Der Tote vom Oberhaus. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745015089
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hatte ein Date gehabt und wollte nicht darüber reden. Nun, sollte sie doch, aber musste sie ihn deshalb mit so einer billigen Ausrede abspeisen?

      „Kommissar Johannes Hollermann“, so hatte er sich schon als kleiner Bub beim Spielen mit seinen Freunden vorgestellt und gewusst, wenn er erst einmal groß war, dann würde er zur Polizei gehen. Und groß war er geworden, fast ein bisschen lang, und dank seiner Gene und dem ständigen Radeln sehr schlank. Beruflich gesehen hatte in seinem Leben bisher alles ganz gut geklappt. Nur der Tod seiner Freundin Mira hing ihm noch immer nach. Wegen ihr war er vor einem guten Jahr zur Mordkommission gewechselt. Den Grund hatte er niemandem genannt, und inzwischen war es auch egal. Er mochte den Job und seine Kollegin Franziska, und so war er auch an diesem Abend voll bei der Sache. Trotz oder vielleicht gerade weil sie so taten, als sei er noch immer der kleine Bub, der davon träumte, ein großer Held zu sein.

      In der letzten halben Stunde hatte sich Hannes um die wenigen Besucher gekümmert, die zum Zeitpunkt des Leichenfundes noch auf dem weitläufigen Burggelände gewesen waren und vielleicht etwas von der Tat mitbekommen hatten. Wie zu erwarten, war seine magere Ausbeute nicht dazu geeignet, um seine Stimmung zu heben.

      Das änderte sich erst, als er zurück zum Tatort kam. Schon von draußen hörte er Schneidlingers Stimme, und als er durch die alte Eichenholztür in den Kellerraum trat, sah er

      ihn mit der Chefin der Kriminaltechnik neben dem Toten stehen. Der ‚neue‘ Chef, wie er von den Kollegen betitelt wurde, bis er sich seinen endgültigen Spitznamen verdient hatte, trug auch an diesem heißen Juniabend einen tadellos sitzenden Anzug, eine Krawatte und schwarze Lackschuhe, und Hannes musste zugeben, dass ihm dieser Aufzug sehr gut stand.

      Als Annemarie ihn sah, lächelte sie ihn an und rief ihm zu: „Ah, Hannes, gut, dass du kommst, der Chef ist jetzt auch endlich da!“

      So eine Spitze konnte sich nur Annemarie leisten. Sie hatte weder Mann noch Kind und war es nicht gewohnt, sich von irgendjemandem Vorschriften machen zu lassen.

      Ohne auf den verbalen Seitenhieb einzugehen, beendete Schneidlinger das Gespräch mit Annemarie. „Na, wie ist es gelaufen?“, raunte er Hannes zu und sah ihn komplizenhaft an. Fehlte nur noch, dass er ihm vertrauensvoll den Arm um die Schultern legte, dachte Hannes.

      „Der Mann heißt Xaver Mautzenbacher, ist zweiundvierzig Jahre alt …“ Gewissenhaft zählte Hannes erst die Fakten und dann ihre Schlussfolgerungen auf.

      Schneidlinger, der seine Hände so aneinandergelegt hatte, dass sich die Fingerspitzen berührten, wippte, während er seinem Mitarbeiter aufmerksam zuhörte, mit dem Oberkörper sanft vor und zurück.

      „Gute Arbeit, Kollege“, sagte er, als Hannes seinen Bericht beendet hatte und aus dem Augenwinkel heraus Franziska kommen sah.

      „Ach, Frau Steinbacher, wie schön!“

      Franziska nickte zum Gruß, und Hannes sah den Ärger in ihrem Gesicht. Schneidlingers Begrüßung hörte sich an, als habe er eine Stunde auf sie gewartet und nicht sie auf ihn.

      „Der Tote wurde übrigens von der Museumdirektorin gefunden“, verkündete Hannes, um seinen Bericht zu beenden und an Franziska abzugeben.

      „Ja“, bestätigte diese und nahm den Faden auf, „und Frau Halmgaard sagt, es gibt zwei Schlüssel, einen hat sie und einen …“

      „Samantha Halmgaard?“

      „Ja“, bestätigte Franziska irritiert und verstand offensichtlich nicht, was daran so wichtig war.

