Leichte Beute. Ruth Broucq. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ruth Broucq
Издательство: Bookwire
Серия: Trümmerprinzessin
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742742445
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aller Liebe zu meiner Mutter, und Respekt vor der Vornehmen, mir war sofort klar, dass ich weder wie die eine noch wie die andere werden wollte. Kein Zierpüppchen, aber auch kein Arbeitspferd.

      Ich nahm mir im Stillen vor, darauf zu achten, dass ich mich weder mit niederen Arbeiten belasten und abrackern, noch auf eine Säule der Überheblichkeit, als Dekoration, stellen wollte. Ich würde einen Mittelweg finden, der mir Glück, Wohlstand und Unabhängigkeit brächte. Davon war ich überzeugt.

      Das Eintreffen meines Vaters unterbrach die peinliche Situation.

      „Tach. Wie geht et? Wo kann ich denn datt Kind sehen?“, war alles was der Bauerntrampel von sich gab. Aber er rettete die betretene Stimmung.

      Sofort stimmten alle Anwesenden zu.

      „Auf dem Gang links ist das Säuglingszimmer. Die Babys zeigen sie an dem Fenster, hat die Schwester gesagt. Leider kann ich nicht mitgehen, ich darf noch nicht aufstehen“, bedauerte ich.

      Gemeinsam gingen meine Besucher hinaus, und ich blieb mit der Erwartung zurück, was sie wohl zu dem Schrumpelchen sagen würden.

      „Die ist aber sehr klein“, war die vorwurfsvolle Beurteilung meiner zukünftigen Schwiegermutter. „So, nun wollen wir auch nicht länger stören, dann erhole dich mal gut“, verabschiedete Frau Woods sich auch gleich, und sah ihren Gatten auffordernd an.

      Roberts Vater schüttelte mir die Hand, lachte wieder freundlich, und sagte bedauernd: „Tja dann muss ich wohl mit. Ich wünsche auch noch erholsame Tage, und besuch uns bald mit der Kleinen.“

      Wenn Blicke hätten töten können, wäre der giftige Blick seiner Ehefrau, wohl des netten Herrn Woods Todesurteil gewesen.

      Die Dame war unübersehbar nicht begeistert, von der Einladung ihres Gatten.

      Der kurze Höflichkeits-Besuch war beendet, worüber ich allerdings nicht traurig war.

      Auch meine Eltern verabschiedeten sich, kurz nachdem die Woods gegangen waren. Meine Mutter meinte: „Kind, wir machen uns auch mal auf den Weg. Der Vati kann ja den Krankenhaus-Geruch sowieso nicht lange vertragen, und wir können den nächsten Bus gerade eben noch erreichen. Ich komme morgen wieder.“

      Als Robert etwas sagen wollte, fuhr ich ihm gleich über den Mund: „Wenn du jetzt auch eine Ausrede hast, um vorzeitig abzuhauen, bin ich kotzsauer. Die Besuchszeit ist erst in einer halben Stunde zu Ende. So lange wirst du es wohl noch aushalten?“, knurrte ich verärgert.

      „Klar. Mach mal keine Welle. Ich wollte doch noch gar nicht abhauen“, dementierte er, und ich sah ihm an dass er log.

      Am Ende der Besuchszeit war ich allerdings froh, wieder alleine zu sein, denn ich hatte die ganze Anstrengung noch nicht ganz verarbeitet.

      Der nächste Tag brachte mir die Nachricht, dass ich meine Tochter nach meiner Entlassung noch nicht mitnehmen konnte, weil sie Untergewicht hatte. Die Klinik musste solch leichtgewichtige Säuglinge erst auffüttern, bis sie 2500 Gramm erreicht hatten. Die Kinderärztin erklärte mir, dass ich aber weiterhin meine Milch abpumpen und täglich ins Krankenhaus bringen müsse, um das Kind mit natürlicher Nahrung besser aufpäppeln zu können. Sie versicherte mir allerdings, dass es sich nur um eine kurze Zeit handeln könne, bis Ramona das erforderliche Gewicht erreicht habe, damit die Kleine mit nach Hause dürfte.

      Nach Hause? Wohin? Das war ja noch ungewiss. Doch das verschwieg ich natürlich.

      Aber deshalb kam diese Nachricht für mich gerade richtig, so konnte ich erst einmal die Lage erkunden, um mich nach einer neuen Wohnmöglichkeit umzusehen.

      In Gedanken ging ich schon mal alle räumlichen Verhältnisse meiner Verwandten durch.

      Die winzige Zweizimmerwohnung meiner Oma kam nicht in Frage, die bot kaum Platz für eine Person. Oma hatte nicht einmal eine abgeschlossene Wohnung. Sie teilte sich eine Etage mit einer anderen dreiköpfigen Familie. Von insgesamt fünf Räumen, hatte meine Oma lediglich zwei weit auseinander liegende Zimmer, sodass sie immer über den gemeinschaftlichen Treppenflur musste, um in einen ihrer Räume zu gelangen. Außerdem war das Schlafzimmer nicht beheizbar, und die kleine Wohnküche war sehr eng. Außer einem Esstisch mit zwei Stühlen, gab es noch ein schmales Sofa, ein altmodisches Küchenbuffet, und einen Kohleofen. Ein Zweiplatten-Elektrokocher, neben dem kleinen Waschbecken, diente zum kochen. Die Toilette befand sich eine Treppe tiefer im Flur, und wurde auch von ihren Flurnachbarn mitbenutzt.

