Anfänglich hatte sie damit ihre Figur vor den begehrlichen Blicken der Mitschüler schützen wollen. Im Dienst stand sie deshalb mittlerweile sogar in dem Ruf, ein wenig schrullig zu sein. Das schmeichelte ihr ganz und gar nicht. Auf die dicken Pullover hatte sie trotzdem aus Trotz nicht verzichtet.
Heimlich zog sie diese über dem Busen inzwischen schon einmal etwas straffer, aber nicht aus. Nachlässig fuhr sie sich an diesem Abend mit den Händen durchs Haar und dachte darüber nach, wie der Tag gelaufen war.
Ihre Beteiligung an diesem Einsatz hatte sie nicht nur ihrer eigenen Initiative zu verdanken. Offiziell befand sie sich zu einem Kurzurlaub in Dänemark. Ihr „Chef“, Oberstleutnant Schultz hatte sie gebeten, nach Ihrer Landung in Kopenhagen doch einmal kurz bei seinem alten Bekannten Hansen hereinzuschauen und ihm seine Grüße auszurichten.
„Vielleicht zeigt der Ihnen bei der Gelegenheit ja sogar ein bisschen, wie die Dänen so arbeiten,“ hatte Schultz mit leicht ironischem Unterton hinzugefügt und Viola Ekström war sich keineswegs sicher gewesen, ob die süffisante Bemerkung nicht sogar eine typisch männliche Anzüglichkeit enthielt, war sich da aber keineswegs sicher gewesen.
Hansen erwies sich als souveräner Profi, der bestimmt nichts anbrennen ließ. Er hatte sich tatsächlich sehr erfreut gezeigt, wieder einmal von Schultz zu hören und dessen Mitarbeiterin gefragt, ob sie „Lust“ habe, an dem Einsatz teilzunehmen. Natürlich hatte sie „Lust“ gehabt.
„Habe ich eigentlich immer,“ hatte sie Hansen in routiniert geschäftsmäßigem Ton beschieden und ihm dabei so herausfordernd direkt in die Augen gesehen, dass diesem sein Herz in die Hose gerutscht war. Kurzfristig als eine Art Begleitadjutant an einem operativen Einsatz gegen eine ukrainische Killertruppe in Dänemark teilnehmen zu dürfen, erlebte man schließlich nicht alle Tage. Da sie nicht damit zu rechnen hatte, für dessen Verlauf zur Rechenschaft gezogen zu werden, war der Misserfolg der Aktion für Viola kein Beinbruch gewesen. Immerhin hatte sie auf diese Weise tatsächlich einen interessanten Einblick in die Vorgehensweise der Dänen erhalten. Mochte der alte Larsson auch noch so fluchen.
„Schön, das können wir abhaken, jetzt ab in den Norden,“ dachte Ola, wie sie von ihren Freunden genannt wurde. Während Sie diesen Gedanken nachhing, klopfte es an der Tür. „Wer ist da,“ fragte die Rothaarige überrascht aber mit fester Stimme. Die Antwort verblüffte sie.
Mit diesem Gast hatte die Mitarbeiterin der NSA und Spezialistin für Datensicherheit hier nicht gerechnet.
„Kommen Sie herein,“ lautete dessen ungeachtet ihre Antwort. Die Informationen, die der Besucher ihr in dem folgenden knapp 30 Minuten dauernden Gespräch übermittelte, waren nicht dazu geeignet, ihrem bevorstehenden Besuch in Norwegen mit derselben Vorfreunde entgegen zu sehen, mit der sie sich bisher darauf eingestellt hatte.
„Sie erinnern sich an den merkwürdigen Trojaner, über den wir seinerzeit beim Triforium kurz gesprochen haben?“
Viola Ekström erinnerte sich nur dunkel. Es hatte einen Moment gedauert, bis sie geschaltet hatte.
„Ja und?“
„Uns ist aufgefallen, dass es den Polen kürzlich zufällig gelungen ist, mehrere Telephongespräche abzuhören, die den Schluss zulassen, dass es kriminellen Strukturen mit Hilfe von Glovico gelungen sein könnte, in die Datennetze amerikanischer Großbanken einzudringen und diese so zu manipulieren, dass es ihnen möglich sein dürfte, größere Bargeldbeträge abzuheben und das Geld mit Kurieren von den USA nach Europa zu transferieren. Da noch immer völlig unklar ist, wer hinter der Aktion steckt, habe ich mir gedacht, es könnte vielleicht nützlich sein, wenn Sie sich auch einmal damit befassen. Da könnte sich eine ausgesprochen brisante Geschichte anbahnen.“
„Wie haben Sie erfahren, dass ich hier bin,“ fragte sie ihren Gast beim Hinausgehen. Die Antwort stellte sie zufrieden. Der Besucher hatte die Tür hinter sich zu gezogen und war gegangen. Noch bevor Viola Ekström das soeben Gehörte noch einmal Revue passieren lassen konnte, klingelte bereits das Telephon.
