Er nahm sie in die Hand und betrachtete sie.
»Ja, was ist denn mit Ihnen?« fragte er. »Ich hatte sicher darauf gerechnet, daß ich den Kellerschlüssel brauchen würde, wenn ich nach Hause käme, denn ich konnte doch nicht voraussetzen, daß Sie keinen Tropfen trinken würden. Was soll denn das heißen?«
»Das soll heißen, daß ich nicht wert bin, Ihren Sherry zu trinken,« antwortete Mountjoy. »Die spanischen Weine sind viel zu schwer für meine schlechte Verdauung.«
Mr. Vimpany brach wiederum in ein schallendes Gelächter aus.
»Aha, ich verstehe, Sie vermissen gewiß den Weinessig der Wirtin.«
»Ja, das thue ich wirklich. Der von Ihnen bespöttelte Weinessig der Wirtin ist nämlich der beste Château Margaux, der mir jemals vorgekommen ist, und wird hier an eine Gesellschaft verschwendet, die gar nicht wert ist, solchen Wein zu trinken.«
Die angeborene Unverschämtheit des Doktors zeigte sich gleich wieder.
»Sie haben natürlich diesen wunderbaren Wein gekauft,« sagte er ironisch.
»Ja,« antwortete Vimpany, »das habe ich gethan.«
Zum erstenmal in seinem Leben verließ Mr. Vimpany seine gewöhnliche Redegewandtheit. Er sah seinen Gast mit stummem Erstaunen an. Diese Gelegenheit nützte Mountjoy aus. Mr. Vimpany nahm eine Einladung zum Mittagessen für den nächsten Tag im Gasthaus mit der freudigsten Bereitwilligkeit an, aber er stellte eine Bedingung.
»Im Fall, daß ich mit dem, was Sie über Ihren wunderbaren Château – ich weiß nicht, wie Sie ihn nennen – behaupten, nicht übereinstimme,« sagte er, »werden Sie es nicht übel nehmen, wenn ich nach Hause schicke und eine Flasche von meinem alten Sherry holen lasse.«
Das nächste Ereignis dieses Tages war ein Besuch des interessantesten Bauwerks, welches sich in der Stadt aus früheren Zeiten erhalten hatte. In Abwesenheit des Doktors, der seinem Beruf nachgegangen war, forderte Miß Henley Mountjoy zur Besichtigung der alten Kirche auf, und Mrs. Vimpany begleitete die beiden, wodurch sie ihrer Hochachtung für den Freund Miß Henleys Ausdruck gab.
Als sich die Gelegenheit bot, unbelauscht ein vertrauliches Wort zu Hugh zu sagen, war Iris bestrebt, die Frau des Doktors zu loben.
»Sie können sich nicht vorstellen, Hugh, wie liebenswürdig sie seit gestern gegen mich ist, und wie sie mich vollkommen überzeugt hat, daß ich ihr Unrecht gethan habe, bitteres Unrecht, indem ich Schlimmes von ihr dachte. Sie weiß, daß Sie sie nicht leiden mögen, und doch spricht sie nur in der liebenswürdigsten Weise von Ihnen. ›Ihr kluger Freund,‹ sagte sie, ›befindet sich so wohl in Ihrer Gesellschaft, daß ich Sie bitte, mich zu begleiten, wenn ich ihm später unsere alte Kirche zeige.‹ Ist das nicht uneigennützig gehandelt?«
Mountjoy behielt seine Ansicht für sich. Die edelmütigen Regungen, welche zuweilen Iris irre führten, gestatteten keinen Widerspruch. Seine eigene Ansicht über Mrs. Vimpany stand der ihrigen immer noch unverändert entgegen. In der Hoffnung, am nächsten Tag Entdeckungen zu machen, welche viel zu ernst sein konnten, um jetzt nichtssagende allgemeine Redensarten auszutauschen, that er sein Möglichstes, um auf etwaige zukünftige Vorfälle hinreichend vorbereitet zu sein.
Nachdem er sich noch überzeugt hatte, daß der gegenwärtige Gesundheitszustand von Iris' Kammermädchen keine Veranlassung bot, ihre Herrin länger in Honeybuzzard festzuhalten, kehrte er in das Gasthaus zurück und schrieb an Mr. Henley. Vollständig wahrheitsgetreu stellte sein Brief die Zugeständnisse dar, welche die Tochter von ihrem Vater verlangte, aber von einem neuen Gesichtspunkt aus. Wie auch immer sein Entschluß ausfallen würde, bat er Mr. Henley durch den Telegraphen, ihm seine Antwort zu übermitteln. Die vorgelegte Frage lautete: »Wollen Sie Iris wieder aufnehmen?«, die erwartete Antwort: Ja oder Nein.
Siebzehntes Kapitel.
Mr. Henleys Telegramm traf am nächsten Morgen im Gasthof ein.
