Schicksalhafter Kompromiss. Christine Feichtinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Feichtinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754178041
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versetzen musste und auch ihr sauer verdientes, erspartes Geld wie Schneeschmelze in der Sonne dahingeflossen war, machte sie ihn allein dafür verantwortlich. Zudem plagte sie die Eifersucht und ihre Existenz- und Zukunftssorgen meldeten sich wie ein Krebsgeschwür zurück. Insbesondere, wenn sie neue, blutjunge, unverbrauchte Mädchen aller Hautfarben als Konkurrentinnen auf dem Straßenstrich sah, welche am liebsten bei ihrem Eintritt alle anderen verdrängt hätten, wurde ihr klar, dass es wegen ihres alternden, verwelkten Körpers mit dem Geldsegen bald vorbei sein könnte. Bei jedem blutjungen Mädchen am Straßenstrich fühlte sie sich älter. Sie merkte deutlich, wie das Alter an ihr nagte und sie immer unattraktiver wurde. Was sollte sie tun, wenn sie für keinen Freier mehr begehrenswert war?

      Bisher konnten sie nur ihr Erspartes und ihre Heimkehr nach Rumänien zu ihrer Familie über ihre Existenz- und Zukunftssorgen hinwegtrösten. Jetzt, ohne Geld, konnte sie das vergessen. Wenn sie ohne Geld heimkam, war sie nur eine Belastung für ihre Familie.

      Sie fürchtete das Alter, die Krankheit, das Siechtum und die Vorstellung, auf der Straße allein und mittellos zugrunde gehen zu müssen. Ihr gespartes Geld war bisher ihre äußerste Notreserve. Was war aus ihrem Traum geworden, ihren Lebensabend in Rumänien bei ihrer Familie zu verbringen?

      Niemand wusste, wie schwer sie dieses gesparte Geld verdient hatte. Wie viele Schläge von Freiern und Zuhältern, Demütigungen von schmutzigen, drogensüchtigen, betrunkenen Freiern, Psychopathen, Kriminellen aller Hautfarben mit ihren ekelhaften Ausdünstungen musste sie schon ertragen? Wie viele Krankheiten, Infektionen und Rosskuren musste sie überstehen? Gerade weil sie dieses ersparte Geld so schwer verdient hatte, hatte sie sich immer damit getröstet, es als Entgelt für ihre erlittenen Kränkungen und Erniedrigungen für einen ruhigen, sorgenfreien Lebensabend in Rumänien, fern von hier, zu verwenden. Sie sehnte sich danach, dieses Hundeleben abzuschütteln und ein geordnetes Familienleben als unbescholtene Person mit einem treuen Partner in ihrer Heimat zu verbringen.

      Als sie abends vom Dorotheum heimkam, verlor sie völlig die Fassung. „Nun habe ich meinen letzten Schmuck versetzt. Alles wegen dir. Ich kann es mir in Zukunft ohne dich leichter machen. Ich werde mir nur ein paar ausgesuchte Freier halten und weniger arbeiten“, drohte sie, während sie Patrik anschrie.

      „Ich kann auch ohne dich gut leben. Es gibt genug hübsche Newcomer auf dem Markt, die mich gerne als ihren Liebhaber und Beschützer hätten“, funkelte er sie zornig an.

      „Dann geh doch und nimm dir eine andere. Du bist Abschaum. Warum soll ich dich behalten und wie eine Natter an meiner Brust nähren. Du bist ein Parasit, ein Feigling, und kannst mich vor niemanden beschützen, du bist eine Lachnummer im Kampf gegen meine Freier.“ Dann riss sie ihm die Bierflasche aus der Hand und knallte sie ihm an den Kopf.

      Sie provozierte ihn bis aufs Blut, tanzte wild schreiend um ihn herum: „Schlagen, schlagen.“

      Er kannte ihre Absicht, einen Arzt aufzusuchen, um ihn mit einem ärztlichen Attest anzuzeigen und ins Gefängnis zu bringen.

      Daraufhin rastete Patrik vor Wut aus und schlug sie im betrunkenen Zustand grün und blau, sodass die Scheidung nur mehr eine Frage der Zeit war.

      Für seinen zukünftigen Verdienstausfall und seine Guttätigkeit, dass sie durch ihn die österreichische Staatsbürgerschaft und seinen österreichischen Familiennamen bekommen hatte, verlangte er, nach einer Beratung mit Fredy, als Entschädigung eine hoch dotierte Abschlagszahlung. Wenn sie nicht zahle, würde er ihr Gesicht so zurichten, dass kein Freier sie mehr haben wolle. Außerdem werde er seine guten Kontakte zur Unterwelt spielen lassen, ihren Sohn ausfindig machen und ihm von ihrer Prostitution erzählen, drohte er. „Ich habe kein Geld. All mein Geld hast du verprasst. Ich werde es abdienen, meine Tür steht dir immer offen“, hatte sie mit einem befreienden Lächeln erklärt.

