»Diese Wissenschaft heißt man Astrologie«, sagte Don Quijote.
»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, versetzte Pedro; »aber ich weiß, daß er alles das wußte und noch mehr. Kurz und gut, es gingen nicht viel Monate ins Land, seit er von Salamanca kam, da zeigte er sich auf einmal als Schäfer gekleidet mit seinem Krummstab und Schafpelz; den langen Rock, den er als ein studierter Mann trug, hatte er abgelegt, und zugleich mit ihm kleidete sich als Schäfer sein Herzensfreund Ambrosio, der beim Studieren sein Kamerad gewesen. Ich hab zu sagen vergessen, daß der Grisóstomo, der Verstorbene, ein großer Mann war im Dichten und Reimen, so daß er es war, der die Hirtenlieder für die Christnacht machte, auch Fronleichnamsstücke, die die Burschen aus unserem Ort aufführten, und jeder sagte, sie wären über alle Maßen schön. Wie die Leute vom Ort plötzlich die beiden studierten Jünglinge in Schäfertracht erblickten, waren sie höchlich verwundert und konnten den Grund nicht erraten, der sie zu einer so sonderbaren Verwandlung bewogen hatte. Inzwischen war der Vater des Grisóstomo gestorben, und er erbte ein sehr großes Vermögen sowohl an fahrender Habe als auch an Grund und Boden und eine nicht geringe Menge von großem und kleinem Vieh und einen großen Haufen bares Geld; über alles das war er nun der uneingeschränkte Herr. Und in Wahrheit, er war das alles wert, denn er war ein guter Kamerad und war mildtätig und ein Freund der Redlichen und hatte ein Gesicht wie ein wahrer Segen Gottes. Später hat man in Erfahrung gebracht, daß er aus keiner andern Ursach seine Tracht veränderte, als weil er in diesen abgelegenen Gründen jener Marcela nachgehen wollte, die unser Junge vorher genannt hat; in die hatte sich der arme Kerl von Grisóstomo, der anjetzo tot ist, verliebt. Und jetzt will ich Euch sagen, denn es gehört sich, daß Ihr es wisset, wer dies Mägdlein ist, vielleicht, oder auch ganz gewiß, habt Ihr dergleichen Euer Lebtage nicht gehört, und wenn Ihr auch länger lebt als Jerusalem.«
»Sagt ›Methusalem«‹, versetzte Don Quijote, der die Wortverwechslung des Ziegenhirten nicht leiden mochte.
»Ach, das Jerusalem hat auch ein langes Leben gehabt«, entgegnete Pedro, »und wenn es so geht, Herr, und Ihr mir jeden Ritt an den Worten mäkeln wollt, so werden wir in einem Jahr nicht fertig.«
»Entschuldiget, guter Freund«, entgegnete Don Quijote, »ich sagte es nur, weil ein so großer Unterschied zwischen Jerusalem und Methusalem ist; aber Eure Antwort war sehr gut, denn allerdings hat Jerusalem noch ein längeres Dasein als Methusalem. Und fahret nun mit Eurer Geschichte fort, ich will Euch in nichts mehr hineinreden.«
»Ich sage also, liebster, bester Herr«, sprach der Ziegenhirt, »daß in unserm Dorf ein Bauer lebte, der noch reicher war als Grisóstomos Vater; der hieß Guillermo, und ihm schenkte Gott neben dem vielen und großen Reichtum eine Tochter, deren Geburt die Mutter das Leben kostete; das war die bravste Frau, die man weit und breit im Lande finden mochte. Mir kommt’s vor, ich sehe sie noch, mit jenem Gesicht, auf dem zu einer Seite die Sonne und zur andern der Mond leuchtete, und vor allem war sie fleißig zur Arbeit und eine Freundin der Armen, weshalb ich glaube, ihre Seele wohnt jetzt zur Stunde in jener Welt im Genusse von Gottes Seligkeit. Aus Schmerz über den Tod einer so vortrefflichen Frau starb ihr Mann Guillermo und ließ seine Tochter Marcela unter der Vormundschaft ihres Oheims, eines Geistlichen, der in unserm Ort die Pfründe innehat. Das Kind wuchs zu solcher Schönheit heran, daß es uns an die erinnerte, die seine Mutter in so hohem Grade besessen, und bei alldem war doch das allgemeine Urteil, daß die der Tochter sie noch übertreffen werde. Und so ist’s auch gekommen; denn als sie zum Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gelangte, schaute sie keiner an, ohne daß er nicht Gott lobpries, der sie so schön geschaffen, und schier jeder war auf den Tod verliebt in sie. Ihr Oheim hielt sie unter guter Aufsicht und in großer Eingezogenheit; aber trotzdem verbreitete sich der Ruf ihrer absonderlichen Schönheit so sehr, daß um derentwillen sowohl als ihres großen Reichtums wegen nicht nur von den Leuten aus unserem Dorfe, sondern von denen aus der ganzen Gegend, viele Meilen in der Runde, und zwar von den angesehensten, der Oheim täglich angegangen, mit Bitten bestürmt und heftig gedrängt wurde, sie ihnen zum Weibe zu geben. Aber er, ein richtiger guter Christ, wenn er sie auch gern verheiratet hätte, als er sie in dem Alter dazu sah, wollte es nicht ohne ihre Einwilligung tun, – gewißlich ohne daß er ein Auge auf den Vorteil und Erwerb hatte, den ihm die Verwaltung von Hab und Gut des Mädchens bot, wenn er ihre Verheiratung hinausschob. Und wahrlich, in mehr als einem Plauderkränzchen im Dorfe ist das zum Lobe des geistlichen Herrn gesagt worden. Ihr müßt nämlich wissen, fahrender Herr Ritter, daß in diesen kleinen Ortschaften über alles geschwatzt und alles bös mitgenommen wird; und seid überzeugt, wie ich es bin, daß der Geistliche über die Maßen brav sein muß, der seine Pfarrkinder nötigt, Gutes von ihm zu reden, zumal auf dem Lande.«
