Kristin Fieseler
Ruf mich an
Frau G. wartet
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Inhaltsverzeichnis
Hilfe, ich habe nicht aufgeräumt
Die Haltestelle der Verdammten
Bücher, Bücher, nichts als Bücher
Wer ohne Macke ist, werfe den ersten Lego-Stein
Der Hausfrauen-Dispo
Vielleicht kennen Sie das auch? Der Dispo ist überzogen, eigentlich nur über die Schmerzgrenze des Bankberaters. Tja, da war ja diese unvermeidliche, lebensnotwendige Reise in die USA. Mit der Visa-Card. Natürlich, bis sie brummt. Und dann holt einen der Bankberater, in meinem Fall ein Herr Saft, auf den blauen Bankteppichboden der Realität zurück. Also, Herr Saft - rosa Hemd, blaue Krawatte, seine schwarzen Haare mit Gel aufstrebend nach oben toupiert, immer süffisantes Lächeln auf den Lippen - ruft morgens um 8 Uhr bei uns an. Und ich hoffte, dass es endlich ein Anruf von einem Verlag wäre. Zudem ist es ein freier Tag von meinem Mann. Die Welt ist bisher in Ordnung. Okay, da ist die Sache mit dem Dispo, aber so richtig juckte das mich bisher nicht. Wenn da nicht der übergenaue Aufpasser Herr Saft wäre. 8 Uhr morgens, mein Mann hatte bisher keinen Kaffee, kein Frühstück, keine Zigarette und keinen Sex. Augen gerade aufgeschlagen und er greift „nüchtern“ nach dem Telefonhörer, in der Erwartung, dass endlich ein Verlag anruft. Mist! Herr Saft kläfft meinen Mann an. Mein Mann verdreht die Augen und murmelt „Dispo“. Nun komme ich doch ins Schwitzen, massiere meinem Mann die Nackenpartie mit winzigen, abstehenden Haaren, bis diese sich wieder legen. Ich probiere es mit Wellness, Sie wissen schon. Aber mein Mann wird rot wie eine Tomate. Nun kläfft mein Mann. Scheiß-Wellness, hilft gar nix. Ich reiße ihm den Telefonhörer weg, weil es besser für ihn ist, nicht alles zu wissen. Schon gar nicht die Details über meine Visa-Card-Einkäufe, wie mein Einkauf bei „Victoria’s Secret“ in New York. Den Betrag braucht er nicht zu wissen, obwohl ihm das Mieder schon ein fröhliches Frohlocken entlockte. Also texte ich Herrn Saft zu. Ob er wohl von diesem Kauf weiß? Er liest doch die Umsätze meiner Visa-Card. Ach, Quatsch! Geistesgegenwärtig vertröste ich Herrn Saft mit dem Aktienverkauf von einer namhaften Softwarefirma, was er mit einem „Das geht schon mal in die richtige Richtung“ quittiert. In mir brodelt es. Ich könnte ihn, ach, lassen wir das. Ich versuche, ihn nicht zu hassen. Einatmen, ausatmen, entspannen. Und ich versuche zu lächeln, habe ich in einem Selbsthilfebuch gelesen. Das soll gut beim Zuhörer ankommen. Herr Saft ist routiniert, er lässt sich nicht erweichen. Ich soll antreten zu einem Gesprächstermin oder mein Mann soll antreten. Oh, nein, der ganze freie Tag von meinem Mann wäre gründlich versaut. Um meinen Mann milde zu stimmen, biete ich etwas unüberlegt an, die Kinder zum Termin mitzunehmen. Waren Sie schon Mal mit einem Sechsjährigen, einer Fünf- und einer Einjährigen bei einem Bankberatergespräch? Und haben Sie dann alles verstanden, was der Berater gesagt hatte? Sehen Sie, Konzentrationsprobleme! Vor allem Lücken. Was hatte er gesagt. Wieso musste gerade jetzt die Kleine wegen der neuen Zähne schreien? Ich habe auch nur zwei Ohren, mit einem Gehirn dazwischen, einem Hausfrauengehirn. Fragen Sie Herrn Saft! Er behauptet steif und fest, ich wäre Hausfrau. Er wollte bisher schon bei jedem Termin das Wort „Redakteurin“ gegen „Hausfrau“ austauschen. Jedes Mal, also vier Mal bisher. Andererseits, kein Wunder. Ich kreuze zum Beratertermin