Der Preis wurde Tom überreicht, mit so viel Salbung, als der Superintendent unter solchen Umständen auftreiben konnte. Aber es war doch nicht der rechte Schwung darin, denn sein Instinkt sagte ihm, hierbei müsse ein Geheimnis walten, das wohl nicht ganz gut das Licht der Sonne vertragen würde. Es war ganz einfach unglaublich, daß dieser Knabe zweitausend Bibelverse in seinem Kopfe aufgespeichert haben sollte — ein Dutzend schon hätte zweifellos seine Kräfte überstiegen. Amy Lawrence war ganz rot vor Stolz und versuchte, es Tom zu zeigen, aber er wollte nicht sehen. Sie wunderte sich; dann grämte sie sich ein bißchen; schließlich stieg ein leiser Verdacht in ihr auf und verflog und kam wieder. Sie paßte auf. Ein heimlicher Blick verriet ihr Welten, und dann brach ihr Herz, und sie wurde eifersüchtig und wütend, und die Tränen kamen, und sie haßte alle, alle, Tom natürlich am meisten.
Tom wurde vor den Richter geführt. Aber seine Zunge klebte am Gaumen, der Schweiß trat ihm auf die Stirn, sein Herz klopfte — teils infolge der Größe des Mannes, aber mehr noch, weil er ihr Vater war. Er hätte, wäre es dunkel gewesen, vor ihm niederfallen und ihn anbeten mögen. Der Richter legte die Hand auf Toms Kopf und nannte ihn einen tüchtigen, kleinen Mann und fragte ihn nach seinem Namen. Der Junge stammelte, hustete und stieß endlich mühsam heraus: „Tom!“
„O nein — nicht Tom, sondern —“
„Thomas.“
„Richtig. Ich dachte mir doch, daß noch etwas fehlte. Gut. Aber ich glaube, du hast noch einen Namen, und du wirst ihn mir nennen, nicht?“
„Nenne dem Herrn deinen anderen Namen, Thomas, und sage: Herr! Nicht vergessen, was sich schickt!“
„Thomas Sawyer — Herr!“
„So — so ist‘s recht! Ein guter Junge. Ein braver Junge. Ein braver, kleiner Junge. Zweitausend Verse sind viel — sehr, sehr viel! Und Sie brauchen die Mühe, die es Ihnen bereitet hat, es ihm beizubringen, sicher nicht zu bereuen; denn Kenntnisse sind gewiß mehr wert, als irgend etwas anderes in der Welt. Sie machen große Männer und große Menschen. — Du wirst eines Tages ein großer Mann sein und ein großer Mensch, Thomas, und dann wirst du zurückblicken und sagen: Das alles verdanke ich der herrlichen Sonntagsschule meines Heimatsdorfes; alles meinen lieben Lehrern, die mich angehalten haben, zu lernen; alles dem guten Superintendenten, der mich anfeuerte und über mir wachte und mir eine wundervolle Bibel schenkte, eine herrliche, prächtige Bibel, damit ich sie immer, immer bei mir haben möge; alles meiner Erziehung! Das wirst du sagen, Thomas! Und du würdest dir mit keinem Geld deinen Schatz von zweitausend Versen bezahlen lassen — nein, wahrhaftig nicht! — Und jetzt kannst du mir und dieser Dame eine große Freude machen und uns einige deiner Verse aufsagen — du wirst es gern tun, denn wir freuen uns ja so sehr über einen fleißigen Knaben. Ohne Zweifel kennst du die Namen aller zwölf Jünger. Willst du uns also die Namen der beiden zuerst erwählten Jünger nennen?“
Tom zupfte an einem Knopf und sah möglichst einfältig aus. Er wurde rot und senkte die Augen. Mr. Walters Herz sank mit. Er sagte sich, es sei gar nicht möglich, von diesem Jungen Antwort auf die einfachste Frage zu bekommen — und den gerade mußte der Richter fragen! Doch fühlte er sich veranlaßt, zu Hilfe zu kommen und sagte: „Antworte dem Herrn, Thomas, — fürchte dich nicht!“
Tom wurde immer röter.
„Nun, ich weiß, mir wirst du es sagen,“ mischte sich hier die Dame ein. „Die Namen der zwei ersten Jünger waren —“
„David und Goliath!“
Decken wir den Schleier der Nächstenliebe über das, was nun folgte!
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