Messalina. Alfred Schirokauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Schirokauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754181485
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bewiesen, daß dieser Astrolog ein Lügner und Fälscher war. Ich bin an dem einen Tage zu Roß über den Erddamm geritten, den die überbrückenden Schiffe trugen, als wäre eine neue Appische Heerstraße auf ihnen erstanden. Ich bin am andern Tage mit einem Zweigespann vor einem Rennwagen über den Damm hin- und zurückgebraust. Und ich bin – ? Kaiser geworden.«

      »Ave, Cäsar! Heil dir, Kaiser!«

      Gäste und Sklaven donnerten die Jubelrufe dem Imperator zu. Er bedankte sich stumm, wie ein Schauspieler den gespendeten Beifall entgegennimmt, und richtete sich höher aus in seinem weibischen, grotesk lächerlichen Gewande.

      Wieder sang die Klingschale, und der Kaiser sprach weiter:

      »In der verflossenen Nacht nun kam das Meer zu mir. Nein, Freunde, nicht als Traumgebilde, sondern wirklich, leibhaftig. Es kam, um mich zur Rede zu stellen, weil ich ihm Gewalt angetan und eine in den Sternen verzeichnete Schicksalsbestimmung zur Lüge der Götter gemacht hatte.«

      Er schlug beide Hände vor das Gesicht und schauerte in der Erinnerung zusammen, daß die Edelsteinketten und Behängsel auf seinem Leibe klirrten und rasselten. Dann plötzlich gab er seine Züge wieder frei und stierte mit wilden Blicken in die Runde.

      »In scheußlicher, wandelnder Gestalt trat das Meer vor mich hin. Seine Glieder waren die Leiber von Ertrunkenen. Seine Augen tausend Augen von Menschen, die in den Wogen den Tod gefunden. Und es sprach mit dem Todesröcheln Tausender. Sprach schauervolle Anklage. Vergeblich suchte ich mein Recht zu beweisen, daß ich göttlicher sei als die Götter und darum das Recht habe, die Sternenschrift des Himmels zur Lüge zu erniedrigen, denn meine Tat ist die Wahrheit. Aber ununterbrochen – so wie die Wogen ohne Aufenthalt an den Strand wallen, zurückweichen und wieder vorwärts rollen, tagelang, jahrelang, jahrhundertelang – so ununterbrochen ließ das Meer aus grünem Fischmaule mit blutrotem Rachen entsetzliche Worte über mich dahinbrausen. Es hob beim Sprechen die Hände, aus denen dann Wasser brachen. Und Fluten rannen fort und fort von der grauenhaften Gestalt hernieder. Höher und höher stieg der Schwall – er leckte zu meinem Lager hinauf und brandete über mich hin, wie der Wortschwall des Meeres mich betäubte. Um mich vor dem Ertrinken zu bewahren, blieb mir nur eines: aus dem Schlafgemach zu flüchten. Ich tat es. Aber das Meer war hinter mir her und schwemmte mich durch alle Gänge, über alle Treppen – wohin ich mich auch zu retten trachtete!«

      Mit einem wilden Aufschrei brach er ab und warf sich in die Polster seines Speisebettes, wo er stöhnend liegenblieb.

      »Rasch Unterhaltung und Ablenkung für den Kaiser!« befahl Callistus einem in der Nähe stehenden Sklaven.

      An allen Tischen im Saale, selbst in der Vorhalle zum Speiseraume herrschte das Schweigen des Entsetzens, als kreise die Schauergestalt aus dem Wahnsinnstraume des Kaisers leibhaftig um die Triklinien. Jeder empfand es als eine Befreiung, als Bewegung entstand und buntgekleidete Sklaven seltsame Gestelle in den Saal schleppten, während plötzlich vom Eingange her eine wunderliche Musik erscholl und vier Frauen dort Aufstellung nahmen. Es waren Gauklerinnen, Petauristarierinnen, die sich mit ihren halsbrecherischen Sprüngen auf dem Trampolin zeigen wollten und in Rom als »die lebenden Bälle« bekannt waren.

      Langsam hob Caligula das Haupt. Seine unstet irrenden Augen hatten den schlaftrüben Ausdruck eines Erwachenden, der sich zurechtzufinden sucht. Er lauschte der Gauklermusik, betrachtete verstört das seinem Triklinium gegenüber aufgestellte Petaurum und überflog mit blödem Blicke die sich ihrem Springapparat nähernden Mädchen.

      »Das ist das Leben – das Leben ist noch um mich und in mir,« murmelte er nach tiefem Atemholen. »Nur weiter – weiter mit dem Feste!«

      Er raffte sich auf und ließ sich wie ein krankes Kind gefallen, daß seine Gattin Cäsonia sich tröstend um ihn bemühte. Ihre Hand in der seinen haltend, sah er mit verfallenem, traurigem Gesichte den Künsten der Petauristarierinnen zu.

