich wollte sie nicht unterbrechen.

      »Vorgestern, nein, noch am Tag davor, erreichte mich plötzlich ein Brief. Von einer Anwaltskanzlei an der Ostsee. Meine Tante ist verstorben und sie hat mich in ihrem Testament bedacht. Keine Ahnung, was es ist, wir standen uns nicht besonders nah, ich habe sie zum letzten Mal gesehen, als ich ganz klein war. Aber irgendwie hat sie sich an mich erinnert und vererbt mir etwas.« Sie widmete sich den letzten Ravioli und sprach erst weiter, als sie auch noch den letzten Rest Soße aus der Dose gekratzt hatte. »Persönliche Anwesenheit ist erforderlich, steht in diesem Schreiben.