Die Römer konnten diese ganze Wendung der Dinge beklagen und verabscheuen, allein es geschah ihnen im Grunde kein Unrecht. Irgendeinmal musste die grosse Täuschung aufhören, als ob der Imperator noch immer der Beamtete und Repräsentant des örtlich römischen oder auch des italischen Lebens und Volkes sei, in dessen Namen er über den Erdkreis zu herrschen habe. Hätte Diocletian nicht das Erlöschen dieses Vorurteils auch äusserlich durch Verlegung der Residenz, orientalische Gestaltung des Hofwesens, Missverhältnisse mit dem Senat und Verminderung der Prätorianer konstatiert, so hätte doch bald darauf das Christentum dieselbe Aufgabe auf seine Weise vollbringen müssen, indem es mit Notwendigkeit ganz neue Schwerpunkte der Macht schuf.
Wir werden im folgenden erzählen, unter welchen furchtbar gewaltsamen Umständen Diocletians Neuerungen vor sich gingen – während er und seine Mitregenten das Reich an allen Grenzen verteidigen und den Usurpatoren stückweise entreissen mussten, was man bei seiner Beurteilung nie vergessen darf. Was den höher gespannten Ton des Hofes und das neue Zeremoniell betrifft, so fanden sich ohne Zweifel Leute genug, welche mit allem Eifer darauf eingingen. Auf Übergangsstufen, wie jene Zeit eine war, verspürt der Imperator noch das Bedürfnis, sich öffentlich anloben zu lassen, eine Gattung von Anerkennung, welche der durchgebildete Militärdespotismus entbehren kann und verachtet, auch wohl sich geradezu verbittet. Damals kam man noch halbfrisch aus der alten Welt und ihrer Lebenslust, der Öffentlichkeit; alle Bildung war noch rhetorisch und die Gelegenheitsreden von einer Wichtigkeit im ganzen Leben des antiken Menschen, von welcher sich die heutige Welt keinen Begriff mehr machen kann. Dazu gehörten denn auch die Panegyriken, welche bei Jahresfesten und andern feierlichen Gelegenheiten von irgendeinem angesehenen Rhetor der Stadt oder Nachbarschaft in Gegenwart des Kaisers oder eines hohen Beamten gehalten wurden. Erhalten ist uns der bekannte Panegyricus des jüngern Plinius auf Trajan; dann folgt nach einer langen Lücke zufällig ein Stoss Lobreden auf die Mitregenten Diocletians nebst einigen wenigen auf noch spätere Kaiser Ich zitiere die Ausgabe in usum delph., Paris 1676. Die Numerierung schwankt, je nachdem die Rede des Plinius, wie hier, mitgezählt wird oder nicht. – Wie unersättlich Constantin in diesem Punkte war, geht aus Panegyr. (incerti) IX, cap. 1 hervor.. Als historische Quelle sind diese Reden natürlich mit Vorsicht zu gebrauchen, in gewissen Beziehungen aber höchst schätzbar und auch als literarische Arbeiten keineswegs verächtlich. Der Stil ihrer Schmeichelei ist wahrscheinlich noch ganz derselbe, welcher in den verlorenen Lobreden des dritten Jahrhunderts herrschte. Lebhaft und fast zudringlich versetzt sich der Rhetor in die möglichst veredelte Person des anwesenden Kaisers hinein und errät ihm, eins nach dem andern, seine Gedanken, Pläne und Empfindungen, was der ausgelernte Höfling klüglich bleiben lässt, weil hier schon die idealisierende Dichtung indiskret ist, geschweige denn die Wahrheit. Dies wird jedoch überwogen durch den starken Duft unmittelbaren Lobes und Entzückens, wie es dem Ohre eines Maximian angemessen war, mochte auch dieser schwerlich genug Bildung besitzen, um all die verbindlichen Beziehungen zu verstehen. Da wird Panegyr. II (Mamertin. ad Max.) und III (Genethliacus), aus den Jahren 289 und 291, nach andern beide von 292. vor allem der Beiname Herculius ausgenützt zu einer beständigen Verflechtung und Parallelisierung mit der Geschichte des Hercules, welcher endlich gleichwohl zu kurz kömmt, insofern