Die Insel des Dr. Moreau. H. G. Wells. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: H. G. Wells
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170168
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sagte ich. »Mir ist's einerlei. Schließlich ist es besser, Sie behalten Ihr Geheimnis. Sie gewinnen nichts außer ein wenig Erleichterung, wenn ich Ihr Geheimnis achte. Wenn nicht ... ja?«

      Er grunzte unentschieden. Ich fühlte, daß ich ihn an einer schwachen Stelle, in einer redseligen Stimmung gepackt hatte; aber, um die Wahrheit zu sagen, ich war nicht neugierig, zu erfahren, was einen jungen Studenten der Medizin aus London vertrieben haben konnte. Ich habe Phantasie. Ich zuckte die Schultern und wandte mich ab. Am Backbord lehnte eine stille, schwarze Gestalt und beobachtete die Sterne. Es war Montgomerys unheimlicher Begleiter. Er blickte bei meiner Bewegung schnell über die Schulter und sah dann wieder fort.

      Es mag Ihnen als eine Kleinigkeit erscheinen, aber mir war, als hätte ich plötzlich einen Schlag erhalten. Das einzige Licht in unserer Nähe kam von einer Laterne am Steuer. Das Geschöpf wandte sich eine kurze Sekunde gegen diese Beleuchtung, und ich sah, daß die Augen, die mich anblickten, blaßgrün funkelten.

      Ich wußte damals nicht, daß – zumindest ein rötliches – Leuchten in menschlichen Augen nicht selten ist. Mir kam das ganz und gar unmenschlich vor. Diese schwarze Gestalt mit ihren Feueraugen stürzte all meine Begriffe und Empfindungen um, und einen Moment traten mir die vergessenen Schrecken der Kindheit wieder vor Augen. Dann verschwand dieses Entsetzen, wie es gekommen war. Eine wunderliche schwarze Menschengestalt, eine Gestalt ohne besonderen Belang, beugte sich über die Reling und betrachtete das Sternenlicht, und ich hörte, wie Montgomery zu mir sprach.

      »Ich denke, wir gehen dann hinein«, sagte er, »wenn Sie hiervon genug haben.«

      Ich antwortete ihm ungeschickt. Wir gingen hinunter, und er wünschte mir an der Tür meiner Kabine gute Nacht.

      Ich hatte ein paar sehr unerfreuliche Träume.

       Der abnehmende Mond ging spät auf. Sein Licht warf einen blassen, weißen Strahl durch meine Kabine und zeichnete auf die Planken bei meiner Koje eine unheimliche Lichtfigur. Dann wachten die Hetzhunde auf und begannen zu heulen und zu bellen, so daß ich vor der Dämmerung des Sonnenaufgangs kaum mehr Schlaf fand.

      5. Der Mann, der nicht wußte, wohin gehen

      Am frühen Morgen – es war der zweite Morgen, nachdem ich mich erholt hatte, und, so glaube ich, der vierte, seit ich aufgefischt war – erwachte ich aus einem Wirbel aufregender Träume, Träume von Kanonen und heulendem Pöbel, und ich hörte heiseres Rufen über mir. Ich rieb mir die Augen und lauschte auf den Lärm, ohne zunächst zu wissen, wo ich war. Dann vernahm ich das Trappeln nackter Füße, den Lärm schwerer Gegenstände, die umhergeworfen wurden, und ein heftiges Kreischen und Rasseln von Ketten; hierauf das Geräusch des Wassers, als das Schiff plötzlich gewendet wurde. Eine schäumende gelbgrüne Welle schlug an dem kleinen runden Fenster vorbei. Ich schlüpfte eilig in meine Kleider und ging an Deck.

      Als ich die Leiter heraufkam, sah ich gegen den rötlichen Himmel – denn die Sonne ging gerade auf – den breiten Rücken und das rote Haar des Kapitäns, und über seiner Schulter den Puma, der an einem Flaschenzug baumelte, welcher am Giekbaum des Besanmastes hing. Das arme Tier schien furchtbare Ängste auszustehen und kauerte am Boden seines kleinen Käfigs. »Über Bord damit!« schrie der Kapitän. »Über Bord damit! Wir wollen das Schiff bald von dem ganzen Unrat sauber haben.«

      Er stand mir im Weg, so daß ich ihn notwendigerweise berühren mußte, um an Deck zu kommen. Er drehte sich erschrocken um und stolperte ein paar Schritte zurück, um mich anzustarren. »Hallo!« sagte er stumpfsinnig, und dann begannen seine Augen zu funkeln: »Ah, das ist Mister – Mister–?«

      »Prendick«, sagte ich.

      »Prendick, zum Henker!« sagte er. »Hören-Sie-auf – heißen Sie, Mister Hören-Sie-auf!«

      Es lohnte nicht, dem Grobian zu antworten. Aber was er dann tat, hatte ich sicherlich nicht erwartet. Er streckte die Hand zum Fallreep, wo Montgomery mit einem untersetzten, weißhaarigen Mann in schmutzigem blauem Flanell stand, der offenbar gerade an Bord gekommen war. »Da hinaus, Mister verdammter Hören-Sie-auf. Da hinaus«, brüllte der Kapitän.