      Valeria Messalina war tief erschüttert von dem Auftritt, dessen Zeuge sie gewesen war. Sie war zu klug, nicht die Kraßheit der Gegensätze zu erkennen, die hier aufeinanderplatzten: der sich offenbarende Wahnsinn eines Menschen, die Pracht des Festes, die geputzten, verängstigten, todbedrohten Gäste und der lebensfrohe Anblick der gestählten Frauenleiber, die wie zu Bällen gerundet von dem federnden Trampolin aufschnellten, sich augenscheinlich mühelos in die Luft warfen, sich überschlugen, übereinander fortwirbelten und mit jauchzenden Schreien ihre Springkünste und die sie anfeuernde Musik begleiteten.

      Sie erkannte, daß Caligula die Vorgänge zwar äußerlich verfolgte, doch ohne sie innerlich in sich aufzunehmen. Sie sah sein in Krämpfen zuckendes Antlitz, in dem es arbeitete und zerrte, als bereite eine innere Qual ihm unerträgliche Schmerzen. Und sie sah, wie dieses Gesicht sich nach und nach beruhigte, bis es schließlich ein festgefrorenes Lächeln behielt, das den häßlichen Zügen des Kaisers den mildernden Ausdruck verzweifelter Trauer verlieh.

      Da fühlte Valeria Messalina tiefes Erbarmen mit diesem unseligen Menschen, von dessen Bestialität ganz Rom widerhallte. Ein Mensch, dessen Dasein Glück und Glanz schien, und der im Grunde nichts war als ein armes, gehetztes, friedloses Geschöpf.

      Sie entsann sich eines Ausspruches ihres Vaters, der in einem Gespräche über den Kaiser unlängst geäußert hatte: nicht dieser Mensch sei verantwortlich für seine Taten – die schwere Verantwortung schleppe einzig und allein das Volk, das diesen Geisteskranken seit fast vier Jahren als den Cäsar ertrage.

      Valeria Messalina hatte sich so versunken in ihre Gedankenwege verloren, daß sie wie aus tiefem Schlummer auffuhr, als plötzlich um sie her brausendes Gelächter aufschwoll. Es galt einem Manne, der mit Verspätung zum Gastmahle eintraf. Während die Petauristarierinnen den Schauplatz ihrer Gauklerkünste verließen, die Sklaven eilig das Trampolin forträumten, meldete der Nomenklator den Oheim des Kaisers, den Tiberius Claudius.

      Ein ältlicher Mann von etwa fünfzig Jahren stolperte in den Saal. Er tat es mit dem sonderbar hastigen Gebaren eines Menschen, der durch gespielte Eile die Entschuldigung für das Zuspätkommen zu gewinnen trachtet.

      Claudius war von großer Gestalt und stattlicher Leibesfülle, machte beim Schreiten aber den Eindruck, als wären seine schwanken Beine nicht stark genug, seine körperliche Größe und deren Gewicht zu tragen. Der graubehaarte Kopf wackelte auf dem feisten Nacken. Seine Arme machten ungelenke Bewegungen, als bitte er, mangels passender Worte, durch Gebärden um Nachsicht. Weit eher glich er einem armseligen, plebejischen, gelehrten Stubenhocker als einem erlauchten Mitglieds des kaiserlichen Hauses.

      »Nun, mein edler Claudius?« redete Caligula den Oheim spöttisch an, als sich das Gelächter gelegt hatte, »wenn wir auch daran gewöhnt sind, daß du mit störrischem Eigensinn auf die ersten Gänge des Gastmahles verzichtest, so mache uns wenigstens das Vergnügen, möglichst rasch deinen Platz einzunehmen, damit das Mahl fortgesetzt werden kann. Oder sollen wir deinetwegen verhungern?«

      Verwirrt und ratlos, begleitet von einem neuen Aufflackern des Gelächters der Gäste, taumelte Claudius der Mittelreihe der Triklinien zu, weil er als Mann von fürstlichem Range mit Recht dort seinen Platz vermutete.

      »Nicht hier, bester Oheim, nicht hier!« rief der Kaiser ihm lachend entgegen. »Ich habe dir eine Stätte drüben auf dem Lektikus imus des letzten Trikliniums zugedacht.«

      »So, so – auf dem geringsten Platze – so, so?« machte Claudius, töricht erstaunt. Und während ihm der Graukopf noch heftiger als vorher zitterte, murmelte der sonderbare Mann vor sich hin: »Ich werde demnächst ein Buch schreiben müssen über die Herkunft und Einrichtung der Tischordnung. Sie kommt in Vergessenheit. Keiner weiß mehr Bescheid!«

      Dann durcheilte er mit unsicheren Schritten den freien Platz der Mitte. Er suchte sich bescheiden auf der Kante des Tischsofas zu betten, da die bereits dort liegenden beiden Gäste nicht für nötig fanden, wegen der komischen Figur des Kaiserhauses zusammenzurücken.

      Der Struktor hatte gewartet, um nun, nachdem Claudius endlich zur Ruhe gekommen war, neue Speisen und andere Weine anzukündigen. Es gab das Hauptgericht eines jeden römischen Gastmahles, den Eber. Der riesige Braten wurde auf einer Silberschüssel von gewaltigen Ausmaßen