Die Beobachter. Thomas Häring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086621
Скачать книгу
die Arbeitssuche häufig als "Mission impossible", doch davon wollen die Zuständigen natürlich nichts wissen, denn sonst müßten sie ja die Rahmenbedingungen verbessern und so etwas wie eine Infrastruktur schaffen, woran sie meist kein Interesse haben, da ihnen häufig die finanziellen Mittel dafür fehlen.

      Ja und wenn sich dann etliche Ostdeutsche mit einem Glänzen in den Augen an früher erinnern, als ganz gewiß auch nicht alles schlecht war, dann verdrehen die Westdeutschen gerne die Augen, weil sie einfach nicht begreifen können und wollen, daß es wichtigere Dinge als Geld gibt.

      Aber wie wichtig ist das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung? Der Mensch an sich will eigenverantwortlich darüber entscheiden, was er tut, doch sobald man am Tropf des Sozialstaates hängt, wird man abhängig und in gewisser Weise auch ohnmächtig. Natürlich gibt es Leute, die sich das nicht antun wollen und auf die Staatshilfe verzichten, aber wer wirklich darauf angewiesen ist, dem bleibt letzten Endes gar nichts Anderes übrig, als sich möglichst tief zu bücken, um auch morgen noch was zu essen zu haben. Das Absurde daran besteht darin, daß es sich ja auch bei den Mitarbeitern der Arge um Menschen handelt, welche wiederum die Leute betreuen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Manches Mal könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, daß es das Geld von denen ist, welches die Arbeitslosen bekommen. Noch komplizierter wird es, wenn die Vermittler und Fallmanager alles persönlich nehmen, was die Hilfebedürftigen zu ihnen sagen und darauf dann gereizt, beleidigt oder gar mit Sanktionen reagieren. Ein ziemlich unerquickliches Schauspiel, denn dabei wird allzu gerne übersehen, daß es die Arbeitslosen oft einige Überwindung kostest, in die Arge zu gehen und um staatliche Gelder zu bitten, welche ihnen ja laut Gesetz zustehen. Niemand ist gerne auf fremde Unterstützung angewiesen und wenn man dann als Antragsteller das Gefühl hat, daß man für einen Faulpelz oder Leistungsverweigerer gehalten wird, dem die von der Arge am liebsten die Leistung verweigern würden, dann kann man schon verstehen, warum die Kommunikation zwischen den beiden Parteien in vielen Fällen nicht wirklich funktioniert und die ganze Angelegenheit im Grunde noch verschlimmert. Natürlich ist es nicht einfach, weder für die eine noch für die andere Seite, aber es handelt sich doch bei allen Beteiligten um Menschen, von daher sollte etwas mehr Kooperationswillen schon möglich sein. Andererseits haben selbstverständlich alle Betroffenen halt auch schon so ihre Erfahrungen gemacht und besonders Hartz IV-Empfänger können sehr sensibel sein, da sie sich bereits öfter blöde und diskriminierende Sprüche anhören mußten. Es gibt wirklich genug Personen unter ihnen, die arbeiten wollen und die fühlen sich verständlicherweise zusätzlich gedemütigt, wenn man ihnen unterstellt, es ginge ihnen nur um die Kohle und sie hätten überhaupt kein Interesse daran, einen Job zu finden. Im Grunde wären wir damit auch schon wieder bei Sarrazin angelangt, denn so wie der den Migranten pauschal Integrationsunwillen vorwirft, was natürlich keineswegs der Realität entspricht, ist es genauso populistisch und inhaltlich falsch, der Mehrheit der Hartz IV-Empfänger zu unterstellen, daß sie überhaupt nicht arbeiten wollen. Klar, es gibt einen Teil unter ihnen, die es sich tatsächlich in der sozialen Hängematte gemütlich gemacht haben, aber das ist noch lange kein Grund, alle unter Generalverdacht zu stellen. Ganz im Gegenteil, oftmals wäre es sogar viel besser und sinnvoller, die Arbeitslosen, die mit ihrer Situation nicht zurechtkommen, psychologisch betreuen zu lassen, damit sie wieder Boden unter den Füßen finden, jedoch besteht daran von staatlicher Seite nicht immer unbedingt ein Interesse. Damit wären wir auch schon bei Herrn Westerwelle angelangt, der ja vor etlichen Monaten einen Kreuzzug gegen die Arbeitslosen begonnen hatte, womit er sich einmal mehr unheimlich beliebt machte. Seine Thesen wurden in der Bevölkerung durchaus als richtig empfunden, nur ihn selbst mögen die Leute halt nicht sonderlich, was für einen Außenminister eine durchaus bemerkenswerte Leistung bedeutet. Das Prinzip, immer auf die Schwächsten der Gesellschaft einzudreschen, die sich nicht wehren können, weil sie keine richtige Lobby haben, hat sich schon immer bewährt, da man weiß, daß alle Anderen fleißig mit auf die am Boden Liegenden eintreten. Von „spätrömischer Dekadenz“ war da die Rede, doch wer ernsthaft glaubt, daß die Leute mit 359 und bald 364 Euro im Monat ein prunkvolles Leben führen könnten, der hat nicht wirklich einen blassen Schimmer davon, was es heißt, mit dem Existenzminimum zurechtkommen zu müssen. So einen Schwachsinn können wirklich nur Leute von sich geben, die niemals Not gelitten haben. Die sollten mal einen Monat lang vom Hartz IV-Satz leben müssen, dann wüßten sie was Sache ist. Doch dabei ging und geht es in Wirklichkeit um etwas völlig Anderes. Nicht nur, daß Westerwelle seinerzeit von den Vetternwirtschaftsvorwürfen ablenken wollte, die von allen Seiten auf ihn einprasselten, es steckte noch mehr dahinter. Schließlich sind es ja auch und in erster Linie die Politiker, die von den Steuergeldern bezahlt werden. Die hohen Damen und Herren müßten eigentlich froh darüber sein, daß sie gut verdienen und dann auch noch regieren, beziehungsweise opponieren, dürfen. Wenn man aber selber von jemandem etwas bekommt, dann sieht man es oft nicht so gerne, wenn Andere von der Hand, die einen füttert, auch etwas erhalten. Klar, man könnte meinen, Futterneid wäre in diesem Fall unnötig, da die Arbeitslosen ja viel weniger bekommen als die Politiker, aber wer viel hat will noch mehr und wenn man den ganzen Unternehmern und Bonzen die Kohle in den Arsch schieben will, die man als hoch verschuldeter Staat nicht hat, dann nimmt man es den Armen und gibt es den Reichen, so wie man es im Betriebswirtschaftsstudium gelernt hat, denn wenn es denen da oben gut geht, dann profitieren angeblich alle davon. Was für ein hanebüchener Schwachsinn, aber die sogenannten Liberalen sind davon fest überzeugt, weil sie nicht an die Gier denken, welche von den Reichen Besitz ergreift und wegen der die schöne Theorie in der Praxis halt einfach nicht funktionieren kann.