mit drei Kindern auf. Wirke ich dann nicht wie eine Hausfrau? Aber bin ich nicht die aufstrebende Mutter, die von zu Hause aus arbeitet? Habe ich nicht jahrelang für eine namhafte Softwarefirma geschuftet, während mein Mann damals auf zwei Kinder aufpasste? Jetzt ist Nummer drei da und wir haben die Rollen wieder getauscht. Aber Herr Saft meint, wer drei Kinder hat, ist Hausfrau und damit basta. Ich hasse dieses Wort: Hausfrau. Aber was kann das arme Wort dafür? Es ist so abgenutzt, abgeputzt, weggewischt, beschmutzt mit negativen Emotionen. Hausfrau. Das ist die, die weiß, wie der Paketbote aussieht, und der Vorwerk-Vertreter – der Typ mit dem verzweifelten Blick „Liebt mich denn keiner?“. Ja, die Hausfrau. Die weiß, wie man schnell wäscht und deren sehnlichster Wunsch ein Trockner ist, damit sie weniger bügeln darf. Bügeln, meditatives Bügeln beim Fernsehen. So romantisch, am besten im Kerzenlicht. Ich schnaufe kurz auf. Da sitze ich nun beim Beratergespräch in einem riesigen Büroraum mit einer Bronzeskulptur, die an Schweizer Käse erinnert. Ich versuche alle akustischen Signale des Herrn Saft zu interpretieren. Gut, dass ich Lippen lesen kann. Da, er hat es wieder gesagt. Jetzt reicht’s! „Nein, Herr Saft! NEIN! Und nochmals NEIN!“ schreie ich ihn an. „Ich bin nicht Hausfrau! Ändern Sie das in Ihrem System. Ich bin, ich bin....“ Ich ringe nach Worten. „Ich bin in Elternzeit.“ „Ich weiß“, piepst Herr Saft. „Und wagen Sie es ja nicht in Ihrem Scheißprogramm meinen Beruf zu ändern. Ich war schließlich bei dieser namhaften Softwarefirma.“ Ist es die Ehrfurcht, die Herrn Saft auf seinem Stuhl einsacken lässt? Oder denkt er, wann ist diese hysterische Hausfrau endlich weg? Ich spüre diese negativen Vibrationen seiner hässlichen Gedanken. Mit rotem Kopf druckt er das Formular für den Kleinkredit aus, legt es mir hin, zieht es wieder zurück. „Moment, das muss Ihr Mann auch unterschreiben.“ Sein Blick schweift zu den Kindern, die zu dritt die Besteigung der Bronzeskulptur versuchen: „Frau G. Haben Sie schon mal über eine Unfallversicherung nachgedacht?“ Ich pflücke die Kinder von der Skulptur und endlich weiß ich, warum ich persönlich antreten musste. Diese miese Type will mir Versicherungen verkaufen. Herrn Safts erklingt mit einem Echo im Bürozimmer: „Kostet nur 10,93 Euro pro Kind und Monat. Überlegen Sie sich’s.“ Die Kinder quengeln, zupfen an meinen Ärmeln, wollen endlich gehen. „Nein, ich will keine Versicherungen.“ Ich knalle die Bürotür zu. Stimmt, Herr Saft. Bei mir sollte man vorsichtig sein. Vielleicht will ich meinen Mann übers Ohr hauen und mit der Visa-Card durchbrennen. Der große Hausfrauentraum. Ich und die Visa-Card, ein unschlagbares Team. Durch die geschlossene Tür vernehme ich einen verzweifelten Schrei von Herrn Saft: „Ich schicke Ihnen den Antrag zu!“ Ich überlege laut:„Weshalb, in aller Welt bin ich hier gewesen, wenn es auch zugeschickt werden kann?“ Ich murmle es verbittert in mich hinein, in meinen verbitterten, nicht vorhandenen Hausfrauenbart. Wieso habe ich mir diesen Stress mit dem Transport von drei Kindern angetan? Zum großen Finale öffnet sich die Bürotür von Herrn Saft. Er lächelt und sagt: „Tschüs, Frau G. Bis bald.“ Junior flüstert mir ins Ohr: „Mama, ich glaube, der mag dich.“ Oh, Gott, so habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ich glaube, mir wird schlecht. Vor allem dieses rosa Hemd. Was ist, wenn ich deswegen hier war? Mannomann und ich bin auch immer gleich aus dem