      Also kein Platz für mein Baby und mich.

      Tante Jule war zwar eine sehr lustige Frau, und mit deren kleiner Tochter Ingrid verstand ich mich sehr gut, aber ich mochte Tante Jules Mann nicht. Onkel Josef war unfreundlich und geizig, der sonntags sogar den Kuchen versteckte, wenn Verwandte zu Besuch kamen, und denen nur abgestandenen, aufgewärmten Kaffee anbot. Zudem bewohnten die drei nur die Hälfte eines winzigen Fachwerkhauses, in der wirklich jede kleinste Ecke genutzt war, und in dem kaum Platz war, sich um die eigene Achse zu drehen. Also fiel auch diese Behausung als Unterkunft für uns aus.

      Bei Tante Klara gab es zwar mehr Zimmer, allerdings auch so viele Personen, dass deren 9 Kinder sich schon zu dritt ein Bett teilten. Auch das Elternschlafzimmer war so voll gestellt, dass man sich an dem schmalen Bett vorbei quetschen musste, so eng war der Durchgang. Nach einer schönen Familienfeier, hatte ich als Kleinkind einmal dort übernachtet, das war mir noch in unangenehmer Erinnerung, weil ich kaum hatte schlafen können. Mit drei älteren Cousinen in einem Doppelbett, war alles andere als bequem gewesen. In dieser Nacht war ich häufig aufgewacht. Tante Klaras Wohnung kam als Zufluchtsort demnach auch nicht in Frage.

      Blieb nur Tante Hilde. Ja, das war die einzige Möglichkeit. Ihre Wohnung auf dem Bauernhof, war zwar nicht groß, aber es gab noch das ehemalige Kinderzimmer, meiner erwachsenen Cousine Anne. In der kleinen Kammer, hatte ich in Kindertagen des Öfteren geschlafen, und mich dort sehr wohl gefühlt. Das war die Rettung, dann konnte ich mich um meine Lieblingstante auch ein wenig kümmern, und deren Lebensgefährten, Onkel Hans, entlasten. Ein Lichtblick.

      Als ich meinem Freund meine Überlegungen erzählte, ihn um Rat fragte, weil ich mir von ihm Unterstützung erhoffte, wurde ich schwer enttäuscht.

      Robert kümmerte mein Problem wenig, er könne sich damit jetzt nicht befassen, ich müsse mir auch schon selbst helfen, war sein ablehnender Kommentar. Robert hatte nur seinen Antritt beim Bund im Kopf. Er schimpfte und fluchte, man habe ihn verarscht. Zur Panzer-Artillerie habe man ihn befohlen, obwohl er sich nur deshalb freiwillig gemeldet hatte, weil er Fallschirmspringer werden wollte. Jetzt müsse er zu einer Waffengattung, die ihm gar nicht gefiel. Der Kerl war so missmutig, dass ihm meine Probleme völlig egal waren. Schöne Stütze! Wir machen das schon, hatte Robert am Anfang gesagt. Das hieß also nun, du machst das schon!

      Meiner Mutter war ich offenbar nicht egal. „Natürlich kommst du nach Hause. Mach dir mal keine unnötigen Sorgen“, sagte sie mit felsenfester Stimme. „Der Vati hat schon gefragt, wann du entlassen wirst. Es wird schon alles gut werden.“

      Zwar konnte ich noch nicht nachvollziehen, wie das letztendlich gemeint war, denn, dass der Alte sich Gedanken meinetwegen machte, war nicht glaubhaft. Aber zumindest hatte ich vorerst noch ein Dach über dem Kopf, um in Ruhe nach einer Wohnmöglichkeit zu suchen.

      Ich sprach meine Überlegungen aus: „Meinst du ich könnte Tante Hilde mal fragen, ob wir vorübergehend zu ihr ziehen können? Wenigstens bis ich eine dauerhafte Bleibe gefunden habe?“, fragte ich meine Mutter.

      Ihr Gesicht verdunkelte sich, als sie nach einer beklemmenden Pause leise gequält erwiderte: „Ach das wollte ich dir eigentlich noch nicht sagen, aber die Hilde ist vorgestern beerdigt worden.“

      Geschockt fuhr ich hoch, schrie entsetzt auf: „Nein! Sie ist tot? Mutti, das darf doch nicht wahr sein“, und die Tränen schossen mir aus den Augen und liefen mir übers Gesicht.

      Die Hilflosigkeit meinem Gefühlsausbruch gegenüber, veranlasste meine Mutter wohl zu der harten Aussage: „War doch besser für sie. Sie war ja nur noch ein Häufchen Elend, aus Haut und Knochen. Sie wäre doch nie wieder auf die Beine gekommen. Den Tumor konnten die Ärzte nicht