Die vergessene Welt. Arthur Conan Doyle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arthur Conan Doyle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754174234
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da ich gesonnen war, Ihre weitere Bekanntschaft zu machen. – Bitte, wollen Sie die kleine japanische Schale auf dem Bambustisch, den Sie mit dem linken Ellbogen berühren, als Aschbecher benutzen.«

      All dies brummte er vor sich hin wie ein Professor, der zu seinen Studenten redet. Er hatte seinen Drehstuhl herumgeschwungen, um mir gerade ins Gesicht sehen zu können, und saß, eine mächtige Rauchwolke ausstoßend, vor mir wie ein riesiger Ochsenfrosch, das Haupt zurückgelegt und die Augen mit einem hochmütigen Ausdruck halb geschlossen. Plötzlich drehte er sich zur Seite, und ich sah von ihm nichts mehr als sein wirres Haupthaar und ein rotes, abstehendes Ohr. Er wühlte in einem Haufen von Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen, worauf er sich mir wieder zuwandte und etwas in der Hand hielt, was wie ein zerfetztes Skizzenbuch aussah.

      »Ich werde Ihnen jetzt etwas über Südamerika erzählen«, sagte er. »Machen Sie keine Bemerkungen, wenn ich bitten darf. Zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass nichts von dem, was ich Ihnen jetzt mitteile, irgendwie veröffentlicht werden darf, soweit Sie dazu keine ausdrückliche Erlaubnis erhalten. Diese Erlaubnis werde ich aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach niemals geben. Ist das klar?«

      »Das ist sehr hart«, sagte ich. »Ein verständiger Bericht würde sicherlich – – –«

      Er legte das Buch wieder auf den Tisch.

      »Die Sache ist erledigt«, sagte er. »Guten Morgen, mein Herr.«

      »Nein, nein,« rief ich, »ich unterwerfe mich jeder Bedingung. Soweit ich sehe, bleibt mir nichts anderes übrig.«

      »Unter keinen Umständen«, sagte er.

      »Gut, ich verspreche Ihnen alles.«

      »Ehrenwort?«

      »Ehrenwort.«

      Er sah mich zweifelnd mit seinen anmaßenden Augen an.

      »Was weiß ich denn schließlich von Ihrer Ehre?« sagte er.

      »Ich muss sehr bitten, Herr Professor«, brauste ich auf. »Jetzt sind Sie sehr unhöflich. In meinem ganzen Leben hat man mich noch nicht so beleidigt.«

      Meine Heftigkeit schien ihn mehr zu interessieren als zu langweilen.

      »Rundköpfig«, murmelte er. »Brachycephalisch. Graue Augen, schwarze Haare mit negroidem Einschlag. Keltisch vermute ich.«

      »Ich bin Ire, Herr Professor.«

      »Irländischer Ire?«

      »Ja, Herr Professor.«

      »Das klärt die Sache natürlich. Na also, Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben, dass mein Vertrauen respektiert werden soll. Dieses Vertrauen ist, möchte ich sagen, keineswegs ein vollständiges, doch bin ich bereit, Ihnen einige Mitteilungen, die nicht ohne Interesse sind, zu machen. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich vor zwei Jahren eine Reise nach Südamerika gemacht habe – eine Reise, die man als klassisch in der Geschichte der Wissenschaften bezeichnen wird. Der Zweck meiner Reise war, den Wahrheitsbeweis für einige Behauptungen von Wallace und Bates zu erbringen, was nur geschehen konnte durch Beobachtung der von ihnen berichteten Fakta unter denselben Bedingungen, unter denen sie sie niedergeschrieben hatten. Hätte meine Expedition keine anderen Resultate als diese gehabt, so würde sie immer noch bemerkenswert gewesen sein; aber ein seltsamer Zwischenfall, den ich dort erlebte, hat die Forschung vor völlig neue Aufgaben gestellt.

