Skizzenbuch. Mark Twain. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark Twain
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173084
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Bitte, sage es noch einmal, dann kann ich es sicher auswendig.«

      Ich wiederholte die Reime und der Pfarrer sprach sie nach. Das erstemal machte er noch einen kleinen Fehler, den ich verbesserte, das zweite- und drittemal ging es aber ohne Anstoß. Mir war plötzlich eine Zentnerlast vom Herzen gefallen; das niederträchtige Geklingel plagte mich nicht länger, mein gemartertes Hirn kam endlich zur Ruhe und ein wonniges Gefühl des Friedens zog in meine Brust; ich hätte jauchzen und singen mögen. Wirklich stimmte ich auch eine halbe Stunde lang ein Lied nach dem andern an, während wir nach Hause marschierten. Meine Zunge, die wie gelähmt gewesen war, fand nun die Sprache wieder und der lange eingedämmte Redefluß sprudelte und strömte mir unaufhaltsam über die Lippen. Glückselig und jubilierend ließ ich ihm freien Lauf, bis er endlich versiegte. Beim Abschied schüttelte ich dem Freunde herzlich die Hand.

      »Das war einmal ein schöner Spaziergang,« rief ich, »und wie herrlich haben wir uns unterhalten! Aber, da fällt mir ein – du hast ja seit zwei Stunden kein Sterbenswort mehr gesagt. So sprich doch etwas.«

      Der Pfarrer sah mich mit glanzlosen Augen an und murmelte eintönig und, wie mir schien, ganz unbewußt:

      »Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier – Zahlt die Taxe der Passagier.«

      Mich überlief es siedend heiß. »Der arme Mensch,« dachte ich bei mir, »der arme Mensch! Jetzt hat es ihn gepackt.«

      Mehrere Tage vergingen, ohne daß ich mit meinem Freunde zusammentraf. Am Dienstag Abend kam er jedoch in mein Zimmer geschlichen, wo er matt und trostlos auf einen Stuhl niedersank. Er war bleich und abgezehrt, nur noch ein Schatten von seinem früheren Selbst.

      »Mark,« sagte er, und hob den müden Blick zu mir empor, »das war eine Unglücksstunde, in der ich jene heillosen Reime lernte. Sie haben mich seitdem Tag und Nacht verfolgt, gleich bösen Geistern. Alle Qualen der Hölle habe ich erduldet, seit wir uns zuletzt sahen. Am Sonnabend wurde ich telegraphisch nach Boston berufen. Ein, lieber, alter Freund von mir war gestorben und ich sollte ihm die Leichenrede halten. Ich benutzte den Nachtzug; die Predigt dachte ich mir unterwegs im Kopfe zurechtzulegen. Aber ich kam nur bis zu den Eingangsworten; der Zug ging ab, die Räder begannen ihr Gerassel – klack, klack – klack, klack, klack – und sofort paßten sich die abscheulichen Reime dieser Begleitung an. Wohl eine Stunde saß ich da und sagte Silbe für Silbe zu dem klack, klack, klack, der Eisenbahn her, bis ich so abgearbeitet und todmüde war, als hätte ich den ganzen Tag Holz gehackt. Mein Kopf schmerzte zum zerspringen, ich glaubte, wahnsinnig werden zu müssen. Rasch eilte ich nach dem Schlafwagen und kleidete mich aus. Kaum aber hatte ich mich auf das Lager gestreckt, so fing die Geschichte von neuem an: ›Klack, klack, klack – Acht-Cents-Fahrt – klack, klack, klack – Ein blau Papier – klack, klack, klack – Sechs-Cents-Fahrt – klack, klack, klack – Ein gelb Papier und so weiter, und so weiter – Zahlt die Taxe der Passagier.‹ Schlafen? – Ja, Prosit! Ich war fast für das Tollhaus reif, als der Zug in Boston ankam. Frage mich nicht nach der Leichenfeier. Ich that mir übermenschlichen Zwang an, aber jeder einzige Satz war von innen und außen übersponnen und durchwoben mit: ›Brüder, knipst ein das Fahrpapier – Zahlt die Taxe der Passagier.‹ Das allerschrecklichste dabei war jedoch, daß ich meine Rede ganz in dem hüpfenden Rhythmus der entsetzlichen Reime hielt. Bald sah ich thatsächlich, daß verschiedene Zuhörer wie geistesabwesend im Takt dazu nickten. Ja, du magst mir's glauben oder nicht, Mark, noch bevor ich zu Ende war, wiegte die ganze Trauerversammlung, der Leichenbestatter und alle übrigen im feierlichen Verein mit dem Kopfe hin und her. Kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, so floh ich, wie vom Wahnsinn getrieben, in die Sakristei. Dort traf ich aber zum Unglück mit einer alten unverheirateten Tante des Verstorbenen zusammen, die zu spät gekommen war, um der kirchlichen Feier beizuwohnen.