Maximians Bagaudensieg doch etwas ganz anderes sei als der Sieg des Alciden über Geryon. Schon etwas weiter reicht die sonst dem altern Kaiser vorbehaltene Vergleichung mit Juppiter, dessen Kindheit bekanntlich, wie die des am Donaustrand aufgewachsenen Maximian, von Waffenlärm umgeben war. Unermüdlich häuft der Redner Bild auf Bild, um die Eintracht der Kaiser zu verherrlichen; die Regierung ist ihnen gemeinschaftlich wie das Tageslicht zweien Augen; wie sie beide an einem Tage (vgl. S. 64) geboren sind, so ist ihre Herrschaft eine Zwillingsherrschaft gleich derjenigen der Heraklidenkönige in Sparta; Rom ist jetzt glücklicher als unter Romulus und Remus, deren einer den andern totschlug; es darf sich jetzt Herculea und Iovia zugleich nennen. Wie auf Maximian die Geschichte des Hercules, so wird nämlich auf Diocletian der Mythus von Zeus angewandt, zumal in Betreff der Allgegenwart, welche durch die kaiserlichen Schnellreisen gewissermassen nachgeahmt schien. Aber aus der wohlbemessenen Kadenz dieser Phrasen heraus klingt eine sehr kecke, selbst unverschämte Bevorzugung Maximians, welcher dergleichen vielleicht ohne eine Miene zu verziehen ganz gerne anhörte. »Durch Übernahme der Mitherrschaft hast du dem Diocletian mehr gegeben als von ihm empfangen . . . Du ahmst den Scipio Africanus nach, Diocletian aber dich« – dies und ähnliches wagte Mamertin im Palast zu Trier vor dem ganzen Hofe zu deklamieren. Freilich strömt dazwischen ungehemmt der Blütenregen gemeinschaftlicher Huldigungen für beide. »Wie der Rhein seit Maximians jenseitigen Eroberungen getrost vertrocknen darf, so braucht auch der Euphrat Syrien nicht mehr zu decken, seit Diocletian ihn überschritten . . . Ihr verschiebt die Triumphe um immer neuer Siege willen; ihr eilt zu immer grössern Dingen hin . . .« Auch viel kleinere Taten werden kühnlich zu grossen aufgestutzt. Bei Anlass der Zusammenkunft des Jahres 291, als Diocletian aus dem Orient, Maximian über die Alpen mitten im Winter nach Mailand eilten, ruft zum Beispiel Mamertinus aus: »Wer nicht mit Euch reiste, konnte glauben, Sonne und Mond hätten Euch ihr tägliches und nächtliches Gespann geliehen! Gegen den strengen Frost schützte Euch die Macht Eurer Majestät; während alles erfror, folgten Euch laue Frühlingslüfte und Sonnenschein. Geh doch, Hannibal, mit deiner Alpenreise!« – Wozu ganz wohl passt, dass seit der Herrschaft dieser Kaiser selbst die Erde plötzlich fruchtbarer geworden sei. In ähnlichem, nur mehr bukolischem Ton hatte einige Jahre vorher der Dichter Calpurnius Siculus (in der achten oder vierten Ekloge) den Caesar Numerian besungen, in dessen Gegenwart die Wälder vor Ehrfurcht schweigen, die Lämmer munter werden, die Wolle und die Milch reichlicher, Saaten und Bäume üppiger, denn unter seiner sterblichen Gestalt birgt sich ein Gott, vielleicht der höchste Juppiter selber. – Etwas feiner weiss der Redner Eumenius mit dem gebildeten Caesar Constantius Chlorus umzugehen Paneg. IV und V (Pro scholis und Ad Constantium), aus den Jahren 295 und 297., wenn er zum Beispiel die Jugend Galliens vor die grosse Weltkarte zu führen verspricht, welche in der Halle zu Autun (zwischen dem Apollstempel und dem Kapitol mit dem Heiligtum der Minerva) auf die Mauer gemalt war. »Dort lasst uns nachsehen, wie Diocletians Milde das wild empörte Ägypten beruhigt, wie Maximian die Mauren niederschmettert, wie unter deiner Rechten, o Herr Constantius, Batavien und Britannien das verkümmerte Antlitz wieder aus Wäldern und Fluten emporheben, oder wie du, Caesar Galerius, persische Bogen und Köcher zu Boden trittst. Denn jetzt erst ist es eine Freude,