Er war bereit, seine Tochter wieder aufzunehmen, aber nicht bedingungslos. Die Antwort war charakteristisch für den Mann: »Ja – versuchsweise.« Mountjoy wurde davon nicht weiter berührt; er wunderte sich nicht einmal darüber. Er wußte, daß die erfolgreichen Spekulationen, durch welche Mr. Henley sein Vermögen bedeutend vergrößert hatte, ihm eine Menge von Feinden erweckt hatten, die es sich angelegen sein ließen, allerlei ehrenrührige Geschichten über ihn zu verbreiten, die niemals vollständig widerlegt wurden. Das allmäliche stille Zurückziehen der Freunde, auf deren Treue er gebaut, hatte das Herz des Mannes verhärtet und ihn verbittert. Leute, die sich im Unglück befanden und die den reichen, in Zurückgezogenheit lebenden Kaufmann um Hilfe angingen, fanden in den ausgezeichnetsten Empfehlungen ihres Charakters und ihrer Fähigkeiten, die sie etwa aufzuweisen hatten, die denkbar schlechtesten Fürsprecher, die sie wählen konnten. Gegen solche aber, die kaum so viel besaßen, um sich notdürftig kleiden zu können, war Mr. Henley die Mildthätigkeit selbst. Wenn er gefragt wurde, wie er denn dieses sein Verhalten rechtfertigen könnte, sagte er: »Ich habe Sympathie mit diesen armen Verlassenen, denn ich bin selbst ein solcher.«
Zur Zeit des Mittagessens erschien der Doktor im Gasthause; er befand sich jedoch in keiner liebenswürdigen Laune.
»Wieder einen Tag voll schwerer Arbeit hinter mir; ich würde unterlegen sein, wenn ich nicht die Aussicht auf die Belohnung, die mich hier erwartet, gehabt hätte. London oder die Nachbarschaft von London, das wäre der rechte Platz für einen Mann, wie ich bin. Nun, wo ist denn Ihr wunderbarer Wein? Merken Sie sich aber, ich bin ein Mann, der stets die Wahrheit sagt; wenn mir daher Ihr französisches Getränk nicht schmeckt, werde ich es unumwunden bekennen.«
Das Gasthaus besaß keine richtigen Weingläser; man mußte daher diesen seinen Wein aus Wassergläsern trinken, als ob es eine ganz gewöhnliche Sorte gewesen wäre.
Mr. Vimpany bewies, daß er vollständig vertraut mit der Art und Weise war, wie man Weine zu versuchen hatte. Er füllte das Wasserglas, welches das fehlende Weinglas vertreten mußte, hielt es gegen das Licht und betrachtete den Wein aufmerksam; dann bewegte er das Glas unter seiner Nase hin und her und roch mehreremal daran; dann hielt er inne und überlegte. Er kostete den Rotwein so vorsichtig, als ob er fürchtete, daß er vergiftet wäre; dann schnalzte er mit den Lippen und leerte endlich das Glas auf einen Zug. Schließlich bewies er noch einige Rücksicht für seinen Gastgeber, indem er seine Ansicht über den Wein mit folgenden Worten kundgab:
»Nicht so gut, wie Sie denken, Sir, aber ein angenehmer, leichter Rotwein, rein und gesund. Hoffentlich haben Sie nicht allzu viel dafür bezahlt.«
Bis hierher hatte Hugh ein unsicheres Spiel gespielt. Aber jetzt kam endlich seine Belohnung. Nach dem, was der Doktor soeben zu ihm gesagt hatte, wußte er, daß er die gewinnende Karte sicher in seiner Hand hielt.
Das schlechte Essen war bald vorüber, natürlich ohne Suppe; der Fisch in dem bekannten Zustand der Erkaltung, wie er gewöhnlich in einem heruntergekommenen Gasthof einer Landstadt aufgetragen zu werden pflegt. Das Beefsteak wetteiferte in der Zähigkeit mit Gummi; der Anblick der Kartoffeln schien zu sagen: »Fremder, iß uns nicht!« Die Mehlspeise würde selbst ein Kind abgeschreckt haben, und der berühmte englische Käse, welcher, schmählich genug, aus den Vereinigten Staaten nach England kommt, beleidigte die Zunge, wenn man ihn in den Mund steckte. Aber der Wein, der ausgezeichnete Wein, würde jeden andern, nur Mr. Vimpany nicht, für die Mängel des Essens entschädigt haben. Ein Wasserglas nach dem andern, gefüllt mit diesem edlen Stoff, goß er durch seine durstige Kehle ganz ohne jedes Verständnis hinab, behauptete dabei doch immer noch, daß es ein ganz angenehmer, leichter Wein sei, und konnte immer noch nicht das schlechte Essen vergessen.
»Die Kost ist hier,« sagte dieser weise Mann, »womöglich