Das Lachen der Yanomami. Nina Hutzfeldt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hutzfeldt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031041
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die Arbeit Freundinnen. Als sie eine Wohnung suchte, gab ich ihr den Tipp, sich für die freie Wohnung unter meiner Mutter zu bewerben, die sie auch bekam.

      »Ja, etwas.«

      »Na, also. Komm erst mal mit mir runter, danach helfe ich dir beim Aufräumen. Außerdem siehst du scheiße aus.« Sie strich mir über die Wange.

      Ich presste die Lippen aufeinander, um die Tränen zurückzuhalten. »Können wir nachher essen? Bevor ich mich hinsetze, möchte ich wenigstens die Sachen geordnet haben.«

      Es war ohnehin schon schwer genug.

      »Okay.«

      »Wirklich?«

      »Ja, kein Problem. Soll ich dir jetzt helfen?« Sie zog die Ärmel ihres Pullovers hoch.

      »Das ist lieb.« Wie konnte ich ihr erklären, dass ich jetzt Zeit für mich brauchte, ohne sie zu verletzten?

      »Na, dann lass mich mal rein.« Mareike drängte sich an mir vorbei in den Flur.

      Sprachlos schloss ich die Tür. Ich tat, als würde es mich freuen, dass Mareike mir beim Aussortieren half.

      »Wo soll ich anfangen?« Sie klatschte in die Hände.

      Mareike hatte kein Feingefühl, sonst hätte sie gemerkt, dass es mir wirklich nicht gut ging. Meine Mutter hätte sich im Grab umgedreht, wenn sie gesehen hätte, was Mareike gerade in Begriff war zu tun. Sie war sehr eigen und hasste es, wenn fremde Leute, ihre Sachen anfassten.

      »Am besten in der Küche. Die Schränke müssen ausgeräumt werden. Ich glaube auf dem Dachboden sind noch einige Umzugskartons. Die hole ich nachher.«

      »Das kann ich auch machen. Gib mir mal den Schlüssel.«

      Ich dankte Mareike dafür, dass sie auf den Dachboden ging. So hatte ich für einige Minuten die Wohnung wieder für mich. Auch wenn ich Angst vor der Stille hatte, war ich noch nicht bereit für Mareikes Überschwänglichkeit. Wahrscheinlich meinte sie es gar nicht so, sondern wollte mich nur auf andere Gedanken bringen. Aber ich brauchte Zeit für mich, denn meine engste Verbündete, meine Mutter, war gestorben. Sie hatte die Welt verlassen und würde nie wiederkommen. Ich würde nie mehr ihre Stimme hören, nie mehr mit ihr Lachen können. Es waren die alltäglichen Dinge, die mir fehlen würden. Es würde keine Telefonate mehr geben, in denen ich die Sorgen einer Lehrerin mit ihr teilen oder sie mir von den Gerüchten in den Dörfern erzählen konnte.

      In Gedanken versunken räumte ich im Wohnzimmer die vielen Bücher aus den Regalen. Über die Jahre hatte sich so einiges angesammelt. Ich zuckte zusammen, als die Tür ins Schloss fiel.

      »Ich bin wieder da. Ich fange dann in der Küche an. Ich habe noch die Zeitungen aus den Briefkästen genommen. Damit können wir das Geschirr einpacken.«

      »Du hast sie einfach genommen, ohne zu fragen?« Ich zog die Stirn kraus.

      »Na, warum nicht?«

      »Du hättest sie lieber aus der Papiertonne nehmen sollen. Die sind schließlich schon ausgelesen.«

      »Mm, egal.« Mareike winkte ab und trabte in die Küche.

      Den Nachmittag über ließ Mareike mich die meiste Zeit in Ruhe. Sie hatte genug in der Küche zu tun.

      Das Wohnzimmer war so gut wie fertig, und ich ging ins Schlafzimmer. Mir wurde flau im Magen, als ich den Schrank öffnete und die Unterwäsche meiner Mutter inspizierte. Schnell schloss ich den Schrank wieder und hob mir »Schrank ausräumen« für später auf. Doch aufgeschoben war nicht aufgehoben. So oder so würde ich den Schrank ausräumen müssen.

      Als ich die Matratze vom Bett genommen hatte, entdeckte ich unter dem Lattenrost einen Schuhkarton. Es war ein ganz gewöhnlicher Karton und wäre ich nicht im Flur mit Mareike zusammengestoßen, hätte ich ihn womöglich in den Müll gegeben. Er fiel mir aus der Hand und landete unsanft auf dem Teppich aus Schurwolle.

