Mathilde Möhring. Theodor Fontane. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754175668
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acht«.

      Damit empfahl er sich sehr artig, und als er aus dem Hause trat, sahen ihm Mutter und Tochter vom Entreefenster aus nach.

      Als sie das Fenster wieder geschlossen hatten, sagte die Mutter: »Es ist eigentlich ein sehr hübscher Mensch. Ich wundre mich nur, daß er noch so ein halber Student ist. Am Ende irrst du dich doch, Thilde. Er muß doch nah an dreißig sein.«

      »Ja, du hast recht, Mutter, er sieht so aus. Das macht der schwarze Vollbart, und weil er so breit ist. Aber glaube mir, er ist nicht älter als sechsundzwanzig. Und der Vollbart ist es auch nicht mal. Er ist bloß faul und hat kein Feuer im Leibe. Das sieht denn so aus, als ob einer alt wäre, bloß weil er schläfrig ist Und sentimental ist er auch.«

      »Ja, das wird er wohl«, sagte die alte Möhring, aber doch so, daß man hören konnte, sie dachte sich nichts bei »sentimental« und wollte bloß nicht widersprechen.

      Eine Stunde später hatte Mathilde das Zimmer zurechtgemacht, während die Mutter sich in der Küche beschäftigte. Man war übereingekommen, sich jeder ein Setzei zu spendieren, dazu Bratkartoffeln. Als der Tisch gedeckt und zu den Bratkartoffeln ein Extra von zwei Setzeiern aufgetragen war, war auch die Tochter mit dem Zurechtmachen des Zimmers fertig, und Mutter und Tochter setzten sich.

      »Bist du zufrieden, Thilde?« sagte die Alte und wies auf zwei Setzeier, die sie zu Ehren des Tages spendiert hatte.

      »Ja«, sagte Thilde, »ich bin zufrieden, wenn du sie beide ißt und wenn ich sehe, daß sie dir schmecken. Denn du gönnst dir nie was, und davon magerst du auch so ab. Kartoffeln ist was ganz Gutes, aber viel Kraft gibt es nicht. So ängstlich is es ja auch gar nicht mit uns, wir haben ja das Sparkassenbuch. Ich werde dich nun wieder besser verpflegen, und wenn wir gegessen haben, gieße ich dir eine Tasse Tee auf. Er hat nicht mal seinen Zucker verbraucht und auch nicht weggepackt. Man sieht an allem, daß er ein anständiger Mensch ist. Aber nun nimm, Mutter.« Und sie legte der Alten vor und patschelte ihr die Hand.

      »Ja, du bist gut, Thilde. Wenn du nur einen guten Mann kriegtest.«

      »Ach, laß doch.«

      »Ich denke immer daran. Und warum auch nicht? Wie du da vorhin vor dem Spiegel standst: von der Seite bist du ganz hübsch.«

      »Ach laß doch, Mutter. Das mit dem Gemmengesicht mag ja wahr sein, und ich glaube selbst, daß es wahr ist Aber ich kann doch nicht immer von der Seite stehn.«

      »Brauchst du auch nicht. Und dann am Ende, du hast die gute Schule gehabt und die guten Zeugnisse, un wenn dein Vater länger gelebt hätte, wärst du jetzt Lehrerin, wie du's wolltest. Manche sind so sehr fürs Gebildete. Wie hast du's denn drüben bei ihm gefunden? Alles in Ordnung? alles anständig? Ein ganz Armer kann es nicht sein. Ein ganzlederner Koffer beinah ohne Holz und Pappe; das haben immer bloß solche, die guter Leute Kind sind.«

      »Ganz recht, Mutter, das stimmt. Da sind wir mal einig. Und so ist es auch mit ihm. Guter Leute Kind. Auf der Kommode lagen noch die Schnupftücher und die wollenen Strümpfe. Nun, du mußt es dir nachher ansehn, alle ganz gleich gezeichnet und auch die Strümpfe und nicht mit Wolle gezeichnet, alle mit rotem Zeichengarn. Er muß eine sehr ordentliche Mutter haben oder Schwester, denn ein andrer macht es nicht so genau. Und die Stiefel auch in Ordnung. Er muß aus einer guten Ledergegend sein, das sieht man an allem, und hat auch eine Juchtenbriefmappe, schön gepreßt, ich rieche Juchten so gern. Und die Bücher alle sehr gut eingebunden, fast zu gut, und sehen auch alle so sonntäglich aus, als ob sie nicht viel gebraucht wären, nur sein Schiller steckt voller Leseeichen und Eselsohren. Du glaubst gar nicht, was er da alles hineingelegt hat, Briefmarkenränder und Zwirnsfaden und abgerissene Kalenderblätter. Und dann hat er englische Bücher dastehn, das heißt übersetzte, die muß er noch mehr gelesen haben, da sind so viele Ausrufungszeichen und Kaffeeflecke, und an mancher Stelle steht »famos« oder »großartig« oder irgend so was. Aber nu werde ich dir den Tee aufbrühen. Du hast doch noch kochend Wasser?«

      »Versteht sich, kochend Wasser is immer...«

      Und damit ging Thilde und kam nach einer Minute mit einem Tablett zurück. Es war dasselbe Tablett und dieselbe Teekanne, daraus der Mieter seinen Morgentee genossen hatte.

