verdorrt, verkümmert, ausgetrocknet, in Depressionen verfallen, wenn er sich nicht eine Ersatzbefriedigung verschafft hätte. Er entdeckte diese neue, faszinierende Welt der Kunst gewissermaßen aus reiner Langeweile, doch dann verfiel er ihr regelrecht. Am Anfang besorgte er sich Bücher, abonnierte Zeitschriften, las einschlägige Artikel, verfolgte Sendungen im Fernsehen, später durchforstete er vornehmlich das Internet und eignete sich so ein beachtliches Wissen an. Als er merkte, dass ihn diese Feld und die Beschäftigung interessierte, beschloss er das, was als Ablenkung und Hobby geplant war, zu seinem neuen Beruf zu machen, denn es blieb nicht aus, dass er auch hier die Fähigkeiten einsetzte, die er im Beruf erworben und perfektioniert hatte. Dieses neue Möglichkeit seine in langen Jahren erworbene Fähigkeiten wieder einzusetzen, war wohl auch der wahre Grund, warum er sich auf diesem neuen Gebiet so intensiv betätigte. Es war nicht nur die Kunst an sich, die ihn fesselte, nicht nur der ästhetische Genuss oder die Freude an einem perfekten Kunstwerk, sondern Kunst als Wirtschaftsfaktor, der Handel mit Kunst. Mit der Zeit gelang es ihm, in den Dschungel des Kunstmarkts einzudringen und der internationale Kunsthandel wurde sein Spezialgebiet, weil ihn dessen kriminelle Aspekte in hohem Maße faszinierten. Das war kein Wunder, denn auf dem weiten Feld illegaler Machenschaften besaß er reichlich eigene Erfahrung. Und so war es auch nur folgerichtig, dass er das Feld der grauen Theorie bald verließ. Ausgestattet mit reichlich Kapital, um im oberen, lukrativsten Segment des Kunstmarkts einzusteigen, begann er zu kaufen, immer nur über das Internet, von Galerien, von den Künstlern oder telefonisch bei Auktionen. Er erwarb ausschließlich zeitgenössische Kunst, von der er annahm, dass sie sich auf dem Markt lukrativ weiter entwickeln würde. Er hatte für Zukunftsprognosen immer einen guten Riecher gehabt und für riskante Geschäfte immer ein gutes Händchen, Eigenschaften, die ihn schon in seinem angestammten Beruf ausgezeichnet hatten und ihn auch jetzt nicht verließen. Zu Beginn seiner Händlertätigkeit ließ er sich die erworbenen Gemälde, die Drucke oder die hochwertigen Fotografien in seine Wohnung kommen und hängte sie an die wenigen weißen Wände oder stellte die avantgardistische Skulpturen vor die raumhohen Fenster. Rasch merkte er, dass es gar nicht notwendig war, die Kunstobjekte materiell zu besitzen. Es war eher sogar eher lästig, die Transporte mit dem Risiko von Beschädigungen, die teuren Versicherungen, der Platzmangel in seiner Wohnung und die etwas ernüchternde Erfahrung, dass ihm vieles, ja fast alles, was er erwarb, gar nicht gefiel, dass er sich die teure Kunst gar nicht lange anschauen wollte, dass er immer froh war, wenn er das Zeug wieder los hatte, dass er es zu einem angemessenen, das heißt zu einem weit höheren Preis wieder verkaufte. Wie er das schaffte, war eines seiner Geheimnisse, das er vielleicht selbst gar nicht so recht kannte, aber Tatsache war, dass er fast immer, bei fast jeder Transaktion, einen guten Schnitt machte. Vielleicht war die Fähigkeit den richtigen Moment für den Verkauf abzuwarten eines dieser Geheimnisse. Um jedoch abzuwarten, brauchte man nicht die physische Präsenz der erworbenen Güter. Die Kaufurkunde, das Echtheitszertifikat, die Rechnung, eine gute Abbildung oder Reproduktion genügten vollauf. Sie genügten allemal um mit den Kunstwerken zu jonglieren, sie irgendwo, in anonymen Depots zwischenzulagern, anzudeuten, dass man etwas hatte, Köder auszulegen, zu pokern und sie zum geeigneten Zeitpunkt wieder an das Tageslicht zu holen und schließlich lukrativ zu verkaufen. Bei den Lagerungen, den verschwiegenen, sicheren Orten und den notwendigen Transporten half ihm auch wieder seine alte Firma, genauso wie beim Ausspähen potentieller Kunden, die danach lechzten illegale, schwarze Gelder in absolut legale zu verwandeln, die in reinstem, unschuldigsten Weiß strahlten. Für diese Hilfen musste er natürlich einen angemessenen Obulus entrichten, einen happigen Prozentsatz abführen, aber das war die Regel und mit Regeln kannte sich der alte Fuchs aus, wie kein Zweiter. Erstaunlich war, dass alles, was dieser Fuchs tat, von seiner Wohnung aus geschah. Er besuchte keine Auktionen, setzte seinen Fuß in kein Museum, hatte noch nie eine Galerie oder Ausstellung besucht oder gar einen Künstler in seinem Atelier. Das alles wäre ohnehin schwierig gewesen, da sein Arbeitsfeld der internationale Markt war und er weder reisen durfte noch wollte. Er hielt es aber auch nicht für nötig, die Kunstwerk, die er kaufen wollte, zuvor mit eigenen Augen zu sehen oder mit den Händen abzutasten. Er verließ sich auf die neu erworbene Erfahrung, auf das Glück, das ihm lange Jahre treu gewesen war und auf seine offensichtliche, natürliche Begabung, die man auch als Instinkt für alles Geschäftliche, vor allem für alles Illegale bezeichnen konnte. Er hatte Erfolg und verschaffte sich zugleich Befriedigung und als Beigabe verdiente er bald mehr, als nur ein ansehnliches Zubrot.