»So ist’s in Wahrheit«, sagte Don Quijote, »und fahrt weiter fort; denn die Erzählung ist sehr anziehend, und Ihr, mein guter Pedro, erzählt sie so hübsch, daß man sein Wohlgefallen daran haben muß.«
»Möge Gottes Wohlgefallen mir nicht gebrechen, denn das ist die Hauptsache. Und fürs übrige müßt Ihr wissen, daß, obschon der Oheim seiner Nichte Vorschläge tat und ihr die Vorzüge eines jeden ihrer vielen Freier im besondern auseinandersetzte und sie bat, zu heiraten und die Wahl nach ihrem Geschmack zu treffen, sie nie eine andre Antwort gab, als daß sie sich für jetzt nicht verheiraten wolle, und sie halte sich wegen ihrer großen Jugend nicht für geeignet, die Lasten der Ehe zu tragen. Auf diese dem Anscheine nach ganz triftigen Gründe hörte der Oheim mit seinem Zureden auf und wartete ab, bis sie etwas mehr in die Jahre käme und selbst nach ihrer Neigung einen Lebensgefährten wählen würde. Denn er sagte, und sagte sehr mit Recht, die Eltern sollten ihren Kindern nicht wider ihren Willen einen Hausstand gründen. Aber sieh da, ehe man sich’s versieht, eines Tages kommt die launische Marcela in der Tracht einer Schäferin gegangen; und ohne daß ihr Oheim oder die Leute im Ort, die es ihr alle abrieten, etwas dagegen vermochten, fiel es ihr ein, mit den andern Mädchen vom Dorf aufs Feld zu gehen und ihre Herde selbst zu hüten. Und wie sie nun unter die Leute ging und man ihre Schönheit ohne Schleier erblickte, da kann ich gar nicht gebührend sagen, wieviel reiche Jünglinge, so Junker wie Bauern, seitdem die Tracht des Grisóstomo angenommen haben und überall auf der Flur umher ihr den Hof machen.
Zu denen, wie ich Euch schon gesagt, gehörte auch der Verstorbene, und die Leute sagten, er habe zuletzt aufgehört, sie zu lieben, und sie nur noch angebetet. Man muß aber nicht denken, daß Marcela, weil sie sich solcher Freiheit und solch zwanglosem Leben, wobei so wenige oder gar keine Zurückgezogenheit möglich, ergeben hat, darum irgendein Merkmal, auch nur mit dem geringsten Anschein, hätte sehen lassen, das ihrer Ehrbarkeit und Züchtigkeit zur Schädigung gereichte; vielmehr ist die Wachsamkeit, mit der sie ihre Ehre hütet, so groß und solcher Art, daß von allen, die ihr dienen und um sie werben, keiner sich je gerühmt hat noch in Wahrheit je rühmen kann, sie hätte ihm nur die kleinste Hoffnung vergönnt, seinen Wunsch zu erreichen. Denn sie will zwar die Gesellschaft und Unterhaltung mit den Hirten nicht fliehen noch vermeiden und behandelt sie höflich und freundlich; sobald aber einer von ihnen, wer auch immer, so weit geht und ihr seine Absichten entdeckt, seien sie auch so redlich und heilig, wie es das Begehren einer Heirat ist, schleudert sie ihn weit von sich weg, wie aus einer Wurfmaschine geschossen. Und mit dieser Art von Benehmen richtet sie mehr Schaden in diesem Lande an, als wenn die Pest darin einzöge. Denn ihre Umgänglichkeit und Schönheit verleitet die Herzen derer, die mit ihr verkehren, ihr Huldigung und Liebe zu widmen; aber die Verschmähung und Enttäuschung, die sie ihnen werden läßt, treibt die Leute der Verzweiflung entgegen, und so wissen sie nicht mehr, was sie ihr sagen sollen, außer sie mit lauter Stimme grausam und undankbar zu schelten, nebst andren Benennungen solcher Art; Ausdrücken, die ganz richtig ihre Gemütsart kennzeichnen. Wenn Ihr, Herr, Euch einmal hier verweiltet, würdet Ihr finden, wie die Berge und Täler hier widerhallen von den Wehklagen der Verschmähten, die ihr nachlaufen. Nicht weit von hier ist ein Platz, wo etwa zwei Dutzend hoher Buchen stehen, und da ist keine, die nicht auf ihrer glatten Rinde den Namen Marcela eingegraben und eingezeichnet trägt, und hie und da ist eine Krone darüber in den Baum geschnitten, als ob der Verliebte sagen wollte, daß Marcela die Krone aller irdischen Schönheit trägt und verdient. Hier stößt ein Schäfer Seufzer aus, dort wehklagt ein andrer, an jener Stelle