      »Das ist ein rechtes Glück, daß er Tee trinkt«, sagte Thilde und goß der Mutter und dann sich selbst eine Tasse von dem Neuaufguß ein. »Kaffee, das schmeckt dann immer nach Trichter. Aber von Tee schmeckt das zweite eigentlich am besten.« Und während sie das sagte, zerbrach sie zwei Zuckerstückchen in viele kleine Teile und schob das Schälchen der Mutter hin.

      »Nimm doch auch, Thilde.«

      »Nein, Mutter. Ich mag nicht Zucker. Aber du bist für süß. Und nimm nur immer ein bißchen in den Mund. Ich freue mich, wenn es dir schmeckt und wenn du wieder dick und fett wirst.«

      »Ja«, lachte die Alte. »Du meinst es gut. Aber dick und fett. Gott, Thilde, wo soll das herkommen?«

      VIERTES KAPITEL

      Um sieben war Hugo Großmann zurück. Er traf Thilde im Entree. »War wer da, Fräulein?«

      »Ja, ein Herr. Er kam um die fünfte Stunde. Und ich sagte ihm, daß Sie um acht wieder dasein wollten. Da wollt er wiederkommen«

      »Gut. Und hat er nicht seinen Namen gesagt?«

      »Ja doch. Von Rybinski, glaub ich.«

      »Ah, Rybinski. Nun, das ist gut.«

      Und acht war kaum vorüber, so klingelte es auch, und Rybinski war wieder da und wurde hineingeführt.

      »Guten Tag, Großmann.«

      »Tag, Rybinski. Bedaure, daß du mich verfehltest. Aber nimm Platz. Nachmittags bin ich immer unterwegs.«

      »Weiß«, sagte Rybinski und schob einen Stuhl an das Sofa.

      »Käpernick!Fritz Käpernick: gest. 1887, hatte durch seine Wett- und Dauerläufe in den achtziger Jahren Aufsehen erregt. Wird denn diese Dauerläuferei nicht mal ein Ende nehmen? Paßt doch eigentlich nicht zu dir. Du hast entschieden mehr vom Siebenschläfer als vom Landbriefträger. Also warum pendelst du zwischen Grunewald und Wilmersdorf immer hin und her? Oder hast du jetzt eine andre Pendelbewegung?«

      »Muß sich erst herausstellen, Freund. Ich bin ja erst gute vierundzwanzig Stunden hier, gestern früh angekommen, hier drüben Friedrichsstraße. Gott sei Dank, daß ich wieder da bin, und auch wieder nicht, Owinsk ist ein Nest, natürlich, und wenn man aufgestanden ist, kann man auch schon wieder zu Bette gehn, und dazu die ewige Klagerei von Mutter und Schwester und keine Spur Verständnis für ein Buch oder ein Bild, und wenn ein Tanzbär auf den Markt kommt, dann ist es, als ob die WolterCharlotte Wolter: 1834-1897, wirkte seit 1862 als tragische Heldin am Wiener Burgtheater. Sie wurde als eine der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit verehrt. gastierte... Na, das alles is nicht grade mein Geschmack. Aber ein Gutes hat solch Nest doch, man hat Muße, man kann seinen paar Gedanken nachhängen, wenn man welche hat, und die Büffelei hat ein Ende. Ach, Rybinski, das geht nun wieder los. Wie steht es denn mit dir? Wenn ich dich so ansehe mit deiner Polenmütze, nimm mir nicht übel, es sieht so'n bißchen theaterhaft aus, und deinen Stiefeln über der Hose - du siehst mir auch nicht aus, als kommst du recte vom Repetitorium.«

      »Welche feine Fühlung du hast, Großmann. Recte vom Repetitorium; nein. Aber was von recte ist auch dabei; recte vom Galgen...«

      »Wie Roller?«

      Rybinski nickte.

      »Ach, mache keinen Unsinn, Rybinski. Was meinst du?«

      »Was ich meine, davon später. Erzähle mir erst ein Wort von dir und von den Owinskern. Hast du zufällig meinen Onkel gesehn? Er kommt ja dann und wann in die Stadt, bei Pferdemarkt oder wenn er Geld braucht. Auf meinen letzten Brief hat er nicht geantwortet; es wird wohl grade Ebbe bei ihm gewesen sein. Und dein Vater? Woran starb er denn eigentlich? Er kann ja noch keine Sechzig gewesen sein. Und wie steht es mit dem Vermögen? Es hieß immer, er hätte was.«

      »Ja, so heißt es immer,