»Da sind wir ja in guten Händen«, sagte er leise, wie zu sich selbst.
2. Kapitel: Ein Käpt’n zuviel
»Der Berg ist fertig, Käpt’n!«, erscholl Bullerjans Stimme.
»Is nur ‘n kleiner Berg, Käpt’n«, ergänzte Kullerjan. Als die beiden aus der Kombüse traten, zuckte Käpt’n Arbuk leicht zusammen. Sie mussten ihm wie Riesen vorkommen, so klein wie er war.
»Welcher Berg?«, fragte er misstrauisch.
»Ich habe mir erlaubt, Luis in die Kombüse abzukommandieren. Er hat meinen Männern geholfen, eine gehörige Portion Bratkartoffeln für uns alle vorzubereiten«, sagte Käpt’n Sansibo. »Ich hoffe, das war in Ihrem Sinne, Käpt’n Arbuk.« Käpt’n Arbuk lachte laut auf.
»Sie haben was getan? Sie haben meinen besten Mann zum Kartoffelschälen geschickt? Na – das wird ihm nicht geschadet haben, ha!«
Kullerjan machte ein großes Auge, genau wie Bullerjan, als sie das vollbesetzte Deck sahen.
»Wir ham keine Teller nich für alle, Käpt’n«, stammelte er.
»Das macht nichts. Bringt einfach die Pfannen raus und verteilt die Löffel. Und unsere Portion bringst du in meine Kajüte.« Kullerjan nickte und verschwand mit Bullerjan in der Kombüse. Luis hatte sich inzwischen zu Käpt’n Arbuk gesellt und machte ein finsteres Gesicht.
»Ich nehme an, Sie werden bei Ihren Männern essen wollen, Käpt’n!«, sagte Käpt’n Sansibo, winkte Toby zu sich und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verschwenden in seiner Kajüte. Toby fing einen stechenden Blick von Käpt’n Arbuk auf und folgte dann seinem Käpt’n.
»Mach die Tür zu, Toby«, sagte der leise.
»Mir kommt das alles nicht ganz geheuer vor, ich hab da ein paar Dinge beobachtet und irgendetwas stimmt da nicht«, sprudelte Toby hervor, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Käpt’n Sansibo setzte sich an seinen Tisch und kraulte seinen roten Bart.
»Na dann lass mal hören«, sagte er. Toby zählte an seinen Fingern ab:
»Dieser Living Tom hat einem der vier Männer, die angeblich alle bewusstlos waren, heimlich etwas zugeflüstert. Keiner von denen verhält sich, als ob er gerade aus Seenot gerettet worden ist. Es sieht vielmehr so aus, als ob die alle auf etwas warten. Warum sonst sagen die nichts? Die sehen auch gar nicht aus, als ob sie vier Tage in einem Ruderboot in der grellen Sonne verbracht hätten. Der Living Tom hat ganz bleiche Arme, kein Sonnenbrand, gar nix. Der andere, der sich Luis nennt, hat einen Schnitt am Kinn und als einziger keinen Bart. Nehme ich denn, wenn ich von einem angeblich sinkenden Schiff in ein Rettungsboot springe, noch mein Rasierzeug mit?«
»Du musst dich ja noch gar nicht rasieren«, sagte Käpt’n Sansibo und grinste.
»Ich nicht, aber dieser Luis. Da ist doch was faul, oder können Sie mir das alles erklären?« Käpt’n Sansibo schüttelte den Kopf.
»Im Gegenteil, ich hab selbst noch ein paar Fragen. Warum erzählt der Living Tom was von vier Tagen, die sie angeblich in den Booten waren, und ihr Käpt’n spricht von acht Tagen. So durcheinander kam mir dieser Living Tom gar nicht vor. Und überhaupt: Diese Namen. Ich kenne bestimmt alle Dreimaster auf den südlichen Meeren, aber von einer Molly Black habe ich noch nie gehört. Und von einem Käpt’n Arbuk erst recht nicht.« Toby kratzte sich am Kopf.
»Und wenn der Name nun falsch ist? Arbuk hört sich wirklich irgendwie künstlich an. Aber wenn …« Er zog die Nase kraus und rieb sich die Stirn.
»Was wäre, wenn wir den Namen einfach rückwärts buchstabieren? Dann kommt Käpt’n Kubra raus. Haben Sie von dem schon mal gehört?« Käpt’n Sansibo hörte auf, seinen Bart zu kraulen. Er war blass geworden. Zumindest der Teil seines Gesichtes, den man hinter seinem Bart sehen konnte.
