Als dann auch noch der strömende Regen einsetzte, war an Schlaf gar nicht mehr zu denken. Er lag unter seinem Moskitonetz und kam sich vor wie jemand, neben dessen Kopf ein Wasserfall in einen Fluss kracht. Da lag er und fürchtete, der Wasserfall könnte einen halben Meter zur Seite rutschen und ihm mit voller Wucht ins Gesicht klatschen.
Aber das geschah nicht, der Regen verschonte ihn, und Alex bekam zu guter Letzt doch noch ein wenig Schlaf.
Am Morgen war Alex schnell wach. Das gesamte Camp schien direkt nach Sonnenaufgang wieder zum Leben zu erwachen. Der Regen hatte aufgehört und Alex war bereit zum Aufbruch.
Bevor sie starteten, fing JayJays Vater die beiden Jungen ab: „Ich weiß nicht, ob wir heute genügend Wasser für einen Tag mit uns herumtragen können. Und dank des Regens werden wir auch im Dschungel mehr Wasser finden. Ich habe hier diese Tabletten. Wenn ihr sie in einer Flasche klarem Wasser auflöst, könnt ihr das Wasser trinken. JayJay, kannst du die Tabletten bitte in deinen Rucksack stecken? Du hast wahrscheinlich mehr Platz als ich.“
JayJay packte die Tabletten ein und wenige Minuten später brach die Gruppe erneut in den Dschungel auf. Sie verließ das Camp in der gleichen Richtung wie am Tag zuvor, aber sobald sie zehn Schritte in den Urwald gegangen waren, hatte Alex wieder jede Orientierung verloren. Es war, als hätte ihm jemand die Augen zugebunden und ihn zwanzig mal im Kreis gedreht. Er war vollkommen vom Rest der Gruppe abhängig. Alles sah für ihn gleich aus. Er würde sich hier nie zurechtfinden.
Alles lief wie gestern. Kusuni ging voran, er lauschte, beobachtete und untersuchte den Dschungel. Die Gruppe musste immer wieder warten, konnte sich dabei aber vom endlosen Kampf gegen das Geäst erholen.
Während einer dieser Pausen wollte Alex wissen, was es mit dem Tod von Onanas Mutter und den Wilderern auf sich hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, warum jemand Jagd auf Gorillas machen sollte. Gorillas haben ja schließlich kein Elfenbein wie Elefanten oder ein besonderes Fell wie Tiger.
„Die Wilderer haben es meistens auf das Fleisch der Gorillas abgesehen“, erklärte JayJays Vater. „In vielen Teilen Afrikas gilt Gorillafleisch als Delikatesse, man nennt es bushmeat, also 'Buschfleisch'. Es wird sogar in andere Kontinente verkauft. Manche reichen Leute bezahlen dafür eine Menge Geld. Hier in Kamerun ist es mittlerweile zum Glück verboten, Gorillafleisch zu essen. Aber wer hält sich schon daran? Weißt du, die Wilderer sind meistens sehr arme Leute, die irgendwie versuchen müssen, ihre Familien zu ernähren. Wildern ist für sie oft ein leichter Weg, viel Geld zu verdienen. Und es ist unglaublich schwer, Wilderer zu fangen oder zu verhaften. Sie dringen unbemerkt und einen Nationalpark wie Boumba-Bek hier ein, sie sind sehr gut darin, die Tiere zu finden, schießen eins oder mehrere, und verschwinden wieder. Für uns als Ranger ist es fast unmöglich, etwas dagegen zu tun.“
„Und Ononas Mutter ist auch von einem solchen Wilderer erschossen worden?“ wollte Alex wissen.
„Nein, sie ist in eine Gorillafalle getappt. Das ist eine Drahtschlinge, die an einem gebogen Ast befestigt ist. Wenn ein Gorilla in die Schlinge hineintritt, schnellt der Ast nach oben und die Schlinge zieht sich blitzartig um den Fuß des Gorillas zusammen. Je mehr der Gorilla versucht, sich zu befreien, desto fester zieht sich die Schlinge zu. Das ist Onanas Mutter passiert. Mehr wissen wir nicht. Eines Tages war die Mutter nicht mehr da und ein Mitarbeiter aus dem Camp hat die Überreste der Falle gefunden. Die Wilderer hatten alles liegen gelassen. Wer das getan hat, wissen wir bis heute nicht. Seit diesem Tag kümmert sich Songo um den kleinen Kerl.“
Nachdenklich blickte Alex vor sich auf den Boden. Kusuni winkte der Gruppe weiterzugehen, aber Alex konnte er damit nicht aus seinen Gedanken reißen.
Nachdem sie noch eine Stunde gegangen waren, begann Kusuni mit den Schnalzlauten. Sie waren wieder in der Nähe der Gorillagruppe. Nach weiteren zehn Minuten kam man sie an eine Stelle, aus der sie einen guten Blick auf eine Reihe meterhohe Bäume hatten. Gleich an zwei Bäumen konnte Alex sehen, wie sich zwei Gorillas mit großer Leichtigkeit und Eleganz nach oben arbeiteten. Das mussten beides Weibchen sein. Alex suchte in den Bäumen und auf dem Boden nach weiteren Gorillas.
Da hörte er plötzlich weit hinter sich ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Es war wie mehrere kurze Schläge auf den Boden eines Plastikbechers. Ein Ruck ging durch die verborgene Gorillagruppe, überall raschelte es und die beiden Weibchen verschwanden im Dickicht. Fast direkt nach den ersten Schlägen hörte Alex das gleiche Geräusch aus der Richtung der Gorillagruppe, und direkt danach einen erschütternden Schrei. Dann herrschte Stille.
JayJays Vater sagte nur einen einzigen Satz: „Da ist ein zweiter Silberrücken.“
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