Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 24. Frank Hille. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754145838
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russischen Panzern betrug jetzt etwa 2.000 Meter, bei einer Distanz von 1.800 Metern würde er den "Panther" Feuererlaubnis erteilen. Die Panzer IV sollten bis 1.000 Meter warten.

      Ob die Kommandanten sich darin hielten wusste er nicht, er würde es auch nicht beeinflussen können.

      Dass sein Schulfreund Fred Beyer fast in seiner unmittelbaren Nähe Kommandeur einer Panzerabteilung der "Müncheberg" war wusste Günther Weber nicht. Mit den Namen des Divisionskommandeurs, General Mummert, konnte er aber schon etwas anfangen. Mummert eilte der Ruf eines harten Hundes voraus, dessen strategische Fähigkeiten aber offensichtlich mehr im linearen Draufhauen bestanden. Für das von der deutschen Führung vorgegebene unbedingte Halten der Stellungen auf den Seelower Höhen war Mummert aber genau der richtige Mann am richtigen Ort. Mummerts Person auf einen tumben Landsknecht zu reduzieren wäre nicht gerecht gewesen, denn er legte viel Wert auf die Berücksichtigung der Interessen der Soldaten, sofern man jetzt noch so darüber reden konnte. Er war kein Verheizer, aber auch keine Zartnatur, und der auszuführende Auftrag hatte immer Vorrang, auch wenn es viele Leben kosten würde. Insgesamt konnte man davon ausgehen, dass die "Müncheberg" sich mit aller Macht gegen den russischen Angriff stemmen würde.

      Günther Weber hatte gegen 22 Uhr am Vortrag noch mit seinem Stab alle erforderlichen Pläne und Maßnahmen besprochen und war der Überzeugung gewesen, dass die Panzerjagd-Einheit gut auf das Kommende vorbereitet wäre. Die alte Weisheit, dass alle Planungen mit den ersten ernsthaften Gefechten zu Papierstaub zerbröckelten hatte er schon lange verinnerlicht und war demzufolge auch darauf eingestellt, nach dem Beginn des Angriffs der gegnerischen Panzer und der Infanterie operative Entscheidungen treffen zu müssen. Obwohl er noch nie eine Panzerjagdabteilung geführt hatte war ihm mehr als klar gewesen, dass die Kampfwagen eine wirkungsvolle Abwehrwaffe waren, aber eben mustertypisch auch erhebliche Nachteile hatten. Die turmlosen Panzer verfügten nur über einen begrenzten Höhen- und Seitenrichtwert für ihre Geschütze, die Fahrzeuge mussten also in die ungefähre Richtung der Gegner gedreht werden. Das war bei entsprechender Vorwarnzeit machbar, bei unverhofften Angriffen aber problematisch. Und genau mit solchen Situationen rechnete Weber. Die südlich von ihnen bei Forst bereits übergesetzten russischen Einheiten würden sich nicht lange mit der Sicherung ihrer Übergangsstellungen über die Neiße aufhalten, sondern zügig weiter nach Westen vordringen. Eventuell würden Teile der Kräfte auf Bautzen eindrehen, aber Weber vermutete, dass die Führung der 1. Ukrainischen Front unter Konjew eher daran gelegen wäre, in Richtung Berlin zu marschieren. Die drei Orte Berlin, Seelow und Forst bildeten eine geometrische Gestalt. Seelow lag von Berlin aus fast schnurgerade im Osten, Forst auf einer ebenfalls nahezu geraden Linie von Seelow nach Süden. Zog man Verbindungslinien von Berlin nach Seelow, von dort nach Forst, und von da an nach Berlin, erhielt man ein rechtwinkliges Dreieck. Für Konjews Truppen lag Cottbus direkt auf dem Weg zur deutschen Hauptstadt, und das war ohnehin sein Ziel. Zwar war seine Front für die Säuberung des Südraumes vorgesehen gewesen, aber Stalin war schon am Mittag des heutigen ersten Angriffstages wütend gewesen, dass sich Schukows Verbände an den Seelower Höhen festgerannt hatten. In seiner Erregung hatte Stalin auch Konjew die Erlaubnis erteilt, auf Berlin vorzugehen. Der deutsche Südraum würde der Roten Armee früher oder später ohnehin in die Hand fallen. Von Forst nach Seelow waren es keine 100 Kilometer Entfernung, aber es dürfte kaum in Konjews Absicht liegen, dem ungeliebten Rivalen Schützenhilfe zu leisten und ihn bei Seelow zu unterstützen. Außerdem konnte man trotz des schlechten Vorankommens von Schukows Truppen davon ausgehen, dass die Deutschen in kürzester Zeit dennoch überrannt werden würden.