      Montgomery und sein Gefährte drehten sich um, während er schrie.

      »Was meinen Sie?« fragte ich.

      »Da hinaus, Mister verdammter Hören-Sie-auf – das meine ich. Über Bord, Mister Hören-Sie-auf – und flott. Wir machen das Schiff klar, machen das ganze Satansschiff sauber. Und über Bord gehen Sie.«

       Ich starrte ihn verblüfft an. Dann fiel mir ein, daß es genau das war, was ich wollte. Die Aussicht auf eine Reise als einziger Passagier mit diesem zanksüchtigen Trinker war alles andere als verlockend. Ich wandte mich zu Montgomery.

      »Kann Sie nicht aufnehmen!« sagte Montgomerys Gefährte kurzangebunden.

      »Sie können mich nicht aufnehmen!« stammelte ich erschrocken. Er hatte das vierschrötigste und entschlossenste Gesicht, das ich je erblickt hatte.

      »Sehen Sie«, begann ich, indem ich mich zum Kapitän wandte.

      »Über Bord«, sagte der Kapitän. »Dieses Schiff ist nicht länger für Tiere und Kannibalen und Schlimmeres als Tiere. Über Bord gehen Sie, Mr. Hören-Sie-auf. Wenn die Sie nicht haben wollen, dann saufen Sie eben ab. Aber gehen tun Sie! Mit Ihren Freunden. Ich bin mit dieser Satansinsel für alle Ewigkeit fertig, Amen! Ich hab' genug davon.«

      »Aber Montgomery«, wandte ich mich um.

      Er biß sich auf die Unterlippe und wies hoffnungslos mit dem Kopf auf den grauhaarigen Mann neben sich, um seine Ohnmacht anzudeuten.

      »Für Sie werde ich gleich sorgen«, sagte der Kapitän.

      Dann begann ein merkwürdiger Streit im Dreieck. Abwechselnd wandte ich mich vom einen zum andern der drei Leute, erst an den Grauhaarigen, er solle mich an Land lassen, und dann an den Kapitän, er solle mich an Bord behalten. Ich schrie selbst den Matrosen Bitten zu. Montgomery sagte kein Wort; er schüttelte nur den Kopf. »Sie gehen über Bord, sage ich Ihnen«, war der Refrain des Kapitäns ... »Zum Henker mit dem Gesetz! Hier bin ich König.«

      Schließlich, muß ich gestehen, brach mir die Stimme mitten in einem furchtbaren Fluch. Ein Anfall hysterischen Eigensinns schüttelte mich und ich ging nach hinten, wo ich finster ins Nichts starrte.

      Inzwischen kamen die Matrosen mit der Arbeit des Ausschiffens von Gepäck und Käfigen schnell vorwärts. Ein großes Langboot lag an der Leeseite des Schoners, und dahinein wurde die merkwürdige Sammlung von Gütern geschwungen. Noch sah ich die Hilfskräfte von der Insel, die das Gepäck in Empfang nahmen, nicht, denn der Rumpf des Bootes war mir durch den Schiffsbauch verborgen.

      Weder Montgomery noch sein Gefährte nahmen die geringste Notiz von mir, sondern sie halfen den vier oder fünf Matrosen, die Güter zu löschen und gaben Anweisungen. Der Kapitän ging nach vorn und störte mehr, als daß er half. Ich war abwechselnd verzweifelt und zu allem entschlossen. Ein- oder zweimal konnte ich, als ich so dastand und wartete, dem Impuls nicht widerstehen, über meine elende Schwierigkeit zu lachen. Ich fühlte mich um so elender, als ich kein Frühstück gegessen hatte. Hunger und Mangel an Blutkörperchen nehmen einem Mann alle Mannheit. Ich merkte ziemlich klar, daß ich nicht Kraft genug hatte, weder um mich zu widersetzen, wenn der Kapitän mich wirklich vertreiben wollte, noch um mich Montgomery und seinem Gefährten aufzudrängen. So wartete ich passiv auf das Schicksal, und die Arbeit des Ausladens von Montgomerys Besitz in das Boot ging weiter, wie wenn ich nicht vorhanden gewesen wäre.

      Dann war man damit fertig, und ich wurde gegen meinen – allerdings nur schwachen – Widerstand zum Fallreep geschleppt. Selbst da noch bemerkte ich die Seltsamkeit der braunen Gesichter der Leute, die bei Montgomery im Boote waren. Aber das Boot war jetzt vollgeladen und wurde eilig abgestoßen. Ein breiter werdender Spalt grünen Wassers erschien unter mir, und ich drängte mit aller Kraft rückwärts, um nicht kopfüber hinunterzustürzen.

      Die Leute im Boot stießen spöttische Rufe aus, und ich hörte Montgomery auf sie fluchen. Und dann schob der Kapitän mich mit Hilfe des Maats und eines der Matrosen