»Heiliger Klabautermann!«, flüsterte er und starrte Toby an. »Heiliger Klabautermann!«, flüsterte er gleich noch einmal.
In diesem Moment klopfte jemand an die Tür und gleich darauf ging sie auf. Es war Kullerjan, der das Essen brachte.
»Bullerjan will draußen bei den anderen essen«, sagte er, während er die Teller verteilte und sie aus einer dampfenden Pfanne mit gezwiebelten Bratkartoffeln füllte.
»Soll ich auch … Käpt’n?«
»Nee, du bleibst hier! Und mach die Tür zu, sofort!«, erwiderte Käpt’n Sansibo heftig. Trotz aller Aufregung hatte Toby einen mächtigen Hunger.
»Fie kennen alfo Käpt’n Kubra?«, fragte er mit vollem Mund. Käpt’n Sansibo stocherte in seinem Teller herum. Ihm war der Appetit vergangen.
»Bin ihm nie persönlich begegnet, Gottseidank! Aber ich hab von Leuten gehört, die ihm begegnet sind«, brummte er in seinen Bart.
»Wiefo Käpt’n Kubra?«, fragte Kullerjan. »Iff benk, ber heifft Abuk?«
»Der hat gelogen, Kullerjan«, flüsterte Toby.
»Wir haben den Teufel an Bord geholt, Jungs«, sagte Käpt’n Sansibo und sah sie aus seinen großen, schwarzen Augen an. Toby musste schlucken.
»Aber was will er denn von uns? Wenn die Bande nur so getan hat, als wäre sie in Seenot, wo ist dann ihr Schiff? Und wie heißt es wirklich? Und was machen wir jetzt?« Käpt’n Sansibo nickte langsam.
»Das sind viele gute Fragen, Toby.«
»Ich hab auch eine Frage«, sagte Kullerjan jetzt ebenfalls mit leiser Stimme. Er hatte seinen Teller, der noch halbvoll war, zur Seite geschoben. Es war ganz still in der Kajüte und ihnen allen wurde bewusst, dass es auch draußen an Deck ganz still war, obwohl dort sechzehn ausgewachsene Männer plus Bullerjan saßen und aßen. Es war so still wie in einem Kloster um Mitternacht.
»Soll ich Bullerjan lieber zu uns holen?«, flüsterte Kullerjan. Käpt’n Sansibo nickte.
»Tu das! Sag ihm, dass ich mit euch reden muss!«
»Sag, es ist wegen des Frühstücks morgen!«, ergänzte Toby, »das ist nicht so auffällig.«
»Ja, das ist gut«, sagte Kullerjan. Er verschwand eilig durch die Tür nach draußen.
»Was hat dieser Kubra bloß vor?«, brummte Käpt’n Sansibo.
»Vielleicht hat Bullerjan ja irgendetwas mitbekommen«, flüsterte Toby, obwohl er selbst nicht so recht daran glaubte.
Bullerjan hatte tatsächlich etwas mitbekommen, und zwar einen Schlag auf den Kopf. Er war für kurze Zeit so betäubt, dass er nicht mitbekam, wie sechs Hände ihn blitzschnell fesselten und eine siebte ihm einen Knebel in den Mund steckte. So konnte er die anderen nicht warnen. Die Männer von Käpt’n Kubra hatten ihn zu viert hochgehoben und an den Fockmast gestellt, wo er wieder zu sich kam. Er hatte so einen Brummschädel, dass ihm die Augen tränten. Er konnte nur ganz verschwommen sehen, wie die Tür der Kapitänskajüte aufging und Kullerjan heraustrat. Der sah dagegen mit einem Blick, was passiert war. Doch er war so überrascht davon, dass er erstmal wie gelähmt war. Käpt’n Kubra hatte schon darauf gewartet, dass jemand aus der Kajüte käme und sich gleich neben der Tür postiert. In der rechten Hand hatte er eine geladene Pistole, die er Kullerjan unter das Kinn hielt. Er musste sich ganz schön strecken, aber der Schrecken war trotzdem groß genug für den großen, starken Matrosen.
»So, mein Junge«, sagte Käpt’n Kubra mit seiner hohen Stimme, die einem eine Gänsehaut den Rücken runterjagen konnte, »du siehst, deinem Kumpel geht es gut. Aber das kann sich schnell ändern. Liegt ganz bei dir, was mit ihm passiert.«
»Aber ich …«
»Klappe halten, Großer! Mein Zeigefinger zuckt manchmal ganz komisch. Könnte dir schlecht bekommen. Du drehst dich jetzt schön langsam um, machst die Tür auf und meldest deinem Käpt’n