Der Ruf des Kojoten. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170106
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waren in alle Winde zerstreut. Byron konnte sich kaum an eine Begegnung mit einem von ihnen erinnern. Für ihn, wie für seine Geschwister, war Jon der Ersatz für Großvater, Onkel und all die anderen Verwandten, die sie nicht kannten.

      Als Byron das Haus betrat, fand er im Wohnraum seine drei jüngeren Geschwister versammelt. Die vierjährigen Zwillinge weinten und schrien und Stacy tat sein Möglichstes, sie zu beruhigen.

      „Na, endlich!“, fuhr er seinen älteren Bruder zornig an, als dieser wieder in der Tür erschien. „Ich dachte schon, ihr seid alle verschollen!“

      Byrons Blick verfinsterte sich. „Du wirst es ja wohl noch hinbekommen, zwei kleine Mädchen zum Schweigen zu bringen!“

      „Dann mach’ es doch selber!“, rief Stacy aufgebracht und sprang vom Sofa auf, wohin er seine beiden kleinen Schwestern gesetzt hatte. „Ich geh’ mir was anziehen!“

      „Klar, hau’ ruhig ab und überlass’ mir mal wieder die ganze Arbeit!“

      „Du bist doch eh der Klugscheißer in der Familie!“, schrie Stacy zurück und rannte die Treppe hinauf, so schnell er konnte. Manchmal, da konnte es Byron richtig fertigbringen, dass er ihn hasste.

      Den Vormittag verbrachten die Kinder draußen, im Schnee und waren kaum dazu zu bewegen, wenigstens zum Mittagessen hereinzukommen. Wie jeden Tag brachte Fey auch zu Jon und den anderen beiden Männern, die für sie arbeiteten – Bruce und Craig – etwas davon hinüber zum Bunkhouse. Morgen würden die beiden für drei Monate fortgehen. Im Winter über brauchten sie keine zusätzlichen Arbeitskräfte und die Cowboys fuhren entweder nach Hause, um sich dort während dieser Zeit etwas Geld dazuzuverdienen oder sie gingen gleich irgendwo in die nahegelegenen Städte und suchten sich dort übergangsweise Arbeit. Nur Jon blieb. Er hatte keine Familie mehr irgendwo in diesem Land. Er war allein und seine einzige Familie, die er besaß, waren Harold und Fey und deren vier Kinder.

      Fey wusste das und deshalb lud sie ihn seit vielen Jahren schon ein, das Weihnachtsfest mit ihnen zu verbringen, seit dem Tag, an dem Harold ihn aus der Stadt mitgebracht und ihn als ihren neuen Vormann vorgestellt hatte. Das war gleich nach dem völlig unerwarteten Unfalltod von Mike gewesen, der die Position vorher innegehabt hatte. Er war an einem sonnigen Frühjahrsmorgen hinausgeritten, um ein paar verschwundene Rinder zu suchen und nicht wiedergekommen. Irgendwann war Harold ihm gefolgt, weil er anfing, sich Sorgen zu machen. Er hatte ihn nur wenige Meilen von der Ranch entfernt gefunden – mit gebrochenem Genick. Sein Pferd stand ruhig, nur ein paar Meter daneben und graste. Mike war ein hervorragender Reiter gewesen und niemand konnte sich erklären, wie er so unglücklich hatte vom Pferd fallen können, dass er dabei genau auf dem umgestürzten Baumstamm gelandet war. Und so kam Jon zwei Wochen später auf die Ranch.

      Nach dem Mittagessen stürmten die beiden Jungs wieder hinaus in den Schnee. Die Zwillinge ließ Fey lieber nicht mehr in die Nässe und Kälte. Sie waren mit ihren vier Jahren noch klein und zart und sie wollte nicht riskieren, dass sie sich erkälteten.

      Am Nachmittag musste sie Byron und Stacy trennen, die sich in der Wolle hatten. Nun, das war nichts Neues, die beiden stritten sich wegen jeder Kleinigkeit. Eigentlich hatte Fey geglaubt, wenn zwei Brüder nur knapp elf Monate hintereinander geboren wurden, müssten sie glänzend miteinander auskommen. Das war jedoch im Bezug auf ihre Söhne so gar nicht der Fall. Die beiden gerieten aneinander, wann immer sie konnten. Manchmal glaubte Fey, es würde ihnen regelrecht Freude bereiten, auf dem jeweils anderen herumzuhacken und eine Auseinandersetzung zu provozieren. Auch im Pausenhof der Schule waren sie schon einmal so heftig miteinander in Streit geraten, dass es fast in einer Schlägerei geendet hätte und mehrere Lehrer sie trennen mussten.

      Meistens vertrugen sich Byron und Stacy bald wieder, doch der Friede währte leider in der Regel nur kurz. Ab und an hegte Fey zwar den Verdacht, dass Byron nicht unbedingt das Unschuldslamm war, das er immer gerne vorgab zu sein. Doch bisher hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, ihn dabei zu ertappen, dass er seinen jüngeren Bruder in irgendeiner Form herausforderte.