      »Was zum Teufel ist das?« Mareike bückte sich und hob einen Brief auf.

      »Ich weiß nicht.« Erschöpft rieb ich mir mit der Hand über den Mund. Ich hob den Karton auf und stellte ihn auf den Teppich. »Bitte gib mir den Brief. Ich tue ihn wieder zurück in den Karton.«

      »Aber schau doch mal. Deine Mutter hat einem Clark Owen geschrieben. Der Brief ist zurückgekommen, mit der Aufschrift Absender verzogen.«

      »Ich weiß nicht, wer das ist.« Ich zuckte mit den Achseln.

      Mareike öffnete den Brief.

      »Nein, bitte nicht. Du kannst doch nicht fremde Post öffnen.« Ich wollte nach dem Brief greifen, doch Mareike zog ihre Hand weg.

      »Lass mich doch mal. Da ist ein Foto drin.«

      »Lass mich sehen.« Ich nahm ihr das Foto ab.

      Das Bild zeigte meine Mutter als Teenager. Sie wurde von einem großen Jungen im Arm gehalten, der sicher einige Jahre älter war als sie. Verliebt himmelte sie ihn an.

      »Wer ist das?«, fragte ich und starrte das Foto wie in Trance an.

      »Wahrscheinlich dieser Clark. Komm, wir lesen den Brief, dann wissen wir mehr.« Mareike war ganz aus dem Häuschen und auch ich verdrängte für einige Minuten meine Traurigkeit.

      »Ich weiß nicht.«

      »Ach, nun sei nicht so. Ich mach das.« Mareike faltete den Brief auseinander und fuhr mit der Hand über das edle Papier. »Deine Mutter hatte wirklich eine schöne Schrift.«

      »Ja, Briefe schreiben war ein Hobby von ihr. Sie wollte kein Handy haben, obwohl ich es ihr so oft vorgeschlagen habe. Dann hätte sie SMS schreiben können.« Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich an das Gesicht meiner Mutter dachte.

       Liebster Clark, Lübeck, den 01.10.1963

       ich wollte dir zuerst nicht schreiben, doch ist es wichtig, dass du weißt, was ich dir zu sagen habe.

       Ich war sehr enttäuscht von dir, weil du bei meinem Abschiedsfest nicht da warst. Ich hatte mich so auf dich und einen letzten Abend mit dir gefreut.

       Weißt du noch, wie wir im Park gesessen und Kirschen gegessen haben? Die Sonne hatte uns aus dem Haus gelockt, aber die Angst, von deinen Eltern erwischt zu werden, war immer da. Aber etwas Verbotenes zu tun, ist auch aufregend!

       Leider ist unsere Liebelei nicht ohne Folgen geblieben. Ich habe eine Tochter bekommen. Sie heißt Andrea. Ja, sie ist deine Tochter. Ein Kind sollte nicht ohne Vater aufwachsen, also hoffe ich inständig auf eine Nachricht von dir.

       In Liebe,

       Helene

      Mareike gab mir den Brief. »Dein Vater hat endlich einen Namen.«

      »Ja, sieht wohl so aus.« Meine Mutter hat nie ein Wort über meinen Vater verloren. Wenn ich als Kind nachgefragt habe, winkte sie immer lächelnd ab. Nicht mal als Erwachsene hat sie mir etwas über ihn erzählt. Und ich habe schon über die Hälfte meines Lebens gelebt. Ich bin jetzt im einundfünfzigsten Lebensjahr.

      »Schau mal, Andrea. In der Kiste sind noch weitere Sachen. Ein Schlüsselanhänger und ein Ring.«

      »Ein Ring?« Ich faltete den Brief und steckte ihn zusammen mit dem Foto in den Umschlag zurück. Ich fühlte mich schlecht. In den persönlichen Sachen meiner Mutter zu wühlen fühlte sich an, als würde jemand in meinen Kindertagebüchern lesen.

      »Ich denke, wir sollten die Sachen wieder zurücklegen.«

      »Wieso denn?« Mareike blickte mich mit großen Augen an.

      »Das sind die Sachen meiner Mutter.«

      »Ja, sie ist aber gestorben. Mein Beileid, aber es sind jetzt deine Sachen.« Mareike zuckte mit den Achseln. Sie hatte wirklich kein Feingefühl, denn schon wieder stieß sie mir einen Dolch ins Herz. Meine Mutter hatte Mareike gemocht,