      Sie wissen vielleicht – oder in diesem halbgebildeten Zeitalter wissen Sie es vielleicht auch nicht –, dass gewisse Landabschnitte im Gebiet des Amazonenstroms erst zum Teil erforscht sind und dass der Hauptstrom eine große Zahl von Nebenflüssen hat, von denen einige noch nicht einmal kartographisch genau aufgenommen sind. Es war meine Aufgabe, in dieses wenig bekannte Hinterland vorzudringen und seine Fauna zu erforschen, die mir das Material für mehrere Kapitel des großen und monumentalen zoologischen Werkes, das meine Lebensarbeit darstellt, geliefert hat. Ich befand mich nach Beendigung meiner Arbeit auf dem Rückwege und musste eine Nacht in einem kleinen Indianerdorf zubringen, das an einer Stelle lag, wo ein gewisser Nebenfluss – dessen Namen und Lage ich verschweige – in den Hauptstrom mündet. Die Eingeborenen waren Cucama-Indianer, ein friedfertiger, aber heruntergekommener Stamm, dessen geistige Fähigkeiten kaum diejenigen eines Durchschnitts-Londoners übertreffen. Ich hatte auf meinem früheren Weg den Fluss hinauf einige von ihren Leuten kuriert und ihnen einen starken Eindruck meiner Persönlichkeit hinterlassen, so dass ich nicht überrascht war, dass sie mich bei meiner Rückkehr lebhaft erwarteten. Ich entnahm ihren Gesten, dass irgend jemand dringend meiner medizinischen Hilfe bedurfte, und folgte dem Häuptling in eine seiner Hütten. Als ich sie betrat, stellte sich heraus, dass der Leidende, zu dessen Hilfe man mich gerufen hatte, gerade gestorben war. Es war zu meiner Überraschung kein Indianer, sondern ein Weißer, und zwar ein Weißer in besonderem Sinne. Denn er hatte flachsfarbene Haare und wies Zeichen von Albinismus auf. Seine Kleidung bestand in Lumpen, sein Körper war sehr abgemagert und trug alle Spuren langdauernder Entbehrung. Nach allem, was ich aus dem Bericht der Eingeborenen entnehmen konnte, handelte es sich hier um einen ihnen völlig fremden Mann, der allein und im Zustande höchster Erschöpfung quer durch den Urwald zu ihnen gekommen war. Der Tornister des Mannes lag neben dem Lager, und ich untersuchte seinen Inhalt. Sein Name war auf einen Lederstreifen geschrieben – Maple White, Lake Avenue, Detroit, Michigan. Das ist ein Name, vor dem ich immer meinen Hut ziehen werde. Es ist nicht zu viel gesagt, dass er neben dem meinen stehen wird, wenn einst die Wissenschaft das Verdienst in dieser Angelegenheit gerecht verteilen wird. Aus dem Inhalt des Tornisters ging klar hervor, dass der Mann ein Künstler und Dichter war, der Motive gesucht hatte. Auch eine Menge von Versen fanden sich. Ich halte mich für keinen kundigen Beurteiler dieser Dinge, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nicht eben bedeutend waren. Weiter fanden sich noch einige minderwertige Bilder von Fluss-Szenerien, ein Malkasten, eine Schachtel mit bunter Kreide, einige Pinsel, dieser gebogene Knochen, der da auf meinem Schreibtisch liegt, ein Band von Bacsters Werk über Falter und Schmetterlinge, ein billiger Revolver und einige Patronen. Persönliche Ausrüstungsgegenstände hatte er entweder nicht, oder sie waren während seiner Reise verloren gegangen. Das war der ganze Besitz dieses merkwürdigen amerikanischen Zigeuners.

      Im Begriff, die Hütte zu verlassen, bemerkte ich noch einen Gegenstand, der vorn aus seiner zerrissenen Jacke herausragte. Es war dies Skizzenbuch, in dem zerrissenen Zustande, in dem Sie es hier vor sich sehen. Ich kann wohl sagen, dass ein einziges aufgefundenes Blatt von Shakespeare nicht mit einer größeren Ehrfurcht behandelt werden könnte, als wie es mit dieser Hinterlassenschaft geschah, seit sie in meinem Besitz ist. Ich gebe Ihnen das Buch in die Hand und bitte Sie, es Seite für Seite durchzusehen und seinen Inhalt zu prüfen.«

      Er steckte sich eine neue Zigarre an, legte sich mit stolzen, kritischen Augen in seinen Stuhl zurück und beobachtete die Wirkung, die dieses Dokument auf mich haben würde.

      Ich hatte das Buch mit einer gewissen Erwartung auf Enthüllungen, obgleich ich noch keine Vorstellung hatte, welcher Art diese sein könnten, geöffnet. Die erste Seite enttäuschte mich allerdings. Denn sie enthielt nichts als das Bildnis eines sehr dicken Mannes in einer blauen Tuchjacke mit der Unterschrift »Jimmy Colver auf dem Postboot«. Dann folgten mehrere Seiten mit kleinen Skizzen aus dem Leben der Indianer. Dann kam das Bild eines freundlichen und korpulenten Geistlichen mit einem flachen, breitkrempigen Hut, der einem dünnen Europäer gegenübersaß, mit der Unterschrift »Frühstück mit Fra Christofero in Rosario«. Studien von Frauen und Kindern füllten einige weitere Seiten, und dann folgte eine ununterbrochene Reihe von Tierzeichnungen mit Unterschriften, wie »Seekuh auf einer Sandbank«, »Schildkröten mit ihren Eiern«, »Schwarzes Ajuti unter einer Miriti-Palme« – – auf dem letzten davon erblickte ich ein schweinähnliches Tier, und schließlich kam eine Doppelseite von Studien von einem langschnäuzigen und höchst widerwärtigen Saurier. Ich konnte nichts anfangen damit und sagte das dem Professor.

      »Das sind doch sicher Krokodile?«

      »Alligatoren! Alligatoren! Wirkliche Krokodile gibt es ja gar nicht in Südamerika. Der Unterschied zwischen diesen – –«

      »Ich wollte sagen, ich sehe nichts Ungewöhnliches – nichts, was Ihre Worte bestätigen könnte.«

      Er