      Mit solchen Überlegungen beschäftigte sich Günther Weber nicht, es war nicht seine Verantwortungsebene und hatte nichts mit seinem Auftrag zu tun. Die vorgeschobenen Beobachter hatten über absolutes Chaos auf dem Gelände vor der Höhenkette berichtet und Weber war selbst in den vorderen Graben gegangen, um sich einen eigenen Überblick zu verschaffen. Tatsächlich öffnete sich vor ihm ein Panorama, welches apokalyptische Bilder zeigte. Das gesamte Vorfeld der Seelower Höhen lag unter Artilleriebeschuss, sowohl deutschem, als auch russischem. Immer noch steckten die feindlichen Infanteriespitzen etwa 800 Meter vor der Geländeerhöhung fest, die Panzer waren noch weiter entfernt. Auf dem von den Einschlägen immer wieder umgewühlten Boden sah er durch seinen Feldstecher unzählige kleine erdbraun gekleidete Gestalten, die entweder auf dem Bauch vorwärtskrochen, ab und an aufsprangen und weiterliefen, oder bewegungslos herumlagen. Es gab Stellen im Gelände, wo sich regelrechte kleine Hügel aus den Gestalten gebildet hatten. Ganze Gruppen von russischen Infanteristen waren von den Granaten der Artillerie getötet oder verwundet worden. Weber selbst hatte auch oft unter Beschuss im Feld gelegen und er wusste, dass in den Männern ein Gefühl der grenzenlosen Ohnmacht und des absoluten Ausgeliefertseins aufkam. Wo ein Geschoss genau einschlug und explodierte konnte niemand mit Gewissheit sagen, denn die Deutschen schossen Sperrfeuer, welches zwangsläufig nicht so zielgenau war. Dazu war gekommen, dass die Sowjets ihre geplante eigene Feuerwalze nicht im Griff gehabt hatten, und besonders zu Beginn des Angriffs viele Granaten viel zu kurz gezielt gewesen, und in den eigenen Formationen hochgegangen waren. Mittlerweile war das Feuer fast bis an den Höhenzug herangewandert, aber dem bisherigen fehlerhaften Beschuss waren schon tausende Rotarmisten zum Opfer gefallen. Die rote Artillerie hatte sich ohnehin mehr darauf konzentriert, die aufgeklärten deutschen Schwerpunktstellungen zu beschießen, was aus taktischen Erwägungen weitaus sinnvoller war. Auch Webers Verteidigungsabschnitt war angegriffen worden. Allerdings waren die meisten Granaten über die Stellung hinweggegangen und irgendwo im Hintergelände explodiert. Über dem gesamten Gelände hing eine Dunstglocke aus zerstäubter Erde, hochwabernden Explosionsgasen und öligem Qualm ausbrennender Panzer und anderer Fahrzeuge. Das würde eine Beobachtung des Beschusserfolges erschweren, aber die Russen hatten vor Beginn der Offensive intensiv aus der Luft aufgeklärt und kannten die Positionen ihrer Ziele. Das Dauerfeuer beanspruchte die Geschütze enorm und verringerte deren Zielgenauigkeit.

      Weber hatte genug gesehen, seine schweren Waffen würden noch weiter auf den Einsatz warten müssen, da die wirksame Schussentfernung immer noch nicht gegeben war. Neben seiner Beobachtungsposition war ein Sturmgeschütz III bis zur Wanne in einer Feuerposition gut versteckt worden. Die Soldaten hatten beim Anlegen der Deckung mitgedacht, denn rechts und links neben dem Panzer war genug Platz, um das Fahrzeug seitlich bewegen zu können, damit das Geschütz grob angerichtet werden konnte. Das 3,60 Meter lange Rohr ragte aus der Deckung heraus. Außerdem hatten die Männer die Standfläche des Fahrzeuges nach vorn hin abgeschrägt, damit es schon eine geringe negative Neigung der Waffe gab. Er trat von der Grabenbrüstung zurück und schwang sich aus der Deckung. Einer seiner Kompaniechefs war mit ihm vorn gewesen und ging neben ihm. Als er gut 20 Meter von der Kante des Höhenzuges weggekommen war schaute er noch einmal zurück. Obwohl es gerade erst kurz nach 13 Uhr war, lag eine Art Dämmerlicht über der ganzen Gegend. Dort, ungefähr 50 Meter unterhalb seiner Position, und nur noch einige hundert Meter entfernt von ihm, wurden feindliche Soldaten in der Knochenmühle des gnadenlosen Sperrfeuers gerade zerfetzt, verstümmelt, verschüttet, ertaubten, oder wurden wahnsinnig. Es war nicht so, dass ihm das besonders nahe ging, es war Krieg. Und er war auch nicht der Auffassung, dass dieses entmenschlichte Töten durch Maschinen schlimm wäre, das war der Zweck eines militärischen Kampfes. Dass sich die Menschheit dazu des technischen Fortschritts bediente war vermutlich moralisch fraglich, aber auf dem Gefechtsfeld interessierte das niemanden und nach dem Ende einer Schlacht spielte das gleich gar keine Rolle mehr. Fortlaufend jaulten von der russischen Seite Granaten heran, aber die feindliche Artillerie schoss immer noch zu weit. Nur vereinzelt gingen Geschosse im ansteigenden Hang der Höhenkette hoch. Direkt in den Stellungen von Webers Einheit hatte es nur vereinzelte Einschläge gegeben. Natürlich musste die Artillerie in ganz anderen Entfernungs- und Größendimensionen denken, als beispielsweise die Panzerwaffe. Wer wusste schon, wo und wie weit entfernt die Geschütze standen. Aus ein paar Kilometern Distanz ein Ziel punktgenau zu treffen war sicher eine sehr komplizierte Angelegenheit, zudem ja auch viele andere Faktoren wie das Wetter und die Windgeschwindigkeit eine Rolle spielen konnten. Außerdem sollten die Granaten die vorrückenden Rotarmisten hinter einem Feuervorhang etwas schützen, was aber in der hiesigen Situation recht zweifelhaft war, da die Deutschen alle Kräfte aus dem Gefechtsvorfeld zurückgezogen hatten. Weber drehte sich