Vom anderen Ende der Leitung vernahm sie die vertraute Stimme ihrer deutschen Freundin. „Das Haus ist nicht schwer zu finden. Du fährst auf der Küstenstraße nach Norden bis Bergen und dann in weiter in Richtung Eidfjord. Sieben Kilometer vorher passierst du eine Brücke, die über einen kleinen Bach führt. Gleich danach siehst du auf der linken Seite einige grasbedeckte Hütten. Wenn du die Einfahrt nimmst, fährst du direkt auf das Haus zu. Wir treffen uns dort übermorgen gegen neunzehn Uhr.“
Viola Ekström hatte verstanden, legte den Hörer auf und dachte nach.
Am einfachsten würde es wohl sein, die Fähre von Hanstholm über Egersund nach Bergen zu nehmen. „Damit hab’ ich die ganze Nacht zur Verfügung. Und mit ein wenig Glück ergibt sich zwischendurch ja sogar noch eine kleine Gelegenheit. Wenn nicht, habe ich wenigstens gut gegessen,“ machte sich die Amerikanerin klar. Alternativ hätte sie auch am übernächsten Tag den Flieger von Ahus nehmen können. Die Maschine würde gegen 14.00 Uhr in Bergen ankommen. Zeit genug, um danach mit dem Auto über Eidfjord zum Treffpunkt zu fahren. Aber dann hätte sie auch noch die kommende Nacht im Hotel in Hjörring verbringen müssen. Eine echte Chance, um sich auch nur ein wenig zu amüsieren, würde sich hier kaum bieten. Da war das Schiff schon besser. Gelegenheiten für ein kleines One-Night-Event boten sich da immer. Ob sich ein passender Typ finden lassen würde, stand auf einem anderen Blatt. Man würde ja sehen. In jedem Fall hatte die nach außen hin so spröde Endzwanzigerin einfach mal wieder Lust auf eine kleine Abwechslung. Mit irgendwelchen Komplikationen am nächsten Morgen war bei diesen Vergnügungen an Bord nicht zu rechnen. Man machte es miteinander ohne lästige Hemmungen und trennte sich dann wieder, ohne lange Fragen zu stellen. Außerdem ließ sich ein solcher Trip leichter als Kurzurlaub deklarieren. Violas Vorliebe für das Meer in Kombination mit kleinen Kreuzfahrten war hinlänglich bekannt. Eine Flugreise hätte da wohl eher Rückfragen ausgelöst. Ihr Entschluss stand damit fest.
Die notwendigen Reiseutensilien waren am nächsten Morgen schnell gepackt. Über das Haustelephon des Hotels bestellte sich die rothaarige Frau ein Taxi und ließ sich nach Hanstholm chauffieren. Bis zum Ablegen der Fähre blieb sogar noch ein wenig Zeit für einen kleinen Bummel durch das Einkaufszentrum. Spontan kaufte sich die EDV-Spezialistin dort einen dicken norwegischen Parka. „An Bord ist es auf Deck einfach schon recht kühl,“ rechtfertigte sie die Ausgabe vor sich selbst, „und wer weiß, ob ich drüben genug Zeit haben werde.“ So bestückt checkte sie gegen 18.00 Uhr auf der Fähre ein, buchte an Bord eine nicht ganz billige Außenkabine, nahm dort eine ausgiebige Dusche und kostümierte sich danach ein wenig aufreizender als sonst üblich.
„Die Kerle können ruhig merken, dass ich nicht abgeneigt bin,“ griente sich die Rothaarige vor dem Spiegel an, während sie sich die Augenbrauen nachzog. Danach ging es ab ins Lokal, wo sie recht schnell die gewünschte Aufmerksamkeit auf sich zog.
Knapp 2000 km weiter im Norden
Knapp 2000 km weiter im Norden passierten zur gleichen Zeit die frischgebackene Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Moskau, Tatjana Wolkowa alias Ruth Waldner und ihr Bekannter Tolja Timofefa die russisch norwegische Grenze. Auf die Idee, ihre alte Freundin in Norwegen zu treffen, war die Deutsche von ihrer polnischen Mitstreiterin bereits Mitte Juni in Moskau gebracht worden. Aufgrund des Ausfalls einer bewährten Dolmetscherin infolge eines längeren Krankenhausaufenthaltes, war die Angestellte der Konsularabteilung gefragt worden, ob sie einspringen könne. Wie von der entsendenden Dienststelle vorausgesehen, waren ihre perfekten Sprachkenntnisse in beiden Sprachen bereits nach wenigen Wochen in der Telephonzentrale so positiv aufgefallen, dass man ihr das Angebot gemacht hatte, zukünftig auch für den Besucherdienst tätig zu werden. Als es darum ging, im August eine deutsche Expertengruppe nach Murmansk zu begleiten, die sich über den Fortgang der Arbeiten zur Konservierung der atomaren Überbleibsel der Nordmeerflotte informieren wollte, hatte sie nach Rücksprache