      „Das gibt’s ja nicht! Wie klein ist denn diese Welt?“ Schneidlinger beugte sich ein wenig vor und fügte erklärend hinzu: „Wir haben während des Studiums zusammengewohnt. Also, in einer WG natürlich. Sie studierte Geschichte. Eine sehr ehrgeizige Frau. Ich wusste schon damals: Sie wird es einmal zu etwas bringen.“ Er legte die Fingerspitzen aneinander und begann wieder zu wippen, bis er grinsend hervorstieß: „Direktorin des Oberhausmuseums. Nicht schlecht!“

      „Könnte man sagen“, ging auch die Kommissarin auf seinen Ton ein und erklärte dann etwas sachlicher: „Ich habe gerade mit ihr gesprochen.“

      „Und? Wie sieht sie aus? Immer noch sehr hübsch?“

      Franziska sah ihn ungläubig an, dann nickte sie. „Äh … ja!“

      „Das dachte ich mir.“ Mit einem kurzen Kopfschütteln schloss Schneidlinger das Thema ab. „Sie sagten, es gibt zwei Schlüssel zu diesem Raum. Dann müssen wir natürlich mit denen reden, die den Schlüssel haben.“

      Schneidlinger sah Hannes an, doch bevor der etwas sagen konnte, stimmte Franziska zu. „Natürlich. Allerdings würde ich mir vorher gern die Wohnung des Toten ansehen und abklären, in welchem Umfeld er lebte.“

      „Ja, machen Sie das, und nehmen Sie Herrn Hollermann mit.“ Er schenkte Franziska und Hannes ein joviales Lächeln und entließ sie mit einer entschlossenen Kehrtwende aus dem Gespräch.

      Es war kurz nach halb neun Uhr abends, als Franziska mit ihrem Auto direkt auf dem niedergetrampelten Grünstreifen vor der Eingangstür von Wohnblock Nr. 7 der Böhmerwaldsiedlung parkte. Seit sie den inneren Burghof der Veste Oberhaus verlassen hatten, war kein Wort mehr zwischen ihr und Hannes gefallen.

      Franziska hatte beschlossen, die Tatsache, dass Hannes auf einmal so dick mit Schneidlinger war, zu ignorieren. Bestimmt hatte er seine Gründe. Dennoch wunderte sie sich, wie schnell sich das Verhalten zwischen zwei Menschen verändern konnte.

      „Wir sind da“, erklärte sie mit aufgesetzter Munterkeit, riss die Autotür auf und wäre um ein Haar mit ihren Riemchensandalen in einem Haufen Hundekot gelandet.

      Scheiße, fluchte sie innerlich und wusste, dass sie sich besser konzentrieren musste. Aber es war ja nicht nur Hannes, der sich so anders benahm. Wirklich zu schaffen machte ihr die Tatsache, dass Walter allem Anschein nach in den Fall verwickelt war und sie nicht wusste, wie sie, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, damit umgehen sollte.

      Als sie endlich auf dem geteerten Eingangsweg stand, wanderte ihr Blick zur Haustür, wo Fahrräder und ein paar Mofas, bei deren Anblick sie bezweifelte, ob die eine Verkehrsüberprüfung überstanden hätten, aufgereiht waren. Weiter drüben, bei einer Baumgruppe, lümmelten ein paar Jugendliche und schauten neugierig zu ihnen herüber. Zwei Mädchen trugen kurze Hosen, die lediglich den Po bedeckten und knappe Shirts. Die Jungs schien das nicht zu beeindrucken, und Franziska sah keinen Grund, das Grüppchen mit den Ereignissen zu behelligen.

      Die Klingelschilder verrieten, dass Mautzenbacher im obersten Stock wohnte, und da die Haustür nur angelehnt war, gingen die beiden Kommissare zügig zum Aufzug, der sich, sobald sie eingestiegen waren, rumpelnd in Bewegung setzte.

      Auf dem Weg nach oben mutmaßte Franziska insgeheim, dass so ein Haus vielleicht ein besonders schönes Penthouse hatte, ein Schmuckstück, das man von unten nicht erahnen konnte, aber der Grund dafür war, warum ein Mann wie Mautzenbacher, der eine Rolex trug und an dessen Schlüsselbund sich ein BMW-Schlüssel befunden hatte, in so eine Wohnanlage zog. Doch schon die Wohnungstür belehrte sie eines Besseren, und als die Kommissare das schäbige Appartement betreten hatten, staunten sie nicht schlecht.

      „Kaputt!“, meinte Hannes, nachdem er mehrmals vergeblich den Lichtschalter betätigt hatte, und blickte skeptisch zu Franziska hinüber, doch die zuckte nur mit den Schultern.

      „Warum suchen wir eigentlich, seit wir wissen, dass er in dieser Siedlung wohnt, nach Gründen, warum das alles nicht so sein kann, wie es aussieht?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Franziska den kurzen Flur entlang bis ins Wohnzimmer, drückte auf den Lichtschalter und blieb im abendlichen Dämmerlicht stehen.

      „Weil wir uns von seinem feinen Anzug und zwanzigtausend Euro täuschen ließen“, vervollständigte Hannes, der der Kollegin gefolgt war und zusah, wie diese angewidert vor der fleckigen Couch zurückwich. „Dabei hatte er noch nicht einmal Geld, um sich neue Glühbirnen zu kaufen.“

      Mit