      Die Tischlampe im großen Wohnraum brannte als einziges Licht. Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum stand in der Ecke und verbreitete eine warme, gemütliche Atmosphäre. Feys Platz unter dem Fenster, in dem kleinen, gelben Sessel hatte einige Meter in Richtung der Türe zum Arbeitszimmer verschoben werden müssen, weil die Zweige der prächtigen Tanne zu weit in den Raum hineinragten. Obwohl es noch nicht spät am Abend war, konnte Fey sich nicht mehr auf ihre Stickarbeit konzentrieren. Gedankenverloren starrte sie in das Zimmer hinein, die Umrisse der Möbel verschwammen vor ihren Augen. Als sie damals, vor beinahe vierzehn Jahren hierher auf die Ranch bekommen war, als die junge Frau an der Seite Harold McColloughs, hatte sie nur so gestrotzt vor wild-romantischen Träumen. Sie hatte noch nicht geahnt, dass sie einen Patriarchen geheiratet hatte und ihr Leben von nun an in der Einsamkeit dieser trostlosen Prärie stattfinden würde. Geboren und aufgewachsen im Kreis ihrer Familie in einer Kleinstadt, hatte sie sich eher vorgestellt, wie auf einer Art Südstaatenplantage zu landen, anstatt in diesem mehr schlecht als recht eingerichteten Holzgebäude, das sich mit dem Titel Wohnhaus schmückte.

      Zu Anfang war sie schüchtern gewesen, beinahe verängstigt ob all der rauen Burschen, die sie plötzlich umgaben. Die Cowboys und auch ihr Mann waren keine hochgebildeten Plantagenbesitzer, die eine Schule im Osten besucht hatten, wie sie es in „Vom Winde verweht“ gelesen hatte. Sie waren einfache, harte Arbeiter mit eigenem Wortschatz, den sie erst lernen musste und nicht wenige von ihnen konnten weder lesen, noch schreiben. Das brauchten sie auch nicht. Die Hauptsache war, sie konnten Pferde gut zureiten und die Rinder „lesen“, wie sie es nannten, wenn sie deren nächste Reaktion schon im Vorfeld erahnten. Feys Aufgaben bestanden aus der Zubereitung der Mahlzeiten für die Männer und dass sie sich um das Kleinvieh kümmerte, was so am Hof zu finden war, die Hühner und Ziegen und die Hunde, wenn diese nicht gerade mit draußen bei den Rinderherden waren. Oft blieb sie alleine zurück und da sie das Schießen erst mühsam lernen musste, fürchtete sie sich häufig vor Pumas, die im Frühjahr und Herbst aus den Bergen herabkamen und auch einmal versuchten, sich eins der Pferde aus der Umzäunung zu holen. Manchmal weinte sie dann vor Verzweiflung, weil sie niemanden hatte, der ihr zur Hilfe kommen konnte und das einzige, was sie beherrschte war, das Gewehr in die Luft abzufeuern und zu hoffen, dass es genügte, um die Raubtiere von den Zäunen fernzuhalten. Erst im Laufe der darauffolgenden Jahre begann Fey, sich selbst beizubringen, wie man eine Waffe handhabte und ihr blieb genügend Zeit, die Blechdosen von den Baumstümpfen hinter dem Haus zu schießen, während sie alleine auf der Ranch ihr Dasein fristete.

      Harold sah es nicht gern, wenn er es mitbekam. Er wollte keine Frau, die sich wie ein Mann benahm. Außerdem war er es gewohnt, dass jeder seinen Kommandos Folge leisteten. Fey allerdings fand irgendwann zwischen ihrer Trostlosigkeit und dem Frust den Mut, sich zu wehren und zu protestieren, wenn ihr etwas nicht passte. Sie merkte bald, dass es Harold nicht gefiel, wenn sie widersprach, doch da sie im weiten Umkreis für einige Jahre die einzige Frau blieb, konnte sie sich durchaus erlauben, ihre Ernüchterung über das plötzliche Erwachen in dieser langweiligen, schnöden Umgebung an ihm auszulassen. Irgendwann fügte er sich und nahm ihre Wutanfälle nur noch gelassen hin. Ihm blieb auch nicht viel anderes übrig, wollte er nicht versuchen, sich irgendwo eine andere Frau zu suchen, die bereit war, dieses eintönige, von Schmutz und Witterungseinflüssen bestimmte Leben mit ihm zu teilen. Viele Rancher in der Gegend suchten vergeblich Jahre nach einer geeigneten Frau und wenn sie dann eine fanden, war sie selten eine außergewöhnliche Schönheit. Von daher durfte Harold sich nicht beschweren. Fey entwickelte im Laufe ihrer Ehe zwar einen ordentlichen Starrsinn, war aber recht hübsch anzusehen und ihre zarte, weibliche Figur entsprach ganz seinem Geschmack. Dass seine Frau womöglich unglücklich sein könnte mit ihrem Leben, mit dem täglichen Trott auf der Ranch, der Ausweglosigkeit, jemals mehr zu erreichen als das, was sie hatten – diese Idee kam Harold nicht in den Sinn. Für ihn gab es nichts Schöneres und Größeres als die Ranch seiner Ahnen fortzuführen und deshalb war ihm der Gedanke völlig fremd, jemand könnte diese Ansicht nicht teilen.

      Fey seufzte tief und verbittert. Morgen war Silvesterabend und danach begann das neue Jahr 1953. Zwölf neue, jungfräuliche Monate von denen sie noch nicht recht abzuschätzen wagte, worauf sie hoffen durfte.

      ‚Vielleicht’,