Doch nachdem er sich selbst bewiesen hatte, dass er als Kunsthändler diesen Erfolg hatte, verlor er an der banalen Beschäftigung des Kaufens und Verkaufens wieder das Interesse, finanziell war er auf das Zubrot ohnehin nicht angewiesen. Dafür tat sich ihm ein neues Feld auf. Der Umgang mit Kunstwerken, die andere geschaffen hatten, begann ihn bald zu langweilen. Es begann schon in der Zeit, als er sich die Werke noch kommen ließ. Er fand viele langweilig, uninteressant, protzig, nur geschaffen, um einem Massengeschmack zu genügen. Eines musste man ihm lassen, diesem alten Fuchs, Geschmack hatte er. Wenn er diese Werke tage- oder wochenlang in seinem privaten Museum zwischenlagerte und er sie täglich sah, kamen ihm oftmals bessere Ideen. Der Gedanke, selbst Kunst zu schaffen, eigene Werke herzustellen und zu verkaufen, machte sich immer mehr breit. Er kam zu dem Schluss, dass keine Kunst, keine Literatur, nichts in der Welt des Schönen und Erhabenen so gut ist, wie das, was man selbst schafft. Befriedigung erhält man nicht durch konsumieren und schon gar nicht durch handeln, sondern nur durch produzieren. Diese Gedanken hegte und pflegte er und nun stand er kurz davor, sie zum ersten Mal in die Tat umzusetzen. Natürlich war er handwerklich völlig unbegabt, hatte keinerlei Erfahrung im Herstellen eigener Kunstwerke. Er machte auch keine Anstalten, sich in Malerei, Photographie oder Kalligraphie, in das Herstellen von Tontöpfen oder das Färben von Stoffen zu versuchen. Aber er hatte außer seinem guten Geschmack auch viel Phantasie und er konnte Kunst von Kitsch unterscheiden. Er wusste, was die Leute mit Geld kaufen wollten, er wusste, was sich zum Waschen eignete und er wusste, dass er sich selbst irgendwie verwirklichen wollte, sich selbst in die Kunstszene einbringen wollte. Er hatte immer gemacht, was er wollte. Das war sein Wesenszug, das war der Grund seines Erfolgs, in der Firma, in seinem bisherigen Leben. Er war intelligent, bauernschlau, zäh, durchtrieben und absolut egoistisch. Ein Egomane und rücksichtsloser Verfechter seiner Ziele. Auch jetzt wusste er schon bald, wie er seine Vorstellungen umsetzen könnte. Ob er auch auf dem Kunstmarkt mit seinen eigenen Werken Erfolg haben würde, war ihm ziemlich egal, denn Geld hatte er reichlich, mehr als genug, mehr als ein alter, isolierter, in eine Traumwohnung verbannter Mann, je würde ausgeben können. Geld scheffeln war allenfalls ein Kriterium, ein wichtiges, wenn er darüber nachdachte, vielleicht sogar das einzige, um sich selbst und anderen zu beweisen, dass man gut und erfolgreich ist, als Künstler und als Kunstverkäufer und als Mann. Und erfolgreich wollte er sein, immer noch oder erst recht.
Dieser Mensch, dieser Autodidakt, dieser Amateur, Liebhaber im wahrsten Sinn des Wortes, nahm sich also vor, maßgeschneiderte Kunst anfertigen zu lassen und sie unter seinem Namen zu verhökern. Er hatte genügend Ideen, daran hatte es ihm nie gemangelt. Er hatte lange überlegt, auf welchem Gebiet er in die neue Ära einsteigen sollte. Er entschied sich für die Nachbearbeitung, die künstlerische Gestaltung von Photographien und deren perfekte, hochwertige Ausdrucke. Diese Art von Kunst sagte ihm am meisten zu und er war überzeugt, damit irgend wann auch finanziellen Erfolg zu haben, immer noch die Messlatte seines Tuns. Er war überzeugt, dass sich der Erfolg einstellen musste, weil seine Ideen gut waren, weil er spannende Sujets auswählen würde, ungewöhnliche Techniken einsetzen würde und alles höchst penibel, höchst professionell umsetzen würde. Wegen seiner zahlreichen Kontakte in der Kunstszene war es ihm nicht schwer gefallen, Künstler zu finden, die für ihn arbeiten würden. Er würde sie gut bezahlen. Geld ist das beste, oft auch das einzige Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Alle waren bereit, mit ihm und für ihn zu arbeiten, obwohl er sich ausbedungen hatte, die Werke nur unter seinem Künstlernamen, einem Pseudonym, in den Handel zu bringen. Er selbst, der alte Mann, wollte anonym bleiben. Nur wenige sollten wissen, wer er wirklich war und kaum jemand würde die Ehre haben, einen Schritt in seine Traumwohnung zu setzen, dem Ort, an dem die Kunst entstehen würde, dem Ort für außergewöhnliche Ereignisse und auch dem Ort, an dem sie für einige Zeit verbleiben würde.
Nach all den langwierigen Vorbereitungen, dem Knüpfen von Kontakten, der Auswahl der Künstler und der Überzeugungsarbeit, die er dabei leisten musste, nach allen konzeptuellen Vorbereitung war es nun soweit, die ersten ungewöhnlichen