      Kurze Zeit später waren sie geschieden. Damals war Patrik so wie früher als kleiner Junge zu seiner Großmutter geeilt, um vor ihr zu glänzen und ihr zu sagen, dass er von Angelique geschieden war und dass sie Recht gehabt hatte damit, dass Angelique keine geeignete Frau für ihn wäre. Er hätte besser auf sie hören sollen und hätte nun Lehrgeld zahlen müssen. „Endlich, mein Junge, hast du Vernunft angenommen. Beginne ein neues Leben mit einer anständigen, standesgemäßen Frau in deinem Alter. Gründe eine Familie, damit ich mir keine Sorgen um dich mehr machen muss und ich stolz auf dich sein kann“, hatte sie ihm ins Gewissen geredet.

      „Du brauchst keine Bindungsangst zu haben. Zu zweit ist das Leben einfacher. Schau, dein Großvater war ein angesehener Beamter und wir waren ein Leben lang glücklich verheiratet. Nimm dir ein Beispiel an uns“, hatte sie ihm gut zugeredet.

      Auf deine guten Lehren kann ich verzichten. Du redest so, als ob du wüsstest, wie ein gutes Eheleben sein müsste. Auf solch eine Ehe, wie ihr sie geführt habt, kann ich verzichten, dachte Patrik. Du glaubst, dass ich nicht weiß, wie unglücklich du warst und wie viele Tränen du seinetwegen vergossen hast. Obwohl dein Mann ein angesehener Beamter war, wie du immer betonst, war er arrogant und überheblich. Er hat dich immer nur schikaniert, weil er der Beamte und Familienerhalter war und du nur eine primitive Hausfrau warst. Du musstest seinen Befehlen bedingungslos gehorchen. Du hast ihn bedient und verwöhnt von vorn bis hinten. Wehe, du hast aufbegehrt. Dann bohrte er in deinem Wundmal und beschimpfte dich wüst. Patrik hatte Großvaters Schimpftiraden noch immer im Ohr: „Du bist und bleibst ein dummer Bauerntrampel. Nicht einmal einen Beruf hast du erlernt. Du hast keine Kinderstube, du musst mir ewig dankbar sein, dass ich dich geheiratet habe.“

      In Wahrheit haben alle über euch gelacht, weil ihr in einer vergangenen Zeit stecken geblieben wart. Nur um den Anschein einer angesehenen Familie zu wahren, hast du seine Tücken und Beleidigungen in Kauf genommen. Wie oft hat er dich gedemütigt?

      Ihr habt euch die meiste Zeit gemieden und gezankt. In trauter Zweisamkeit vereint, sah ich euch nur, wenn ein Gewitter nahte, denn ihr beide hattet zum einen Angst vor dem Gewitter und zum anderen Angst, dass ein Blitz einschlagen würde, die Wohnung ruiniert würde und ihr mittellos und obdachlos werdet.

      Wenn alle Stromstecker ausgesteckt waren, löschten sie das Feuer und packten. Zitternd an den Händen haltend, beteten sie gemeinsam, das meiste Gewand am Körper, das Sparbuch, alle wichtigen Dokumente, alle Gegenstände griffbereit in Koffer gepackt, damit sie jederzeit flüchten konnten mit dem Notwendigsten, wenn der Blitz einschlagen würde.

      Ein Grillenzirpen im saftigen Gras neben Patrik riss ihn aus seinen dämmrigen Schlaf- und Wachphasen mit seinen nostalgischen Erinnerungen heraus. Er hörte die Musik und den Lärm der Party, welche er vorhin mit Anneliese verlassen hatte. Sofort löste er sich gedanklich von seiner Vergangenheit und kam in die Gegenwart zurück. Sein erster Gedanke steuerte, wie von unsichtbaren Mächten geleitet, Anneliese zu. Er versuchte sie zu ertasten und als er ins Leere griff, war er enttäuscht.

      Ein Lächeln bemächtigte sich seiner. Wir sehen uns wieder, kleine Anneliese. Die Glut der Liebe ist entfacht, das Feuer der Begierde brennt lichterloh. Du hast wieder Sonnenschein in mein Leben gebracht. Hauptsache, ich bin wieder glücklich und verliebt mit Schmetterlingen im Bauch und fühle mich wieder lebendig wie ein pubertierender Junge. Mit diesen Gedanken verabschiedete er sich gedanklich von Anneliese.

      Liebestrunken nach dieser himmlischen Nacht begab er sich nach Hause zu Sabine, seiner Ehefrau. Und als er den Mond und die Himmelsgestirne auf dem Heimweg betrachtete, fragte er sich: Wie oft wart ihr schon Zeugen meiner heimlichen, außerehelichen Liebesnächte?

      Wie von selbst gesteuerten Magneten angezogen, fanden sich Patrik Lerner und Anneliese, als wären sie verabredet, am nächsten Tag wieder, und es begann eine heiße, verbotene Affäre, die im Geheimen bis zur Vollendung blühen und niemals ans Tageslicht treten sollte. Ihr Liebreiz und ihre anbetungswürdige Ausstrahlung zogen ihn an. Wenn er nicht bei ihr war, schwärmte er sehnsuchtsvoll von ihr und wünschte sich, sie würde ihn ewig lieben. Die neue Liebe machte ihm nicht nur sein Leben, sondern auch seine altersbedingten Kreuzleiden erträglicher. Patrik Lerner fühlte sich durch seinen heimlichen Jungbrunnen pudelwohl. Er kam zur Ansicht, dass jeder Arzt alternden Männern junge, süße Mädchen anstatt Pillen verschreiben sollte.

      Die Fragen aller Fragen seiner Geliebten blieb auch dieses Mal