      Der Chef sitzt mit im Raucherraum, die anderen Raucher fühlen sich nicht wohl, die Gespräche sind verkrampft, man glaubt es kaum, die beste Lösung wäre Alkohol. Ja, so als Chef hast Du es auch nicht leicht, denn irgendwie behandelt man Dich anders und das führt natürlich dazu, daß man Dir die Wahrheit nicht ins Gesicht sagt, sondern viel lieber hinter Deinem Rücken über Dich getuschelt wird. Im Kapitalismus braucht es natürlich eine Hierarchie, in der die Autoritäten die Befehle geben, welche die Befehlsempfänger dann in die Tat umsetzen. Aber im Grunde sind die Chefs auch nur Menschen, leider werden sie oft so behandelt, als wären sie etwas Besseres, bis sie das dann irgendwann selber glauben und sich auch noch so aufführen. Andererseits sitzen sie natürlich am längeren Hebel und haben mehr Macht als der Rest, weshalb man vor ihnen verständlicherweise nicht unangenehm auffallen will. Oft jedoch handelt es sich auch beim Chef um ein armes Schwein, denn er gehört irgendwie eben nicht zur Gemeinschaft, wird zwar nicht offensichtlich ausgegrenzt, aber meist hält die Belegschaft schon einen gewissen Sicherheitsabstand ihm gegenüber ein. Chefs leben häufig einsam, doch wenn sie dann versuchen, mit dem einfachen Angestelltenvolk in Kontakt zu treten, sind die Vorbehalte auf beiden Seiten sowie die Verunsicherung meist so groß, daß nur Verkrampfung dabei herauskommt. Allein der gute Wille zählt, aber die Kluft bleibt bestehen.

      Wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, daß manche Mitarbeiter der Arge über eine Zeitarbeitsfirma dort gelandet sind, was natürlich zur Folge hat, daß sie für dieselbe Arbeit viel weniger Lohn bekommen, dann merkt man schon, daß auf dem Arbeitsmarkt heutzutage generell ein viel schärferer Wind weht. Auch die Praxis, befristet eingestellten Mitarbeitern nur einen elfmonatigen Vertrag zu geben, damit sie im Falle der Nichtverlängerung keinen Anspruch auf das ALG I haben, zeigt, daß es in erster Linie darum geht, Kosten zu senken, da der Sozialstaat und die, die von ihm abhängig sind, angeblich in den letzten Jahren und Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt haben. Die Zeiten werden kälter, soviel läßt sich ohne Frage feststellen, aber wer glaubt, damit wäre das Ende der Fahnenstange schon erreicht, täuscht sich gewaltig. Das alles ist erst der Anfang, in Zukunft wird es noch viel heftiger werden, deshalb sollte man froh darüber sein wie es ist, denn in wenigen Jahren wird man sich sehnsuchtsvoll an die heutige Zeit zurückerinnern. Klar, vielleicht zerstört sich das kapitalistische System irgendwann selbst, doch wer glaubt, danach würde alles besser werden, könnte sich irren. Anders würde es garantiert, aber wirklich besser?

      Wie auch immer, letzten Endes geht es darum zu begreifen, daß der Mensch nicht lebt um zu arbeiten und auch nicht arbeitet um zu leben. Der Sinn des Lebens besteht in etwas völlig Anderem und zwar im leben als solchem. Die eigenen Talente erkennen und fördern, das eigene Potenzial ausschöpfen, sich selbst verwirklichen, darum geht es eigentlich. Man könnte nun einwenden, daß das in diesem System nicht möglich wäre, da die äußeren Zwänge