      »›Ach, er ist tot, er ist tot,‹ schluchzte sie tiefbetrübt, ›und ich habe ihn nicht noch einmal gesehen vor seinem Ende!‹

      »›Ja,‹ sagte ich, ›er ist tot – er ist tot – er ist tot – o, wird denn diese Qual niemals aufhören!‹

      »›Sie haben ihn also auch geliebt, wie ich?‹

      »›Geliebt, – wen?‹

      »›Den seligen Georg – meinen teuern Neffen.‹

      »›Ach – den. Jawohl – jawohl – freilich, freilich. Knips' ein, knips' ein – ach, das Elend bringt mich noch um.‹

      »›Dank, Ehrwürden, tausend Dank für die Trostesworte. Auch mir schlägt der Verlust eine tiefe Wunde. Sie waren wohl bei ihm in den letzten Augenblicken?‹

      »›Letzte Augenblicke – bei wem?‹

      »›Nun bei dem geliebten Verstorbenen.‹

      »›Ja so – o ja – ich glaube wohl – ich weiß nicht. Gewiß – ich war da – ich war da!‹

      »›Wie beneide ich Sie um dieses Glück. Was sprach er denn noch – o, teilen Sie mir seine Abschiedsworte mit!‹

      »›Er sagte – er sagte – o mein Kopf, mein Kopf, mein Kopf! Nichts, gar nichts sagte er als: ›Knips' ein, knips' ein das Fahrpapier!‹ – Seien Sie barmherzig, Verehrteste; ich beschwöre Sie, dringen Sie nicht weiter in mich, überlassen Sie mich meinem Wahnsinn, meinem Jammer, meiner Verzweiflung. – ›Sechs-Cents-Fahrt, ein gelb Papier – Drei- Cents-Fahrt, ein rot Papier‹ – nein länger ertrage ich es nicht – ›Zahlt die Taxe der Passagier.‹«

      Mein Freund schwieg erschöpft und sah mich wohl eine Minute lang mit stieren Blicken an.

      »Mark,« stieß er endlich mühsam heraus, »bin ich denn ganz verloren? Du erwiderst kein Wort, du giebst mir keine Hoffnung! Ach, ich sehe es ein, mir kann niemand helfen; Worte vermögen mir keinen Trost mehr zu geben – mein Geschick ist unabwendbar. Eine innere Stimme sagt mir, daß meine Zunge verdammt ist, in alle Ewigkeit nach dem unsinnigen Reimgebimmel hin und her zu pendeln. Da – da kommt es schon wieder: Acht-Cents-Fahrt, ein blau Papier – Sechs-Cents-Fahrt ein gelb Papier – –«

      Schwächer und schwächer klang seine Stimme, bis er endlich in einen wohlthätigen Starrkrampf verfiel, der ihn auf eine kurze Frist seinen Qualen entrückte.

      Wie aber rettete ich ihn schließlich vor dem Irrenhanse? Ich reiste mit ihm nach der ersten, besten Universität und ließ ihn seine Last und Pein auf die armen, nichtsahnenden Studenten abladen, welche die Reime mit gierigen Ohren einsogen. Fragt mich nicht, in welchem Zustand sie sich dort jetzt befinden. Die Folgen sind zu trostlos, als daß ich sie zu schildern vermöchte.

      Was mich trieb, dies alles niederzuschreiben, war nur die edle Absicht, dich, lieber Leser, zu warnen. Solltest du je irgendwo auf jene unheilvollen Verse stoßen, so fliehe sie – fliehe sie wie die Pest! –

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